Persona von
Ingmar Bergman
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Foto (C) Arno Declair
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Bewertung:
Der schwedische Theater- und Filmregisseur Ingmar Bergmann wäre im Juli 100 Jahre alt geworden. So richtig scheint das zumindest an den deutschsprachigen Theatern niemand wahrgenommen zu haben. Nun ist am Deutschen Theater Berlin ein Projekt angekommen, das die Theaterregisseurin Anna Bergmann in Koproduktion mit dem schwedischen Malmö Stadsteater dort im September zur Premiere gebracht hat. Persona ist ein experimenteller Film Ingmar Bergmans aus dem Jahr 1966. Ein psychologisches Kammerspiel um das Verstummen der Schauspieldiva Elisabet Vogler als Elektra auf offener Bühne und ihre Auseinandersetzung mit der sie pflegenden Krankenschwester Alma in einem abgelegenen Sommerhaus am Meer. Alma erzählt der schweigenden Schauspielerin aus ihrem Leben und beginnt sich dabei immer mehr mit Elisabeth zu identifizieren, so als könne sie sogar deren Rolle übernehmen. Nachdem Alma einen Brief Elisabeths an ihre Ärztin gelesen hat, in der sie Alma nicht als ihre Freundin sondern als spaßiges Studienobjekt betrachtet, kommt es zu Streit und sogar körperlichen Auseinandersetzungen zwischen der enttäuschten Alma und Elisabeth.
Bergman meditiert in diesem Film über soziale Masken, Rollenbilder und Möglichkeiten bzw. Grenzen der künstlerischen Darstellung. Persona ist Ausdruck für die Schauspielmaske bzw. nach dem Psychoanalytiker C.G. Jung auch für die soziale Rolle eines Individuums. Der Film ist sicher auch deshalb nicht zum ersten Mal für das Theater adaptiert worden. Bereits 2009 gab es in der Box des Deutschen Theaters eine Inszenierung von Philipp Preuss mit Almut Zilcher und Valery Tscheplanowa. 2012 führte Amélie Niermeyer Regie bei einer Koproduktion des Residenztheaters München mit dem Habima-Theater in Tel Aviv, bei der die Schauspielerinnen Evgenya Dodina und Juliane Köhler an den jeweiligen Aufführungsorten die Rollen der Elisabeth und Alma tauschten.
Gleiches macht nun auch Anna Bergmann in ihrer Inszenierung. Nach der Premiere in Malmö, bei der Corinna Harfouch die Rolle der schweigenden Elisabeth verkörperte und die schwedische Schauspielerin Karin Lithman die Krankenschwester Alma spielte, sieht man nun am Deutschen Theater die ältere Schauspielerin Corinna Harfouch als eigentlich jüngere Alma (was auch noch mal eine ganz interessante Umdeutung ist), während Karin Lithman zu Beginn stumm am Boden liegt und Franziska Machens als Ärztin kurz die Geschichte des Verstummens von Elisabeth bei der Aufführung der Elektra erzählt. Man wähnt sich hier kurz wie in einer Aufführung der Regisseurin Susanne Kennedy. Die Stimmen kommen vom Band, und die Schauspielerinnen bewegen nur mechanisch den Mund dazu. Auf der aus einem Papiervorhang bestehenden Rückwand laufen Videos mit Nahaufnahmen von Elisabeths Gesicht, die mit scheinbaren Erinnerungsbildern wechseln. Ein verrätseltes inneres Kopfkino, wie es auch Bergmann immer wieder in seinem Film ablaufen lässt. Alma beriecht ihre Patientin, die dabei weiter regungslos liegen bleibt.
Ein Bühnenregen wäscht dann die Vorhänge runter und macht Platz für eine muschelartige Spiegelrückwand. Wasser fließt über den Boden, aus dem sich ein flaches Bassin bildet, in dem die Szenen im Haus am Meer spielen. Die Spiegel stehen natürlich ganz symbolisch für die Projektionsfläche, zu der die stumme Elisabeth für die ihr Leben vor ihr ausbreitende Alma wird. Corinna Harfouch spielt das erst ganz zurückhaltend naiv. Wird dann aber bei Wasserspielen mit Elisabeth, die beiden Masken schminkt, immer freier und offener. Die beiden vollführen in grauen Ganzkörpergewändern Darstellungstanz und kommen sich dabei immer näher. Schließlich erzählt Alma immer intimere Sachen aus ihrem Leben, sogar ein erotisches Erlebnis mit einer Freundin und zwei minderjährigen Jungen am Meer, nachdem es zu einer ungewollten Schwangerschaft und Abtreibung kam. Umso heftiger dann die Reaktion Almas nach dem vermeintlichen Verrat Elisabeths.
Anna Bergmann lässt hier aber nicht nur den Filmplot ablaufen, zudem dann auch noch der Besuch von Elisabeths Mann (Andreas Grötzinger) gehört, der Alma für seine Frau Elisabeth hält und sogar mit ihr schläft. Die Regisseurin, die seit dieser Spielzeit als Schauspieldirektorin am Badischen Staatstheater Karlsruhe die 100%-Frauenquote ausgerufen hat, möchte auch etwas über weibliche Rollenbilder und Konkurrenz bzw. Solidarität erzählen. Dazu eignet sich Persona natürlich besonders gut. Beide Frauen stecken in ihren sozialen Rollen fixiert auf Männer fest. Schauspielerin Elisabeth fehlt zur Komplettierung ihres Frauseins noch die Mutterrolle und Alma, die mit ihrem Mann ein normales bürgerliches Leben anstrebt, und nun durch die Begegnung mit Elisabeth immer mehr mit der fremden Identität verschmilzt. Die von Elisabeth gesungenen Songzeilen von The Velvet Underground & Nico „I'll Be Your Mirror, reflect what you are” verdeutlichen das nur umso mehr.
Das Trauma Elisabeths, die wie man in einer Erzählung Almas erfährt, ihren Sohn nicht lieben und in der Mutterrolle aufgehen kann, wird hier nur kurz gestreift. Die Befreiung aus einer inneren Isolation, die die Muschel auch darstellt, und die Suche nach der eigenen, neuen Rolle in der Gesellschaft stehen da mehr im Mittelpunkt. Zumindest bricht Elisabeth am Ende ihr Schweigen, steigt fluchend aus der Rolle aus und setzt sich ins Publikum, um von dort aus Alma weiter zu beobachten, die nun mit sich allein auf der Bühne bleibt. Ein offenes und abruptes Ende. Wie bei Ingmar Bergman bleibt da Raum für Interpretation. Vor allem darstellerisch vermag das Regiekonzept aber schon zu überzeugen.
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Persona am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 3. Dezember 2018 ID 11083
PERSONA (Kammerspiele, 01.12.2018)
Regie: Anna Bergmann
Bühne: Jo Schramm
Kostüme: Lane Schäfer
Musik: Hannes Gwisdek
Licht: Sven Erik Andersson
Video: Sebastian Pircher
Dramaturgie: Sonja Anders und Felicia Ohly
Mit: Corinna Harfouch, Karin Lithman, Franziska Machens und Andreas Grötzinger
Premiere im Stadttheater Malmö: 15. September 2018
Premiere am Deutschen Theater Berlin: 30.11.2018
Weitere Termine: 19., 20.12.2018
Koproduktion mit dem Malmö Stadsteater
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/
Post an Stefan Bock
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