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Uraufführung

Über die Bedrohung der Kunstfreiheit durch linke Moralisten und rechte Traditions- und Tugendwächter



Ode am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

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„Botschafter des Hasses“, „Clowns auf Hetzjagd“ - das sind Schlagzeilen eines momentan tobenden Kulturkampfs um den Schriftsteller Peter Handke und dessen Literarturnobelpreiswürdigkeit. Dabei entzündete sich vor allem die Diskussion daran, ob in der Kunst alles erlaubt ist bzw. man Kunst losgelöst vom Künstler betrachten darf oder der Mensch hinter der Kunst mit all seinen Schwächen und politischen Irrwegen immer mitgedacht werden muss. Der Schriftstellerkollege und Dramatiker Thomas Melle nahm das zum Anlass, sich in der Causa Handke mit einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort zu melden und die wegen Peter Handkes früheren angeblich despektierlichen Äußerungen zu den Opfern von Srebrenica und seiner uneingeschränkten Parteinahme für Serbien in den Balkankriegen erzürnte Twittergemeinde um den bosnisch-deutschen Schriftsteller und Gewinner des Deutschen Buchpreises Saša Stanišić in die Schranken zu Weisen.

*

Nun hat Melle für das Deutsche Theater in Berlin ein Stück geschrieben. Nicht von Peter Handke, aber von der Freiheit der Kunst handelt sein Ode genannter Kunstbeitrag zum Thema oder besser von der Bedrohung der Kunst durch selbsternannte linke Moralapostel wie rechte identitäre Tugendwächter gleichermaßen. Das birgt natürlich einiges an Aufregungspotential, möchte man meinen. In einem Interview mit dem Berliner Stadtmagazin Tip sagte Melle über sein Stück: „Es hat satirische Elemente, ist aber ein Blick auf den gesamtgesellschaftlichen Status Quo und deshalb an den meisten Stellen nicht satirisch, sondern bitterernst gemeint.“ Was die Gefahr birgt, selbst zum moralinsauren Eiferer in Sachen Kunst zu werden. Eine Klippe, die es halbwegs unbeschadet zu umschiffen gilt, was in der Regie der Melle-erfahrenen Regisseurin Lilja Rupprecht zunächst auch ganz gut gelingt.

Thomas Melle hat seine Ode dreiteilig angelegt. Um die nötige Fallhöhe zu konstruieren, lässt er im ersten Teil eine staatlich subventionierte Kunstprofessorin (dargestellt von Katrin Wichmann) namens Fratzer (Brecht lässt grüßen) auftreten, die ihr nicht sichtbares Kunstwerk mit dem Titel „Ode an die alten Täter“ vorstellt. Hintergrund ist ein Dank an die Nazis, die ihren gegen Großmutter und Mutter sexuell gewalttätigen Großvater umgebracht haben. Das ruft natürlich Abscheu und Kritik hervor, die sich hier u.a. durch eine Die Wehr genannte Gruppe äußert, verkörpert von den beiden Mitgliedern des Ramba Zamba Theaters Juliana Götze und Jonas Sippel, was einem zusätzlichen speziellen Verfremdungseffekt gleichkommt. Weiter im Team sind Alexander Khuon und Natali Seelig. Die in bunte Strickwaren (Kostüme: Christina Schmitt) gehüllte Kunstblase kocht. Der Faschismusvorwurf ist schnell geäußert. Dem Vorwurf „Hassrede“ folgt „Hassrede angezeigt“. Melle reichert das mit kulturhistorischen Begriffen wie „Bad Painting“, Beuys‘ sozialer Plastik, oder Adornos Diktum über die Kunst nach 1945 an. Auf die aus weißen federnden Planen umgrenzten Bühnenwände (Anne Ehrlich) werden im Lauf des Abends Videos projiziert, Kunst-Zitate und abstrakte Bilder gepinselt. Sicher hätte man hier auch den diktatorischen Kunstfreiheits-Provokateur Jonathan Meese auftreten lassen können. Um die Kunst geht es da aber bald nicht mehr, was zur Folge hat, dass die Künstlerin ihren Job verliert und sich unverstanden fühlend das Leben nimmt.

Jahre später im zweiten Teil versucht der Theaterregisseur Orlando (Manuel Harder) mit einer Schauspielerin (Katrin Wichmann) den Fall nachzustellen, was zu einer Diskussion über die Darstellbarkeit von Realität, wer überhaupt wen repräsentieren und für wen auf der Bühne sprechen darf, führt. Individualität abschaffen oder schillernd und ambivalent halten sind die Streitpunkte der Kunst, die sich bald ganz anderen Fragen nach Verständlichkeit und original Kostümen gegenüber sieht. Harder und Seelig fast nackt in Vergewaltigungspose, oder Harder mit Kopftuch als ausländische Putzfrau, das ruft natürlich wieder Die Wehr auf den Plan. Blackfacing oder das rußbeschmierte Gesicht des aggressiven Humanisten Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit polarisieren nicht nur die Kunstszene. In einem anderen bekannten Fall wurden ein paar Verse von Dichter Eugen Gomringer auf einer Hauswand zum Feindbild der öffentlichen Meinung.

Ob rechts oder links, identitäre oder Identitätspolitik, ist auch hier im Bürgerkrieg bald nicht mehr zu unterscheiden. Autor Melle hält in Bezug auf Kunst eh beides für Ideologie. Er proklamiert das Ende des Theaters, wie wir es kennen. Da wird in Zeiten der Performing Arts und des Dokutheaters aber sicher nicht mehr jeden beeindrucken. Bevor sich Melle weiter versteigt, wird’s nochmal satirisch, wenn Alexander Khuon mit Totenkopfmaske zum Hit des Alpenrockers Andreas Gabalier „A Meinung ham, dahinter stehn“ performt und damit wieder die Diskussion in Richtung rechts öffnet. Demokratiekritisches im Ton eines „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ klingt da ebenso an wie die Kritik an Gabalier, auf seinem Platten-Cover mit dem Körper ein Hakenkreuz nachzustellen. Martin Wuttkes Arturo-Ui-Pose und Martin Kippenbergers Gemälde mit dem Titel Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen sind nach wie vor aktuell im Kunstdiskurs.

Bis hierhin bleibt Melles Stück ambivalent, stimmt nachdenklich, und auch die Regie drängt sich außer mit ein paar choreografierten Tänzen und etwas Actionpainting nicht übermäßig erklärend und bebildernd auf. Doch dann kommt der Auftritt von Natali Seelig und Alexander Khuon als sogenannte Figur Präzisa, was dann wohl die Stimme des Autors wiederspiegeln soll und zur eigentlichen Ode an die Freiheit der Kunst im Theater an diesem zweistündigen Abend wird. Während im Kunststreit Die Wehr mit Deutschlandfahne das Kommando übernimmt, propagiert Präzisa eine Bühnenkunst, die weder Ideologie, Moral noch Politik, Staat oder Nation, sondern der „Freiheit der Handlung, der Kunst und der Welt“ verpflichtet ist. Doch bevor die Kunst in Schönheit stirbt, reißt sie sich „die Fratze vom Gesicht“ und knallt ins All usw. Das ist reine Poesie und aller Ehren wert, nur eben in der Länge auch etwas redundant. Die Kunst als Retter. „Es lebe Kunst!“ Da ist man fast schon wieder versucht, die Kunst in „Vielfalt, Leben und Sinn“ vor dem allzu pathetischen Kunstbefreier in Schutz zu nehmen.



Ode am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

Stefan Bock - 22. Dezember 2019
ID 11900
ODE (Kammerspiele, 20.12.2019)
Regie: Lilja Rupprecht
Bühne: Anne Ehrlich
Kostüme: Christina Schmitt
Musik Philipp Rohmer
Video: Moritz Grewenig
Choreografie: Jana Rath
Licht: Kristina Jedelsky
Dramaturgie: Juliane Koepp
Mit: Katrin Wichmann (als Fratzer), Manuel Harder (als Orlando), Alexander Khuon und Natali Seelig (als Präzisa) sowie Juliana Götze und Jonas Sippel (als Die Wehr)
Live-Musik: Philipp Rohmer
Uraufführung am Deutschen Theater Berlin: 20. Dezember 2019
Weitere Termine: 21., 27.12.2019 // 08., 21.01.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


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