Queere Berliner auf Identitätssuche
METEORITEN von Marianna Salzmann
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Foto (C) Esra Rothoff
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Bewertung:
Kompliziert hatte es Marianna Salzmann schon in ihrem letzten Stück Wir Zöpfe: schwierige Identitätsprobleme in einer russisch-jüdischen Familie in Berlin, die sich an Weihnachten noch weiter internationalisierten. Ganz ähnlich geht es in ihrem neuen Stück Meteoriten, das diesmal im Berliner Sommer angesiedelt ist, was die Story nicht unbedingt entspannt. Wir treffen zunächst auf zwei Paare: Udi (Thomas Wodianka) aus Israel, der den Syrer Roy (Mehmet Ateşçi) liebt, der wiederum betont nicht wegen des Krieges, sondern wegen der Liebe in Berlin zu sein. Sie sind befreundet mit der schwarzen Türkin Üzüm (Thelma Buabeng), die eine lesbische Beziehung zur transsexuellen Cato (Mareike Beykirch) hat. Das ist für eine deutsche Otto-Normal-Hete für den Anfang schon recht viel.
Marianna Salzmann, die sich als Ausdruck ihrer männlichen Seite den Vornamen ihres Großvaters Sasha dazugewählt hat, schickt vier queere Berliner mit verschiedensten Migrationshintergründen los, als Pioniere die Welt zu retten, indem sie beschließen als zukünftige Großfamilie Kinder in selbige zu setzen. Soweit der Plan und die Abmachung. Vor der schon nicht ganz einfachen Weltenrettung setzt aber nun die Autorin zwecks Drama erst noch eine viel kompliziertere Ich-Werdung, die sich bei den einzelnen Figuren ganz unterschiedlich vollzieht. Titelgebende Meteoriten sind sie alle irgendwie, und sei es nur als schöner, verglühender Stern kurz vor dem Aufschlag in der Realität. Einige katastrophale Verheerungen in der Gefühlswelt der anderen richtet zumindest der Einschlag von Serösha (Dimitrij Schaad) in die Phalanx der zwei scheinbar glücklichen Paare an.
Zumindest möchte Serösha so cool sein wie jemand, der beim Einschlag des Meteors von Tscheljabinsk nur kurz die Scheibenwischer anstellt und weiterfährt. Wegen des Wehrdienstes aus Russland nach Berlin geflohen, hat er Angst zur Beerdigung seines Vaters, eines hohen russischen Militärs, zu fahren und bittet Cato ihn zu begleiten, allerdings nicht als Freund, sondern als seine Frau, so wie Serösha Cato auch gerne sähe. Das stürzt den gerade voll mit seiner „Transition“ Beschäftigten in eine zusätzliche Identitätskrise. Und auch Serösha hat arge Probleme. Er kann sich nämlich seine latente Homosexualität nicht eingestehen, was sich ziemlich aggressiv auch in Schüben von Homophobie äußert. In eine Schwulenbar läuft er Roy und Udi über den Weg, die sich ihren Traum vom eigenen Heim mit dem Abziehen von Touristen erfüllen wollen. In einer schönen Schattenchoreografie zu Musik und Videoeinspielung wird Serösha von beiden im Darkroom verführt.
Wenn es verworren und kompliziert sein soll, hat es sich in letzter Zeit als sehr effizient gezeigt, ein vertikales Schachtelbühnenbild zu bauen. Im Gorki Theater schraubt Magda Willi ein Gerüst aus Metallleitern mit betonfarbenen Ebenen zwischen zwei Wände, auf dem es sich herrlich herumklettern lässt. Das Ensemble ist hier die ganze Zeit auf der Bühne, macht live Musik und filmt sich beim Spielen. Auf die Rückwände der Wohnzellen projiziert Videofilmer Guillaume Cailleau zusätzlich die reale Welt mit Syrien-Krieg, Maidan und Krim-Annexion, die die Fünf gerne ausblenden, aber immer wieder von ihr eingeholt werden. Als aktueller deutscher Hintergrund dient die Fußballweltmeisterschaft 2014. Was zumindest für Üzüm von Bedeutung ist, die sich voll integriert mit Deutschland-Makeup von ihrer kriselnden Beziehung zu Cato ablenken will.
Die anderen stoßen die nationalen Gesänge eher ab, oder sie klopfen wie Roy und Udi ironische Sprüche zum Holocaust-Denkmal und ihrer für deutsche Verhältnisse unklaren Identität. Roy macht Dienst beim schwulen Überfalltelefon und berichtet von homophober Gewalt, vor deren Auswüchsen in Russland auch Serösha Angst hat. Viel mehr Politisches ist nicht im Stück, es dreht sich mehr oder weniger um die Beziehungsprobleme der Figuren, die sich immer mehr auseinanderleben, je mehr Autonomie sie vom anderen für sich einfordern. Das betrifft vor allem Roy, dem seine Freiheit lieber ist als der Plan vom Eigenheim mit Kind und Udi. Was den armen Kerl in eine herrlich schräge Liebeskummerszene stürzt. Während er sich anhänglich bei Serösha ausheult, liefern sich Üzüm und Cato ein paar Eifersuchtsszenen. Man wirft sich gegenseitig den Verrat an der gemeinsamen Idee vor.
Als zusätzliche gedankliche Metaebene zu den Geschlechter-Irrungen und Beziehungs-Wirrungen zieht Sasha Marianna Salzmann monologisch vorgetragene Episoden ein, die von den Metamorphosen des Ovid angeregt sind. Das geht von der entführten, nun rachsüchtigen Europa über den Seher Teiresias, der in beiden Geschlechtern lebte, bis zur Vereinigung der Nymphe Salmakis mit dem Hermaphroditos, von der am Ende Cato berichtet. Da ist er/sie wahrscheinlich schon tot, durch einen homophoben Übergriff ums Leben gekommen, und beschwört noch einmal die Vollkommenheit und die Liebe als schmerzhafte Suche nach dem einst verlorenen zweiten Geschlecht.
Regisseur Hakan Savaş Mican inszeniert das mit gewohnt leichter Hand. Man schaut den SchauspielerInnen gerne zu, auch wenn mit der Zeit der allgemein boulevardeske Stil am Gorki fast jedes Stück irgendwie gleich aussehen lässt. Man läuft hier Gefahr das bereits als Gorki-Boulevard Betitelte zur neuen Norm zu erklären. Berühren tut das hier schon, auch wenn nicht jeder Charakter gleichermaßen überzeugt. Man möchte den manchmal verbissen mit sich ringenden ProtagonistInnen gerne zurufen: Seid doch einfach alle, wie ihr seid - ganz normal!
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Stefan Bock - 17. April 2016 ID 9260
METEORITEN (Maxim Gorki Theater, 15.04.2016)
Regie: Hakan Savaş Mican
Bühne: Magda Willi
Kostüme: Miriam Marto
Musik: Michelle Gurevich
Video: Guillaume Cailleau
Licht: Jan Langebartels
Dramaturgie: Jens Hillje
Mit: Mehmet Ateşçi, Mareike Beykirch, Thelma Buabeng, Dimitrij Schaad und Thomas Wodianka
Uraufführung war am 15. April 2016
Weitere Termine: 18., 29. 4. / 8., 22. 5. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de
Post an Stefan Bock
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