Die Formel
des Hasses
entschlüsseln
GOTT WARTET AN DER HALTESTELLE von Maya Arad Yasur
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Gott wartet an der Haltestelle von Maya Arad Yasur am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Krafft Angerer
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Bewertung:
Nicht weniger als die Formel des Hasses, der seit vier Generationen zwischen Palästinensern und Israelis herrscht, mit ihrem Stück Gott wartet an der Haltestelle zu entschlüsseln, nahm sich die junge (israelische) Autorin Maya Arad Yasur laut dem im Netz nachlesbaren Interview vor. Eine veritable Vermessung des ganzen Elends hat sie auf jeden Fall abgeliefert. Ob hier eine Entschlüsselung überhaupt noch nötig ist, mag angesichts des alttestamentarischen „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ jede/r selber entscheiden.
Für jeden Zuschauer (da bin ich bereit zu wetten) kommt irgendwann im Stück der Moment, wo man einfach nur noch rausrennen will - allein der Zeitpunkt dürfte von der emotionalen Grunddisposition und der Tagesform abhängen. Selbst wenn man halbwegs vorbereitet in den Abend geht, sind Stück und Spiel der fünf AkteurInnen derart niederdrückend, das man dem nicht entgehen kann.
Dabei weiß man doch vorher, worum es geht: Ein scheinbar unauflösbarer Konflikt zwischen denen, die mit gutem Recht endlich einen eigenen Staat bekamen nach dem letzten Weltkrieg, und jenen, die schon da waren und am grünen Tisch schlicht übersehen wurden.
Und wenn man in ein betonstaubiges Flüchtlingslager hineingeboren wird und das Blau des Himmels für jenes halten muss, das das Meer bei Haifa trägt, ist der Märtyrertod vermutlich das Größte, was man im Leben erreichen kann.
Und wenn man schon als Baby das Geheul der Sirenen und den Gestank verbrannten Fleisches so normal wie unsereins Waldluft empfand, weiß man mit Sicherheit, dass der beste Platz im Leben der Grenzposten zu Palästina ist - mit der MPi im Arm. Was gibt es da groß zu entschlüsseln?
Aber es ist hier dennoch von einem Theaterstück zu berichten, einer deutschen Erstaufführung zumal (die deutschsprachige EA fand am Wiener Volkstheater statt, was sicher eine Empfehlung ist). Und da wird am Anfang mächtig Atmosphäre gemacht, eine gruselige Musik, militantes Gehabe, die scharfen Kommandos der Einlassgarde funktionieren erwartbar gut. Das Publikum kuscht und nimmt die zugewiesenen Plätze ein, zwei gegenüberliegende Tribünen auf der Hinterbühne, dazwischen einige Tische, die ein Restaurant andeuten. Man wird – wenn man nicht einer Ahnung folgend sich so frühzeitig im Saal einfand, um noch die sicheren Hinterbänke zu erreichen – Teil des Geschehens, vor allem Teil der Anschlagsopfer. Die Mailboxes von Sandra, Oliver, Clemens und anderen sind dann irgendwann schlicht das, was vom Menschen übrig blieb…
Die Herleitung eines Selbstmordanschlags beginnt mit der Geburt im Flüchtlingslager und endet mit der Situation als Krankenschwester ohne –haus, als Dreißigjährige ohne Mann und Kind – also übrig geblieben nach traditioneller Logik - und als Tochter und Schwester von Märtyrern. Was bleibt da noch, wenn man der gesellschaftlichen Ächtung entgehen will? Ein Kissen unter das Kleid, darunter die Bombe, die Grenzposten schießen nicht auf Schwangere. Sie ist jetzt eine Braut des Vaterlandes. Und noch dreißig Juden mitgenommen auf dem Weg aus dem trostlosen Leben; eine weitere, die Soldatin, die sie durchließ, wäre besser mit auf die Reise gegangen.
Das ganze Elend dieses Krieges wird sichtbar im Spiel der fünf großartigen Akteure, die Herren Mathis Reinhardt, Loris Kubeng und Nicolas Streit changieren perfekt zwischen drei bis fünf Rollen, während Henriette Hölzel als Amal und Laina Schwarz als Soldatin Yael ihren Rollen eine beklemmende Tiefe geben. Spaß macht das keineswegs zuzuschauen, aber es nötigt großen Respekt ab.
Vor einem guten (?) Jahr fand im selben Hause ebenfalls eine Erstaufführung statt, ichglaubeaneineneinzigengott. von Stefano Massini in der Regie von Nora Otte, wo die nicht nur von mir sehr vermisste Cathleen Baumann in einem großartigen Mono-Trialog das Thema aus einer ähnlichen Perspektive beleuchtete, wenn auch etwas differenzierter, vor allem auf jüdischer Seite. Auch weil dies am Abend nach Bataclan stattfand, fällt es schwer, das zu vergessen.
Aber Maya Arad Yasur kann mithalten, ihr Stück bietet eine Innenansicht, die Massini vermutlich nicht möglich wäre. Beide zusammen (und mir fällt auch noch das Tanzstück Marathon von Aharona Israel ein) bieten ein realistisch-trauriges Bild des Landstrichs ab, in welchem große Teile der Menschheitsprobleme aufeinanderprallen, immer und immer wieder - wie die Wellen des Meeres auf die Küste, ohne Aussicht, daß der Wind sich legt.
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Gott wartet an der Haltestelle von Maya Arad Yasur am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Krafft Angerer
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Sandro Zimmermann - 10. Dezember 2016 ID 9737
GOTT WARTET AN DER HALTESTELLE (Kleines haus 2)
Regie: Pınar Karabulut
Bühne und Kostüm: Franziska Harm
Musik: Daniel Murena
Licht: Rolf Pazek
Dramaturgie: Julia Weinreich
Besetzung:
Amal, Krankenschwester ... Henriette Hölzel
Yael, Soldatin ... Laina Schwarz
Thaiser, Amals Vater / Leutnant Yaniv, Offizier / Kellner ... Mathis Reinhardt
Dr. Abu Khaled, Arzt / Nasrin, Kindheitsfreundin von Amal / Chemi, Mitarbeiter des Shabak (Israelischer Inlandsgeheimdienst) / Fares, Amals Bruder ... Loris Kubeng
Nabila, Amals Mutter / Jamal, Taxifahrer / Zachi, Soldat ... Nicolas Streit
DEA war am Staatsschauspiel Dresden: 9. Dezember 2016
Weitere Termine: 14., 23., 30. 12. 2016 // 10., 13. 1. / 4. 2. 2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de
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