Inkontinenzfreundlicher Endlosschleifer
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Kaputt - Plakat (C) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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Bewertung:
Der neue Essay [zur neuen Castorfoper, die da heißt: Kaputt] von Dramaturg Sebastian Kaiser wurde von ihm mit Die Exorbitanz des Bösen überschrieben und führt uns ins aktuell-ambitionierte Großprojekt des Künstlerintendanten und Vorlagenfledderers Frank Castorf ein:
"Aus heutiger Sicht frappierend zeitnah zu den politisch-historischen Zäsuren Anfang des 20sten Jahrhunderts – Oktoberrevolution bis Kapp-Putsch – und zunächst anhand des Antagonisten Paares Trotzki-Stalin, erläutert 1931 der damals 32 jährige Kurt Erich Suckert (so der Geburtsname Malapartes), die Überlegenheit der Trotzkischen Strategie. Nicht die überzeugten Massen, schon eine Handvoll entschlossener Ingenieure der Revolution reiche aus, um ein ganzes Land, ein Staatswesen aus den einen ideologischen Stiefeln zu heben und in andere zu stecken. Und im Verteidigungsfall müsse der Staat eben genau auf diese einige hundert Attackierer achten und die möglichen neuralgischen Ziele, die die Gesellschaftsmaschine am Laufen halten, schützen", heißt es da gleich zu Beginn (auf volksbuehne-berlin.de) bezugnehmend auf Curzio Malapartes Sachbuch über die Technik des Staatsstreichs, das auch "damals" Fidel Castro oder Hugo Chávez neugierig studiert hätten. Und: "Von Deutschland aus können wir all die Systemstürze und lokalen Kriege noch ungerührt zur Kenntnis nehmen, vielmehr aus allem unseren persönlichen Gewinn ziehen. Wir können Flüge ins Strandparadies Kuba buchen und staunen, wie dort Wirtschafts-Sanktionen nach 60 Jahren tatsächlich bei den Menschen auf der Karibik-Insel angekommen sind. Arm aber so glücklich! Vielleicht ist es ja Bedingung dafür, dass wir in unseren Friedenszentren Mitteleuropas so sorglos leben können, dass sich dafür Länder und zig Millionen Menschen an der Peripherie unser Hegemonialsphäre radikal ändern müssen? Dass sie uns ähnlicher werden? Dass sie uns ähnlicher werden wollen?"
Ja, ein spannender Essay - zum Nachlesen empfohlen!
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Malapartes 1946 veröffentlichtes Kriegsreportagensammelsurium mit der reißerischen Überschrift Kaputt war also nun - außer der grauen Theorie davor [s.o.] - das haupteigentliche Material, das szenisch zu bearbeiten und zu zerfleddern sich der Castorf aktuell zum Ziel setzte - - was gab es also in dem anstrengenden 6-Stünder im Großen Opernhaus am Rosa-Luxemburg-Platz dieses Mal so Alles (mit) zu sehen und zu hören??
Bühnenbildnerisch beschränkte sich Bert Neumann auf die Farben Gelb und Schwarz. In einer über einem knöcheltiefen Planschkanal schwebenden Blackbox (die dann auch als altbewährtes Filmstudio fürs Kamerateam Deinert/Klütz & Crull diente) fanden die abgevideofizierten Nahaufnahmen unzähliger und nicht minder wortreicher Debatten zwischen Der und Dem und Dem und Dem und Der und Der statt; meistens wussten wir jedoch mitnichten, wer "original" gemeint gewesen sein sollte. Und Neumanns Materialien für die Einfassung oder Grundierung seines üppig abgesteckten Großraums waren abwaschbar, weil: Es war viel herumgeplanscht worden, und so was spritzt dann halt überallhin...
Akustisch gab es kaum Probleme, denn es wurde (wie bei Castorf üblich) auch sehr viel herumgeschrieen. Da die von ihm strapazierten Miminnen und Mimen allerdings perfekte Profis also hart im Nehmen sind, konnte man sie dann auch zumeist recht gut verstehen; trotz Geschrei. [Wir gehen gleich noch auf paar Einzel-Beispiele was näher ein.]
Der große Themenabend kreiste a) ums Biografische und b) ums Werkliche des als "kaputt" Bezeichneten. Was uns - als Nichtkenner des Schöpfers resp. seiner uns nunmehr durch die Performance angepriesenen Kaputt-Schwarte - so nach und nach dann klar und klarer wurde, war, dass Malaparte in den 1940ern als Kriegsberichterstatter unter anderem beim damaligen Polengouverneur Hans Frank gewesen sein muss und sich dort, also vor Ort, auch übers sog. Warschauer Ghetto "informieren" ließ und mit dem Nazi inkl. seiner Frau (Britta Hammelstein) privat dann über Dies & Das (deutsche Herrenrasse vs. jüdisches Untermenschentum) zu plaudern sich befleißigte; falls das dann stimmte... Denn bei den vom Regisseur gemischten Plaudereien waren auch so Nazi-Koryphäen wie z.B. Graf Augustin de Foxa, der spanische Gesandte in Helsinki (Horst Günter Marx) oder Kaarlo Hillilä, der Gouverneur der Provinz Lappland (Axel Wandtke) mit zugegen. Aber irgendwie werden's schon passend gemachte Stellen und Zitate aus der Malaparte-Schwarte gewesen sein, blieb zu vermuten.
Das Gequatsche allerdings schien endlos, ja, es hörte und hörte einfach nicht mehr auf...
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Italienische Malaparte-Briefmarke | Bildquelle: papalepapale.com
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Handlungsmäßig schwippte und schwappte es hin und her und vor und wiederum zurück. Aus Tätern wurden Opfer und Besatzte; die Besatzer (Amis, selbstverständlich) kriegten dann durch Georg Friedrich ein persönliches Gesicht - - das fing schon gleich am Anfang damit an, dass der schön-schlanke Patrick Güldenberg (als der gewesene Hans Frank und also personifiziertes "Opfer"), der schön-splitternackt im Planschkanal wie um sein Leben robbte, von dem bösen Ami umkehrseitig drangsaliert wurde; doch eigentlich sah's mehr so wie ein Wassercatch in einem Schwulen-Spaßbad aus; apropos:
Es ging auch um "marxistische Päderastie" oder so; das Thema zog sich wie ein roter Faden über die sechs Stunden hin...
Mex Schlüpfer konnten wir die ganze Zeit (ein-eindeutig) als Franco Vegliani, den vermeintlich ersten Biografen Malapartes, identifizieren; er trat meistens dann im Smoking auf und führte überväterlich-authentisch durch gepflegte Dialoge.
Margarita Breitkreuz' rollenträchtige Verortung schloss sich uns nicht völlig auf - wir nahmen aber an, dass sie so ein versprengtes russisches Mädchen darzustellen hatte. Ihre Großaufnahmen (vom Gesicht) sind ja ein Fest an sich; aus ihrem schönen großen Mund kämpften sich starke Sätze in nicht minder starker Phongewalt, doch bitte fragen Sie jetzt nicht, worum's da ging; wir haben es bereits wieder vergessen.
Wie das Allermeiste, was uns dann der eigentliche "Hauptstar" Malaparte wortreich zurieselte, i.d.R. völlig uneinprägsam war und daher als unnachvollziehbar bei uns geistig Überforderten hart abknallte. Untoppbar starke Monologisierungsvarianten freilich boten sich der Topp-Heldin der Schwerstarbeit Jeanne Balibar!! Was sie aus all den Text-Zumutungen dann machte, war und ist bewundernswert!
Kriegsschauplätzige Neben-Highlights steuerten die großen Altstars der Berliner Volksbühne Bärbel Bolle (als alte Rumänin), Harald Warmbrunn (als alter Rumäne) und Frank Büttner (als im Ritual gebärender Cicillo und als Boxlegende Max Schmeling) bei.
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Wir hatten trotzdem nicht verstanden, was du, lieber Castorf, uns mit deiner neuen Großoper dann sagen wolltest.
Warum tust du uns das an?
Was haben wir dir bloß getan??
Warum musst du uns derart quälend auf die Probe stellen???
Brauchst du nicht - wir lieben dich auch so. So wie du nun mal bist.
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Andre Sokolowski - 8./9. November 2014 ID 8234
KAPUTT (Volksbühne Berlin, 08.112014)
Regie: Frank Castorf
Bühne und Kostüme: Bert Neumann
Licht: Lothar Baumgarte
Kamera: Andreas Deinert und Mathias Klütz
Video-Schnitt: Jens Crull
Ton: Wolfgang Urzendowsky und Christopher von Nathusius
Ton-Angel: William Minke
Dramaturgie: Sebastian Kaiser
Mit: Jeanne Balibar, Margarita Breitkreiz, Bärbel Bolle, Frank Büttner, Georg Friedrich, Patrick Güldenberg, Britta Hammelstein, Horst Günter Marx, Mex Schlüpfer, Axel Wandtke und Harald Warmbrunn
Uraufführung war am 8. November 2014
Weitere Termine: 13., 22. 11. / 5., 12., 20. 12. 2014
Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
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