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Autorentheatertage Berlin 2016

LSD - Mein Sorgenkind von Albert Hofmann durch Thom Luz

Theater Basel


Bewertung:    



Von wegen LSD-Trip. Es sollen schon Radfahrer allein an der reinen Schweizer Bergluft einer Art Höhenrausch verfallen sein. Nun hat aber der Schweizer Chemiker Albert Hofmann die Wirkung der von ihm entdeckten Droge LSD, einem Derivat der aus dem Mutterkorn gewonnenen Lysergsäure, 1943 tatsächlich bei einer Velo-Fahrt von Basel in den Vorort Bottmingen an sich selbst getestet. Dieser halbwegs kontrollierte Trip, den Hofmann minutiös festhielt und seine Erfahrungen 1979 in dem Buch LSD - Mein Sorgenkind veröffentlichte, inspirierte den hochgelobten Theater-Experimentator Thom Luz zu einer theatralen Wiederholung. Dabei interessierte ihn allerdings weniger der eigentliche Drogenrausch als die Tatsache des im Buch beschrieben Phänomens, „in relativ kurzer Zeit in einen Bereiche vorzudringen, der sich in Worten nur schwer ausdrücken lässt.“

Nun gleichen die Beschreibungen von Albert Hofmann schon recht genau den Vorstellungen, die man gemeinhin mit solcher Art von Drogenerfahrungen verbindet. Psychedelische Zustände und visuelle Halluzinationen mit übersteigerten Klang- und Farbwahrnehmungen. Zitat: „Kaleidoskopartig sich verändernd drangen bunte phantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wieder schließend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluss.“ Besonders merkwürdig war Hofmann, „wie alle akustischen Wahrnehmungen (...) sich in optische Empfindungen verwandelten". Und genau dahin zielt der Versuch des Bühnen-Tüftlers Luz.

Dabei ist das Instrumentarium, das der Regisseur hier auf großer Bühne auffährt, relativ sparsam. Thom Luz und Wolfgang Menardi haben einen Versuchsraum geschaffen, der einem Laboratorium wie in der Schweizer Sandoz AG in etwa nahe kommen könnte. Hohe weiße Wände, ein paar Pflanzen und Stühle, dazu ein Cembalo, Soundmixer, Klangstangen, Speichenräder, Monitore, auf denen eine Kamerafahrt durch das nächtliche Basel übertragen wird, eine Verkehrsampel und ein Vogelkäfig.

Es dauert etwas, bis sich das Schauspielensemble, das weiße Kittel und auch mal Atemmasken trägt, eingerichtet hat. Man spielt Minimalmusik und spricht Fragmente aus den Erinnerungen Albert Hofmanns. Etwa die einer „Verzauberung aus Kindertagen“ bei einem Waldspaziergang, bei dem ihm plötzlich alles wie in einem hellen Licht erschien. Ein „Glücksgefühl der Zugehörigkeit und der seligen Geborgenheit“. Dazu zwitschern die Vögel, am Mischpult entstehen immer wieder experimentelle Störgeräusche, und verzerrte Stimmen wie aus dem All gefunkt sind wahrnehmbar.

Vieles wird nur angestimmt, bleibt aber schnell wieder stecken. Ein gewisses ironisch entschleunigtes Marthaler-Feeling macht sich breit. Man singt im Chor Partien aus Haydns Oratorium Die Schöpfung, was sehr gut zum Schöpfungsakt des Wissenschaftlers und seiner späteren Aussage zum Bewusstsein als dem größten Geschenk des Schöpfers an die Menschen passt. Zu den Zustandsbeschreibungen auf der Fahrradfahrt Hofmanns, die genaue Orte, Straßen und Plätze benennen, werden immer mehr Klaviere aufgefahren, in die lange Papierrollen eingespannt sind. Die Dämpfer der Hämmer sind mit Farbe getränkt und hinterlassen beim Anschlag entsprechende Farbmuster auf den Rollen, die an Prospektstangen hochgezogen, schließlich einen ganzen Wald bilden. Die Farbklaviere erzeugen einen sehr schönen Effekt in Klang und Bild, der aber der einzige Farbtupfer auf dunkler Bühne bleibt.

„Der Mechanismus des LSD ist ganz einfach: die Tore der Wahrnehmung werden geöffnet und wir sehen plötzlich mehr - von der Wahrheit.“ Dabei hatte sich Hofmann bei der Erprobung tätige Mithilfe vom deutschen Schriftsteller Ernst Jünger geholt. „Es handelt sich ja eigentlich nicht nur um das Visuelle, sondern um die Schärfung der Sinnesorgane überhaupt. Ich möchte sagen, die Bandbreite wird nach beiden Seiten verlängert und überschritten.“ lässt sich der drogenerfahrene „Psychonaut“ in einem Gespräch mit Albert Hofmann in den 1970er Jahren vernehmen.

Auch bei Luz zerrt es zumindest akustisch mal in die eine, mal in die andere Richtung. Zu wirklichen Grenzüberschreitungen kommt es aber nicht. Als kleine Wahrnehmungsstörung funktioniert der Abend ganz gut, wenn man sich schon über das Singen von Beatles-Songs in Spanisch wundert. Nun gilt ja Musik durchaus als spiritueller Rauscherzeuger. Besonderer Mittelchen zur kollektiven Verzückung braucht es da nicht unbedingt. Eine akustische oder visuelle Bewusstseinserweiterung oder gar Explosion der Sinne bleibt hier aber weitestgehend aus. Es wirkt eher wie der meditative Versuch einer spirituellen Kontemplation. Luz verabreicht sein LSD in homöopathischen Dosen. Ein Vogel im Käfig eben. Auch Ernst Jünger bezeichnete die Modedroge der Hippies, nachdem er sie zu stark mit Wasser verdünnt hatte, als Hauskatze verglichen mit dem Königstiger Meskalin.

Man lese LSD. Albert Hofmann und Ernst Jünger. Der Briefwechsel 1947 bis 1997, der den intellektuellen Austausch Hofmanns mit dem experimentierfreudigen, nicht ganz unproblematischen Künstler und Lebensphilosophen Jünger dokumentiert. Der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen und der Biologe Cord Riechelmann kommen in einem im Buch veröffentlichten Gespräch über Jüngers Drogenexperimente und dessen Essay Annäherungen. Drogen und Rausch zu der interessanten Feststellung: „Wozu habe ich einen Möglichkeitssinn, wenn er mir nicht den Blick auf die Wirklichkeit erweitert?“ Musils „Möglichkeitsmensch“ lässt grüßen. Außerdem klingt das dann schon fast wie eine ultimative Aufforderung für experimentierende Theatermacher.



LSD - Mein Sorgenkind am Theater Basel / Foto (C) Simon Hallström

Stefan Bock - 17. Juni 2016
ID 9386
LSD - MEIN SORGENKIND (DT Berlin, 15.06.2016)
Inszenierung: Thom Luz
Bühne: Thom Luz, Wolfgang Menardi
Kostüme/Licht: Tina Bleuler
Musik: Mathias Weibel
Dramaturgie: Ewald Palmetshofer
Mit: Carina Braunschmidt, Mario Fuchs, Wolfgang Menardi, Daniele Pintaudi, Mathias Weibel und Leonie Merlin Young
Uraufführung am Theater Basel: 31.Oktober 2015
Gastspiel des Theaters Basel zu den Autorentheatertagen Berlin 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-basel.ch/


Post an Stefan Bock

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