Bayreuther Festspiele 2010
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Was hat
Jonas Kaufmann
am Hindukusch
zu suchen?
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Jonas Kaufmann sieht aus wie ein Italiener, stammt jedoch aus München... und das Publikum im Festspielhaus von Bayreuth kreischte laut und lüstern, als es Jonas Kaufmann schließlich vor dem Vorhang sah! - Foto (C) Bayreuther Festspiele 2010
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"Der Mensch braucht die Berührung, das Berührtwerden, sonst ist er verloren." Ein schönes Zitat vom guten Neuenfels, der dieses Jahr nun endlich auf dem Grünen Hügel - wo er sich mit dem Kostüm- und Bühnenbildner von der Thannen an dem neuen Lohengrin zu schaffen machte - debütierte.
[Andris Nelsons, der den neuen Lohengrin genialisch dirigierte, hatte auch da debütiert; doch dazu später.]
Solche Sätze (s.o.) sind im Übrigen zuhauf zu finden im Programmheft; dieser, beispielsweise, fällt mir hier noch ein: "Wir sind doch alle Neger." Und mit diesem Satz - wir wollen ja nichts dem Globalzusammenhang entreißen - reagierte er ganz unverfroren-prompt auf Lemke-Matweys Querschlenker zum Hindukusch; der gute Neuenfels behauptete nämlich an einer Stelle, also sinngemäß, dass über 60 Jahre Frieden (und er meinte freilich Friede-Freude-Eierkuchen) nicht so furchtbar gut für "deutsche Seelen" wären oder sind (und was er damit eigentlich ja sagen wollte und auch letztlich sagte, ist, dass Menschen immer wieder Kriege oder Katastrophen bräuchten, um auf sich und ihre Menschlichkeit zurückgestutzt werden zu können), und die Interviewerin warf kurz mal ein, dass Deutsche immerhin, also zur aktuellen Gegenwart, an Fronten weilen würden, wo sie gar nicht hingehörten oder so oder so ähnlich - was der Lohengrin so Alles an Gesprächsstoff bietet; nicht zu fassen!!
Jedenfalls meinte der gute Neuenfels, von Lemke-Matwey außerdem auf Wagners meist gestrichene Ensembleszene aus dem dritten Akt à la "Nach Deutschland sollen noch in fernsten Tagen des Ostens Horden siegreich nimmer zieh'n" (und was für eine Scheißstelle, die auch der gute Neuenfels dann strich, das ist!!) gestupst: "Da wir Deutschen immer Angst haben, als Faschisten zu gelten, wenn wir uns zu uns selbst bekennen, müssen wir vor Wagner keine Angst haben. Im Gegenteil: Er ist unser Katalysator, er doppelt diese Ängste auf. Mit Wagner kommen wir dem Deutschen kritisch am allernächsten." Und nicht nur Deutschem; Wagner tut ja auch dem Seel(ch)en von dem Rest der Welt ganz gut.
Darum auch war der neue Lohengrin in eine Art Versuchslabor verlegt.
Und darum gab es auch die Ratten - fulminant schauspielernder/singender Festspielchor (Choreinstudierung: Eberhard Friedrich) - beim neuen Lohengrin zu sehen; Ratten zählen ja zu dem beliebtesten Versuchsgetier der Pharmazie; also auf Ratten kann man sich in jedem Fall verlassen, und: "Wenn 80 Ratten singen, ist das etwas anderes, als wenn 80 Behelmte singen. Diese Optik schlägt jede Bizarrerie."
Gesagt, getan.
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Annette Dasch (Elsa) hat es mit einem sehr designerhaften Schwan zu tun, und zwischen ihm und ihr ist auch noch Evelyn Herlitzius (Ortrud), die ihr nicht partout dann keine Ruhe lassen will... - Foto (C) Bayreuther Festspiele 2010
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Ich unterhielt mich angeregt mit einem Schweizer Kritiker, der neben mir gesessen hatte und die meiste Zeit, wo's dunkel war, dann schlief; er sah so aus, als wäre er schon über hundert, und er nannte sich auch selbstironisch einen Alten Hasen. "Schon der Volksglaube", begann er mir den Plot des Lohengrin umstandslos zu verkürzen, "meint, 'was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß'." Ich stutzte kurz. Er schmunzelte; "Sie wissen, was ich damit sagen will?" - "Ich ahne es", erwiderte ich eingeschüchtert. - "Sehen Sie, mein junger Freund, so war, so ist, so bleibt es wohl für alle Zeiten: Eine gute Ehe klappt nur so."
So oder ähnlich könnte es dann auch der gute Neuenfels interpretiert gewusst sehen, ja und die nachgerade Brautgemachszene im dritten Akt war auch so ziemlich mit das Beste, was den Beiden (Neuenfels & von der Thannen) zu dem neuen Lohengrin dann eingefallen war:
Das blütenweiße Hochzeitsbett war von vier silberschwarzen Kordeln eingezäunt und ließ zu einer Aufbahrstatt in spe hindenken; eine Kuschelwiese war das nie und nimmer; viel zu installiert; ein nach Persil duftender Liebestöter, der den Schweißfluss in der Leistengegend vorsorglich und ohne jede Hoffnung auf ejakulierende Entäußerungen stoppte... Dieses Möbel muss wohl auf ein Zuwirken von Elsa von Brabant - neben dem König Heinrich, seinem Heerrufer sowie dem Telramund und seiner Ziehfrau Ortrud Mitbewohnerin des Handlungsortes an der Schelde (heute: Belgien oder so) - gezimmert worden sein; also es war dann schon, vielleicht von ihr sogar, vorherbestimmt gewesen, dass das Möbel erst nach der Beantwortung jener bewussten Frage ('Sag, mit wem und wo hast du vor mir gefickt?!') zum Beischlaf freigegeben worden wäre. Dazu kam es aber leider nicht! Sehr schade auch - - wir hätten gern gesehen, wie sich Jonas Kaufmann & Annette Dasch als Liebespaar pseudobegatteten... Doch ohnehin waren sie, und nicht nur in ihren blütenweißen Schlafanzügen, so von derart unnahbarer Urgewalt, dass einem unfreiwillig fröstelte; er (als der neue Lohengrin) wirkte dann schon, als ob er keiner Fliege was zu Leide täte und obgleich die Stimme, dieser maskuline Baritontenor, an Manneskraft und Manneswillen nichts zu wünschen übrig ließ; sie (als die neue Elsa) hinterließ den Festeindruck von einer Nicht-nur-Kindfrau, die von Anfang an auf dieses Hochzeitsziel zuarbeitete, endlich rauszukriegen, was für'n eigentliches Früchtchen ihr von irgendwo herabgeratner Namenloser letztlich wäre und singt Das mit einer suggestiven und modernen Vehemenz, dass man nur staunen konnte, wie sie Das mit ihren Anfang 30 packte.
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Links steht Lohengrin, und rechts steht Elsa. Hinter ihnen das designerhafte Ehebett. Das Paar wird nie in ihm verkehren. Jonas Kaufmann zeigt sich schon enttäuscht darüber, dass Annette Dasch ihn mit dem dämlichen Gefrage in die Zange nehmen will... - Foto (C) Bayreuther Fetspiele 2010
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Andris Nelsons zeichnete mit dem vorzüglich spielenden Festspielorchester allerwundersamste Stellen aus der allerwundersamsten Partitur von Wagner (Tristan und Isolde stehen sowieso dann immer außen vor) als allerwundersamste Aquarelle nach.
Wir wollen nicht vergessen, Georg Zeppenfeld als flirrend-jungen und von seiner Umwelt orientierungslos gemachten König Heinrich zu erwähnen; und auch stimmlich fanden wir ihn über alle Maßen groß!
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Nach Herheims kindischem und botschaftslosem Parsifal von vor zwei Jahren ist der neuen Festspielleitung unter Katharina Wagner + Eva Wagner-Pasquier, und mit dem guten Neuenfels halt, jetzt und hier ein erster großer Coup von Neu-Neubayreuth sicherlich geglückt!!
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Andre Sokolowski - 8. August 2010 ID 4750
LOHENGRIN (Bayreuther Festspiele, 06.08.2010)
Musikalische Leitung: Andris Nelsons
Regie: Hans Neuenfels
Ausstattung: Reinhard von der Thannen
Licht: Franck Evin
Video: Björn Verloh
Besetzung:
Lohengrin ... Jonas Kaufmann
Heinrich der Vogler ... Georg Zeppenfeld
Elsa von Brabant ... Annette Dasch
Friedrich von Telramund ... Hans-Joachim Ketelsen
Ortrud ... Evelyn Herlitzius
Der Heerrufer des Königs ... Samuel Youn
1. Edler ... Stefan Heibach
2. Edler ... Willem Van der Heyden
3. Edler ... Rainer Zaun
4. Edler ... Christian Tschelebiew
Der Festspielchor
(Choreinstudierung: Eberhard Friedrich)
Das Festspielorchester
Weitere Infos siehe auch: http://www.bayreuther-festspiele.de
http://www.andre-sokolowski.de
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