Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Feuilleton


8. Mai 2012, Schauspiel Köln

DER IDIOT

nach dem Roman von Fjodor Dostojewski


DER IDIOT am Schauspiel Köln - Foto (C) Klaus Lefebvre


Kein Lesespiel

„Jetzt wird gelesen und nicht gespielt“ – so oder in der Art raunzt General Jepantschin, Buch in der Hand, seine Frau an. In der Tat stehen rechts auf der Bühne von Karin Henkels Inszenierung des Idioten einige Tische mit Leselampe und gelegentlich wird aus dem Roman vorgelesen, das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, was sich an diesem Abend im Kölner Schauspielhaus in knapp vier Stunden Spielzeit vor allen Dingen ereignet: großes (Schauspieler-)Theater.

Im Zentrum steht Lina Beckmann, die den titelgebenden Idioten Fürst Myschkin verkörpert. Naiv, schüchtern, dann aber auch wieder forsch, ein Störfaktor, jemanden, der auffällt, den man aber nicht ernst nimmt. Eine ehrliche und sympathische Haut. Die auf Nachfrage erklärt, woran sie leidet und ihre Anfälle nachspielt. Die leise, aber bestimmt erklärt, dass sie kein Idiot ist. Die den Menschen offen und positiv begegnet, egal, wie diese mit ihr umgehen. Die staunt über die Welt um sie herum, die Mitleid empfindet. Lina Beckmann ist sicherlich einer der gar nicht so heimlichen Stars des Schauspiels Köln, die der Ära Karin Beier ihr Gesicht gegeben haben. Und sie bestätigt in Der Idiot erneut, dass sie eine ganz Große ihrer Zunft ist.

Überragend aber nicht nur ihre schauspielerische Leistung an diesem Abend, sondern auch – ohne Ausnahme – die des restlichen Ensembles. Stellvertretend sei hier Angelika Richters überspannte Generalin im opulenten blauen Kleid genannt, ein Plappermäulchen mit Hang zur Hysterie und Theatralik, zwischendurch aber auch immer wieder überraschend realistisch und scharfzüngig. Oder Markus Johns versoffener Lebedjew, der sich schmierig an jeden heranwalzt, der ihm Geld geben könnte, mit kleinkriminellen Tricksereien seinen Durst finanziert und zwischendurch als Küchenphilosoph die Lage der Welt beklagt.

Die Schauspielerleistungen sind nur ein Teil dieses großartigen Abends: Karin Henkel und ihr Ausstattungsteam schöpfen aus dem Vollen. Russische Gemütlichkeit gibt es nicht auf der Bühne von Muriel Gerstner, kein Sofa und auch keinen Samowar, sondern im Wesentlichen zwei Spielebenen, die den Abend über unverändert bleiben: Unten düster mit Rogoschins Laden, in dem sich eine morbide und hell erleuchtete Christus-Darstellung verbirgt. Daneben verschiedene Schaufenster, die aber alle so wirken, als habe dieser Ort bessere Zeiten gesehen. In einem der Läden haust hinter Gittern gar Lebedjews Neffe Ippolit, der dem Publikum gerne einen Text vortragen möchte. Das tut er dann später auch, allerdings in der Pause, als die meisten den Saal verlassen. Oben über den Läden dreht sich eine Kabine, wie man sie aus Erotikvierteln kennt, in der Lena Schwarzes Nastassja posiert. Links davon wiederum eine Sofaecke, auf der es sich die Töchter von General Jepantschin bequem machen.

Karin Henkel benutzt in ihrer Inszenierung das Mittel der Kontraste, des Kitschs, der Übertreibung und bedient sich fröhlich bei Schauerliteratur und -filmen: Da wird mehrmals wie in Hitchcocks ´Psycho mit einem Messer herumgehackt, eine Holzkiste als Sarg benutzt, in den Nastassja Filippowna zwangsverfrachtet wird; überhaupt könnte Lena Schwarze, blass geschminkt und hauptsächlich in Schwarz und/oder Weiß gekleidet auch einem Schauerroman des 19. Jahrhunderts entstiegen sein. Gleiches gilt für Charly Hübners Rogoschin, stets dunkel gekleidet und düster geschminkt. Im Kontrast dazu sind die Frauen der Generalsfamilie Jepantschin bei ihrem ersten Auftritt in opulente Kleider in knalligen Farben gehüllt (Kostüme: Klaus Bruns).

Der Abend schöpft aus einem Übermaß: Ständig passiert etwas, ununterbrochen wird beispielsweise Musik eingespielt oder vorne am Klavier an der Rampe von den Darstellern live produziert; dennoch gibt es auch immer wieder Punkte der Konzentration, der Fokussierung, kommen die Figuren zu ihrem Recht. Was dabei herauskommt, ist ein Theaterabend, der verschwenderisch mit seinen Mitteln umgeht, ein beglückendes Erlebnis. Das Publikum am besuchten Abend war jedenfalls begeistert und ließ sich am Schluss zu stehenden Ovationen hinreißen.



Foto (C) Klaus Lefebvre


Karoline Bendig - 12. Mai 2012
ID 5944
DER IDIOT (Schauspiel Köln, 08.05.2012)
Spielfassung: Karin Henkel und Rita Thiele
Regie: Karin Henkel
Bühne: Muriel Gerstner
Kostüme: Klaus Bruns
Besetzung:
Fürst Myschkin ... Lina Beckmann
Rogoschin ... Charly Hübner
Nastassja Filippowna ... Lena Schwarz
General Jepantschin ... Yorck Dippe
Generalin Jepantschina ... Angelika Richter
Adelaida ... Jennifer Frank
Aglaja ... Joerdis Triebel
Alexandra ... Marina Frenk
Ganja ... Maik Solbach
Warja ... Tanja Schleiff
Kolja ... Marie Rosa Tietjen
Lebedjew ... Markus John
Ippolit ... Holger Bülow
Premiere war am 22. April
Weitere Termine: 20., 26., 30. 5. sowie 1., 2. 6. 2012


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielkoeln.de


Post an Karoline Bendig



  Anzeigen:





THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)