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KEIN SCHICKSAL, KLYTÄMNESTRA von Nino Haratischwili


Nino Haratischwilis Kein Schicksal, Klytämnestra - in der ag(o)ra des Schauspiels Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold

Bewertung:    



Von April bis Oktober diesen Jahres werden am Schauspiel Leipzig die Bühnenelektrik und Tonanlage auf der großen Bühne erneuert. Dafür zieht das Schauspiel in ein Ausweichquartier auf dem Gelände der ehemaligen DDR-Landwirtschaftsausstellung agra. Die Halle 4 auf dem agra-Messegelände im Süden von Leipzig nahe Markkleeberg heißt nun passender Weise ag(o)ra und eröffnete am 24. April mit gleich vier Produktionen. Als Auftragswerk hat die georgische Schriftstellerin und Dramatikerin Nino Haratischwili das Stück Kein Schicksal, Klytämnestra beigesteuert. Nach Penthesilea: Ein Requiem, 2024 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt, eine weitere Antikenneuschreibung.

Haratischwili behält den Figurenkreis und die mit dem Trojanischen Krieg verbundene Familie des Königs und griechischen Heerführers Agamemnon weitestgehend bei. Neben der Titelfigur Klytämnestra, Frau des Agamemnon, sind das Tochter Iphigenie, die bekanntlich für guten Wind der griechischen Flotte nach Troja geopfert wurde, Agamemnons Widersacher Aigisthos, der in dessen Abwesenheit mit Klytämnestra ein Verhältnis eingegangen war, und die Beute des heimgekehrten Helden, die trojanische Prinzessin und Seherin Kassandra. Hinzuerfunden hat die Autorin die Figur des Antinoos, ein mykenischer Krieger und Anführer einer Rebellengruppe gegen den König Agamemnon, der hier im Stück das Reich heruntergewirtschaftet hat und autoritär regiert.

Es geht um Schicksal, Krieg, Rache, Macht, Gerechtigkeit und Revolution, eingepackt in ein sinistres Intrigenspiel. Dabei spielt vor allem die zunächst recht undurchsichtig agierende Kassandra ein wichtige Rolle. In der Inszenierung des Leipziger Intendanten Enrico Lübbe sitzt Vanessa Czapla bereits zu Beginn vor einer Schreibmaschine am Rand der zwischen zwei Zuschauertribünen angeordneten Bühne, gestaltet von Hugo Gretler, in deren Mitte ein mit Steinen eingefasstes Becken steht. Agamemnon wird ja bekanntlich von Klytämnestra und Aigisthos aus Rache für den Tod Iphigenies im Bade gemeuchelt. Hier besorgt das gleich in der ersten Szene die Königin (Bettina Schmidt) selbst. Sie hat in der Abwesenheit ihres Mannes das Reich regiert und auch weitestgehend saniert, nur nicht so wie von Agamemnon erwünscht. Der Kriegsheimkehrer, gespielt von Wenzel Banneyer, zeigt seiner Frau seine Wunden und will sie wieder in Besitz nehmen, in der Sprache der Autorin sozusagen zurückprügeln und -vögeln. Wie es nun zum Mord an Agamemnon kommt, erzählt das Stück nicht gradlinig, sondern in Vor- und Rücksprüngen, die die Spannung erhöhen sollen, bis sich der Bühnennebel um die Zusammenhänge zum Tod Iphigenies lichtet.

Kassandra fungiert zwischen den Szenen als Erzählerin. Wo wir uns zeitlich befinden, vor oder nach dem Krieg, zeigt eine LED-Anzeige. Einige Szenen spielen auch in anderen Räumen und werden mit Livekamera auf einen zersplitterten Videoscreen übertragen. Den genauen Plot nachzuerzählen, würde die Spannung zerstören. Nur soviel: Hier hat jeder und jede ein ganz spezielles Rachesüppchen am Kochen. Wie Aigisthos (Christoph Müller) spielt auch Antinoos (Samuel Sandriesser) ein doppeltes Spiel. Den Worten des falschen Messias, charismatischen Revolutionärs und gelegentlichen Rappers ist die Königstochter Iphigenie (Paula Winteler) verfallen und will ihm den Weg in den Palast zeigen. Da geht es auch um Unschuld und wie Frau diese verliert. Die Männer kommen bei Haratischwili als Machos, Sprücheklopfer und wehleidige Intriganten nicht besonders gut weg. Tot sind sie am Ende alle, genau wie Iphigenie, die sich auch hier selbstlos für die Sache der Männer opfert.

Das besagte Schicksal um die nun eigentlich durch Orest auszuführende Blutrache abzuwenden, kommt hier der Seherin Kassandra zu. Davor wird viel in Zweier- und Dreierkonstellationen geredet. Die Mutter mit der widerspenstigen Tochter, die wiederum mit ihrem zwielichtigen Revolutionär. Die Königin mit ihrem gewalttätigen Mann und dem schmierigen Liebhaber, wobei sogar mal der eigentlich im Krieg weilende Gatte von der Seite dazwischen funkt. Und nebenbei spinnt auch Kassandra ihren eigenen Racheplan. Das ist zuweilen ganz unterhaltsam, immer wieder auch etwas pathetisch. So richtig zünden will diese moderne Fassung des alten Rachedramas (Orestie) aber nicht. Aus dem gut aufspielenden Ensemble ragen Paula Winteler als jugendlich-idealistische lphigenie und Bettina Schmidt als in sich zerrissene Mutter und kühle Herrscherin Klytämnestra heraus. Haratischwili gelingt es in ihrem Stück den Frauen das Heft des Handelns zurückzugeben. Ob diese neue Zukunftschance ein Ausweg aus der Vorbestimmung ist, bleibt im Stück offen.



Nino Haratischwilis Kein Schicksal, Klytämnestra - in der ag(o)ra des Schauspiels Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold

Stefan Bock - 10. Mai 2025
ID 15259
KEIN SCHICKSAL, KLYTÄMNESTRA | (ag(o)ra, 09.05.2025
von Nino Haratischwili

Regie: Enrico Lübbe
Raum: Hugo Gretler
Kostüme: Sabine Born
Musik: Philip Frischkorn
Dramaturgie: Torsten Buß
Licht: Veit-Rüdiger Griess
Video: Matthias Gruner
Ton: Gregory Weis
Mit: Bettina Schmidt (als Klytämnestra), Wenzel Banneyer (als Agamemnon), Paula Winteler (als lphigenie), Christoph Müller (als Aigisthos), Vanessa Czapla (als Kassandra) und Samuel Sandriesser (als Antinoos) sowie dem Live-Musiker Philip Frischkorn
UA am Schauspiel Leipzig: 24. April 2025
Weiterer Termin: 11.05.2025


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-leipzig.de/


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