Die Sabine
der Räuberinnen
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Das Portal von Nis-Momme Stockmann am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) David Baltzer
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Bewertung:
Nis-Momme Stockmann ist einer der interessantesten unter den deutschen Dramatikern seiner Generation. Herbert Fritsch ist einer der originellsten Regisseure der vergangenen Jahre. Dass aber Fritsch der ideale Regisseur für Stockmann, dass Stockmann der plausibelste Autor für Fritsch wäre, dürfte kaum jemandem spontan einfallen. Für sein Stuttgarter Regiedebüt hat sich Fritsch just die Uraufführung eines Stücks von Stockmann gewählt: Das Portal.
Das Portal spielt im Theatermilieu, irgendwo zwischen dem Raub der Sabinerinnen und Michael Frayns landauf landab aufgeführter Boulevardkomödie Noises Off! (Der nackte Wahnsinn). Auftreten fast alle Figuren, die zum Theater gehören, der Autor (Marco Massafra), der Schauspieler (Celina Rongen, Peer Oscar Musinowski, Christiane Roßbach), der Regisseur (virtuos, feixend und in ständiger Bewegung, Valentin Richter und Gabriele Hintermaier), der Dramaturg (Sebastian Röhrle und wiederum Christiane Roßbach), der Inspizient (Marietta Meguid), der Intendant (Sebastian Blomberg als Gast), der sich nur durch ein f von einem der bekanntesten Macher in der Popmusik, von Bob Geldof unterscheidet und zusammenhanglos, aber periodisch über die Bühne schwebt, der Pförtner (Michael Stiller). Zwischendurch scheint sich Stockmann an jenen Dramaturgen rächen zu wollen, die massiv in die Stücke von Autoren eingreifen. „Ich habe mich immer gefragt, was genau macht eigentlich ein Dramaturg? - Eigentlich so gut wie alles! Das ist so breit, da wüsste ich gar nicht, wo ich...“ Fritsch hat jeder Figur auffällige Kostüme von Bettina Helmi, Perücken und, ein ins Komische gekehrter Brecht, einen typischen Gestus zugeordnet. Bei der wie stets bei Fritsch kunstvoll elaborierten Verneigung am Ende dürfen alle diese Gesten noch einmal Revue passieren lassen.
Der Regisseur László Arinach sagt:
„In den 60ern musste auf der Bühne gekocht und gelitten werden, in den 70ern über die Umwelt gesprochen werden, in den 80ern: Aufregung, Video und Echtblut, in den 90ern: Kälte und Kunstblut, in den 00ern: Krisen und viel Chor, in den 10ern: Länge und Frauen. Heutzutage: Umwelt mit Frauen und Video. Wenn Theater etwas ändern würde, wäre es verboten! Am Ende ist es alles dasselbe: Sprechende oder schweigende, stehende oder tanzende Körper auf einer Bühne, bei dem ein zahlendes Publikum zusieht.“
Herbert Fritsch ist in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten, wie Rossinis Figaro mal dort, mal da, mal hüben, mal drüben, seinen eigenen Weg gegangen, eher eine Mode initiierend, als ihr folgend. Auch mit dem Portal zelebriert er seine Methode: ein diametral zum psychologisch-mimetischen Theater entgegengesetztes Theater der grotesken Künstlichkeit, der mechanischen Körpersprache, die sich aus verschiedenen europäischen und außereuropäischen Traditionen speist und die Erkenntnisse Henri Bergsons über das Lachen ausschöpft. An einer Stelle kugelt sich das Ensemble in einer Lachorgie buchstäblich auf dem Boden.
Auf der meist abgedunkelten Bühne steht ein Konzertflügel, auf dem Charlie Casanova, zwischendurch auch DHL-Bote, Musik beisteuert. Auf die hintere Wand werden sich verändernde einfache geometrische Formen projiziert, ein Hauch von El Lissitzky. Es endet wie Georg Kreislers Opernboogie im totalen Chaos („Es wird geschrien, gejohlt, getobt, und das ganze Haus bricht zusammen“). Maskierte Bühnenarbeiter machen sauber, aber es nützt nichts. Bei Herbert Fritsch hört es nie auf.
Und da liegt die Gefahr: dass sich die Methode Fritsch irgendwann tot läuft. Wie die Umwelt mit Frauen und Video. Theater lebt auch von Überraschungen. Die (s)panische Fliege, Murmel Murmel oder der die mann waren Geniestreiche, aber sie lassen sich nicht endlos wiederholen. Und Das Portal? Warten wir die nächste Inszenierung ab, um zu sehen, ob es auf Fritsch angewiesen ist.
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Das Portal von Nis-Momme Stockmann am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) David Baltzer
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Thomas Rothschild - 20. Januar 2024 ID 14566
DAS PORTAL (Schauspiel Stuttgart, 19.01.2024)
von Nis-Momme Stockmann
Inszenierung: Herbert Fritsch
Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Bettina Helmi
Live-Musik: Charlie Casanova
Licht: Jörg Schuchardt
Dramaturgie: Sabrina Zwach
Mit: Sebastian Blomberg, Gabriele Hintermaier, Sylvana Krappatsch, Reinhard Mahlberg, Marco Massafra, Marietta Meguid, Peer Oscar Musinowski, Valentin Richter, Celina Rongen, Christiane Roßbach und Michael Stiller
UA war am 19. Januar 2024.
Weitere Termine: 23., 30.01./ 09., 18., 26.02.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de
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