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AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2023

Im Menschen muss alles herrlich sein

von Sasha Marianna Salzmann


Bewertung:    



Die Intendanz von Ulrich Khuon am Deutschen Theater neigt sich dem Ende. Die von ihm 1995 ins Leben gerufenen AUTOR:INNENTHEATERTAGE werden aber von seiner Nachfolgerin Iris Laufenberg weitergeführt. Das ist eine gute Entscheidung. Bietet doch dieses jährlich stattfindende Festival für zeitgenössische Dramatik in Berlin im Gegensatz zum THEATERTREFFEN mit seinem Anspruch die bemerkenswertesten Inszenierungen zu zeigen, vor allem deutschsprachigen Autor:innen eine breitere Bühne. Damit haben sich die kuratierten AUTOR:INNENTHEATERTAGE neben den Jury-Festivals Heidelberger Stückemarkt und Mülheimer Theatertage als feste Größe für zeitgenössische deutschsprachige Dramatik etabliert. Auch in diesem Jahr gab es drei Uraufführungen in einer Langen Nacht der Autor:innen, allerdings nicht über einen Stückwettbewerb ausgewählt, sondern in Auftrag gegeben. Flankiert wird das durch zehn weitere Gastspiele aus Deutschland und der Schweiz.



Vom Hamburger Thalia Theater kommt die Dramatisierung der Romans Im Menschen muss alles herrlich sein von Sasha Marianna Salzmann. Die Uraufführung übernahm der Regisseur Hakan Savaş Mican. Die beiden kennen sich vom Maxim Gorki Theater in Berlin, wo Mican 2013 Salzmanns Stück Schwimmen lernen - Ein Lovesong uraufführte. Nun also ein Stück Romanadaption. Die Autorin hat die Bühnenfassung für das kleine Thalia in der Gaußstraße selbst verfasst. Abweichend vom Roman, der 2021 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand, folgt die Dramatisierung der jungen Edi, die von Berlin nach Jena zum 50. Geburtstag ihrer Mutter Lena fährt und dabei auch eine Reise in die Vergangenheit der Mutter und ihrer Freundin Tatjana antritt. Die beiden sind in den 1970- und 80er Jahren in der damaligen Ukrainischen Sowjetrepublik aufgewachsen und haben nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge die unabhängig gewordene Ukraine in Richtung Deutschland verlassen.

Sasha Marianna Salzmann, 1985 in Wolgograd geboren und in Moskau aufgewachsen, ist ebenfalls mit ihrer Familie als Kontingentflüchtling 1995 nach Deutschland gekommen und besitzt ukrainische Wurzeln. Sie hat ihre Herkunft immer wieder in ihren Theaterstücken thematisiert. So auch im Roman, der weniger das Leben der Frauen in Deutschland behandelt, sondern die Schwierigkeit der Mütter, den Töchtern die Geschichte ihrer Herkunft zu erzählen. Edi, gespielt von Toini Ruhnke ist Volontärin bei einer Berliner Zeitung und soll einen Artikel über „ihre Leute“ schreiben. Ein Thema, dass die junge Frau eher ungern angeht und lieber eine Reportage über eine Floridareise machen will. Das ändert sich, nachdem sie mit der in einem Berliner Krankenhaus liegenden Freundin ihrer Mutter nach Jena fährt. „Von der Vergangenheit besessen zu sein, ist nicht gesund“, antwortet zunächst Tatjana (Oana Solomon) auf die Fragen Edis. „Eine zu haben, wäre aber schön“, kontert die.

„Die Welt geht langsamer unter, wenn wir nicht hinsehen.“ Das ist das Credo der Mütter, die kaum noch Kontakt zu ihren Töchtern haben. Tatjanas Tochter Nina (Pauline Rénevier) ist Autistin, geht nicht mehr aus dem Haus und spielt nur noch am Computer. Der Generationenkonflikt ist hier gepaart mit der schwierigen Identitätssuche der Töchter. Diesen vielschichtigen Text bringen Salzmann und Mican recht locker auf die Bühne. Dialoge wechseln mit Erzählsträngen über die Geschichte der Mütter. Die schmale Bühne von Michael Köpke zeigt aufgestapelte Möbelstücke eines unfertigen Heims. Am Rand stehen an Turntables die Musikerin Masha Kashyna und der Schauspieler Stefan Stern, der auch die männlichen Familienmitglieder wie den Vater und Großvater von Edi spielt. Der Livesound besteht aus modernen osteuropäischen Ethnobeats, ukrainischen und russischen Liedern oder auch mal dem 1989er Sommerhit Lambada, bei dem sich Edis Eltern kennengelernt haben.

Perestroika-Zombies nennt die angehende Journalistin die post-sowjetische Wende-Generation, die die Vergangenheit verklärt und nie richtig in Deutschland angekommen ist. Videos von alten Originalaufnahmen mit Pionier-Aufmärschen, russischen TV-Psycho-Gurus der 1990er Jahre wechseln mit Bildern der deutschen Autobahn und Plattenbauten. Eindrücklich sind die Erzählungen der Mütter von der sogenannten „Fleischwolfzeit“ nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Korruption überall an Universitäten und Krankenhäusern. Die beruflichen Träume der Mütter erfüllen sich nicht. Die Männer entpuppen sich als Lügner oder verlassen sie. Das Versprechen in eine Zukunft in Deutschland ist ebenfalls trügerisch. Salzmann flicht noch den seit 2014 tobenden Krieg im Donbas in die Geschichte des Großvaters ein. Stalins Entkulakisierung in der Ukraine und der Holodomor werden ebenfalls erwähnt. Bei all dem wirkt das Zitat aus Tschechows Onkel Wanja, das Salzmann für ihren Romantitel verwendet hat, fast schon wie Hohn. Die Vergangenheit entpuppt sich als „Göttin mit verdrehten Füßen man sieht nie, aus welcher Richtung sie kommt. Das ist eine starke Metapher in einem Text der nachwirkt und von einem guten Thalia-Ensemble spannungsreich dargeboten wird.



Im Menschen muss alles herrlich sein von Sasha Marianna Salzmann - am Thalia Theater Hamburg | Foto (C) Krafft Angerer

Stefan Bock - 5. Mai 2023
ID 14177
Im Menschen muss alles herrlich sein (Deutsches Theater Berlin, 02.05.2023)
von Sasha Marianna Salzmann

Regie: Hakan Savaş Mican
Bühne: Michael Köpke
Kostüme: Sylvia Rieger
Dramaturgie: Susanne Meister
Musik: Masha Kashyna
Video: Sebastian Lempe
Mit: Pauline Rénevier, Toini Ruhnke, Stefan Stern, Oda Thormeyer und Oana Solomon sowie den Live-Musikern Masha Kashyna und Stefan Stern
UA am Thalia Theater Hamburg: 27. Oktober 2022
Gastspiel des Thalia Theaters Hamburg zu den Berliner AUTOR:INNENTHEATERTAGEN


Weitere Infos siehe auch: https://www.thalia-theater.de


Post an Stefan Bock

AUTOR:INNENTHEATERTAGE

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