AUTOR:INNENTHEATERTAGE 2022
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Neue Stücke von
Alexander Stutz,
Raphaela Bardutzky
und Paula Thielecke
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Auch zur 25. Ausgabe der AUTOREN:INNENTAGE im Deutschen Theater Berlin gab es einen Stückwettbewerb. Die drei Juror:innen - in diesem Jahr der Dramatiker Ferdinand Schmalz, die Schauspielerin Julischka Eichel und die Musikerin und Theatermacherin Christiane Rösinger - haben aus knapp 200 Einsendungen drei Theatertexte ausgewählt. In der Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Graz und dem Schauspiel Leipzig entstanden drei Inszenierungen, die zum Abschluss des Festivals wie immer in einer Langen Nacht der Autor:innen ihre Uraufführung erlebten. Recht erfreulich zu vermelden ist dabei, dass keiner der drei Texte bis zur Unkenntlichkeit verregietheatert wurde, was ja immer wieder zu Diskussionen über den Umgang mit jungen Texten geführt hat.
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Als positive Überraschung erwies sich das Stück Das Augenlid ist ein Muskel vom jungen Schweizer Autor Alexander Stutz, das in der kleinsten DT-Spielstätte Box von Jorinde Dröse uraufgeführt wurde. Stutz behandelt das schwere Thema des sexuellen Missbrauchs und dem Schweigen darüber in der Familie auf eine relativ leichte, zur szenischen und spielerischen Bearbeitung geradezu einladenden Weise, was das Team um Jorinde Dröse, die nach längerer Theater-Abwesenheit mal wieder in Berlin inszenierte, auch mit viel Freude aufgenommen hat.
Den jungen Protagonisten Aron (Paul Grill) plagen diffuse Kindheitserinnerungen an Familiensonntage im Haus der Großmutter. Es dauert eine Weile, bis sich diese Erinnerungen durch Äußerungen seines Körpers artikulieren und das schier Unsagbare Gestalt annimmt. Aron ist in seiner Kindheit über einen langen Zeitraum von seinem 10 Jahre älteren Cousin Jan im Keller der Großmutter sexuell missbraucht worden. Als er damals seinen Eltern (Hilke Altefrohne, Andreas Leupold) eine Nachricht auf einem gelben Postit-Zettel zukommen ließ, wurde das vom Vater totgeschwiegen, woran letztendlich auch die Ehe zerbrach, was die Mutter auf Dauer psychisch zerrüttet und auch das Verhältnis Jans zu seiner Familie stark belastet hat.
Neben dem großartig aufspielenden Paul Grill als auf der Suche nach einer Sprache für sein ungeklärtes Körpergefühl befindlichem Aron wirken Hilke Altefrohne, Andreas Leupold und Niklas Wetzel in verschiedensten Kostümierungen als Familienmitglieder, Lebensgefährte Jans oder sprechende Körperteile, Organe, und auch die Matratze als Ort des Geschehens beginnt zu erzählen. Die Bühne von Janja Valjarević zeigt eine Wand, auf der Videobilder eines Hauses im Grünen, eine Landschaft bei der Autofahrt flimmern oder finale Flammen züngeln. Selbst die choreografierten Tanzeinlagen mit Songs aus den 80er Jahren von U2 (Bloody Sunday) Richard Sanderson (Reality) oder Modern Talking (Lieblingsband der Mutter) lassen das Ganze aber nie in den Kitsch abgleiten.
Bewertung:
Musik empfängt das Publikum auch zur Leipziger Inszenierung des Stücks Fischer Fritz von Raphaela Bardutzky. Philipp Rumsch steht auf der Bühne der Kammerspiele an den Turntables und legt einen satten Elektrobeat über die Versuche von Amal Keller, Julia Preuß und Mira Fajfer, den bekannten, titelgebenden Zungenbrecher zu sprechen. Letztendlich geht es aber neben Sprachschwierigkeiten vor allem um das Thema häusliche Pflege, was vielleicht jeden mit dem zunehmenden eigenen oder dem Alter von Angehörigen ereilen kann.
Hugo Gretler hat einen Raum aus Holzlatten mit Tisch, der auf einem Laufband vor und zurückfährt, sowie ein digitales Sprachlaufband auf die Bühne gestellt. Der Chef übernahm die Regie diesmal selbst. Leipzigs Intendant Enrico Lübbe hat die drei Rollen vom alten pflegebedürftigen Fischer Fritz (Amal Keller), seinem Sohn Franz (Julia Preuß) und der polnischen Pflegerin Piotra (Mira Fajfer) auf drei Schauspielrinnen verteilt, die in lange weiße Hemden von Sabine Blickenstorfer stecken. Der Plot erzählt von der gestörten Beziehung eines bayrischen Grantlers zu seinem Sohn, der das Familienunternehmen nicht weiterführen wollte und lieber ein Frisörslehre absolvierte, sowie dem Problem der aus Polen stammenden Piotra, eine Beziehung zum an seinen Gewohnheiten hängenden Fischer aufzubauen. Der bayrische Dialekt tut hier sein Übriges zur Sprachverwirrung.
Es ist auch ein Stück über Einsamkeit, an der alle drei Protagonist:innen leiden. Sohn Franz hadert mit seinen Lebensentscheidungen und Piotra, die mit dem polnischen Busfahrer Borys chattet, mit der Ereignislosigkeit in der bayrischen Provinz. Schließlich gelingt es der aufgeschlossenen Piotra durch ihre Kochkünste den Vater für sich einzunehmen und auch den Sohn mit ihm auszusöhnen. Lübbes Inszenierungsidee, das Stück mit drei recht agilen Schauspielerinnen zu inszenieren, geht eigentlich voll auf und hilft dem noch etwas leichtgewichtigen Text ganz gut auf die Sprünge.
Bewertung:
Das kann man von der Grazer Uraufführung des Stücks Judith Shakespeare - Rape and Revenge von Paula Thielecke leider nicht sagen. Den recht knalligen mal im Blankvers mal in kurzen Mono- und Dialogen mit satten Flüchen und programmistischen Parolen verfassten Text über die Geschlechterungerechtigkeit im Theaterbetrieb im Speziellen und die Rapeculture im Allgemeinen inszeniert die Regisseurin Christina Tscharyiski mit einer Schauspielerin in der Titelrolle der Judith Shakespeare und einem ganzen Chor aus sie beständig hindernden männlichen Antagonisten.
Maximiliane Haß spielt jene Schwester des großen und berühmten elisabethanischen Dichters, die darüber klagt, ihre Stücke mit Rollen voller Welt nicht mit jener teilen zu können, da sie von den Theaterdirektoren einfach übersehen und nicht für voll genommen wird. Um einen Stückauftrag zu bekommen, muss sie sich dem Intendantenwillen beugen, ungewollt Kompromisse eingehen und anstatt ein Stück über den Wald eines über Vergewaltigung, was ja ein Frauenthema ist, schreiben. Die Frau im Theater mal wieder als Opfer im doppelten Sinn. Das ist als Thema sicher richtig und wichtig, aber als reines Thesenstück auch etwas zu plakativ geraten.
Die Regie versucht hier mit viel Ironie hinterherzuinszenieren. Bäume aus Pappmaché werden über die Bühne (Sarah Sassen) geschoben, Der Chor in elisabethanischen Fantasiekostümen (Jenny Schleif) schraubt an einer kleinen Bühne herum und eine riesige, Lorbeer bekränzte Vagina schwebt vom Schnürboden. „¡Hasta la vulva!“ Als Nebenhandlung vergeht sich Bruder Shakespeare noch an einer Schauspielerin, was zu einer Diskussion mit der Schwester darüber führt, was alles als sexuelle Gewalt gilt. Am Ende tritt die Dramaturgin auf die Bühne und berichtet von einem (fiktiven) Bekennerschreiben Shakespeares als Vergewaltiger auf der Plattform Nachkritik. Darin fordert er auch auf, seine Stücke zu canceln. Mal vom klischeehaften Text abgesehen, müssen Theater und Autorin, die das als echte Utopie verkaufen wollen, wohl tatsächlich etwas an Aufmerksamkeitsverlust leiden.
Bewertung:
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Das Augenlid ist ein Muskel von Alexander Stutz - am Deutschen Theater Berlin Foto (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 19. Juni 2022 ID 13678
DAS AUGENLID IST EIN MUSKEL (Box, 18.06.2022)
von Alexander Stutz
Regie: Jorinde Dröse
Bühne: Janja Valjarević
Kostüme: Juliane Kalkowski
Musik: Jörg Kleemann
Dramaturgie: Bernd Isele
Mit: Hilke Altefrohne, Paul Grill, Andreas Leupold, Niklas Wetzel
UA am Deutschen Theater Berlin: 18. Juni 2022
FISCHERS FRITZ (Kammerspiele des DT, 18.06.2022)
von Raphaela Bardutzky
Regie: Enrico Lübbe
Bühne: Hugo Gretler
Kostüme: Sabine Blickenstorfer
Musik: Philipp Rumsch
Dramaturgie: Torsten Buß und Matthias Döpke
Mit: Amal Keller, Julia Preuß und Mira Fajfer
UA am Deutschen Theater Berlin: 18. Juni 2022
Koproduktion mit dem Schauspiel Leipzig
JUDITH SHAKESPEARE - RAPE AND REVENGE (Deutsches Theater Berlin, 18.06.2022)
von Paula Thielecke
Regie: Christina Tscharyiski
Bühne: Sarah Sassen
Kostüme: Jenny Schleif
Choreinstudierung: Almuth Hattwich
Dramaturgie: Karla Mäder
Mit: Maximiliane Haß als Judith Shakespeare, Beatrix Doderer, Miriam Fontaine, Katrija Lehmann, Mathias Lodd, Sissi Noé, Clemens Maria Riegler und Rudi Widerhofer
UA am Deutschen Theater Berlin: 18. Juni 2022
Fassung des Schauspielhaus Graz
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/programm/a-z/autorinnentheatertage2022/
Post an Stefan Bock
AUTOR:INNENTHEATERTAGE
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