Im Schacht
versenkt
WARTEN AUF STURM von Peter Thierss
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Warten auf Sturm am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Marlies Kross
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Bewertung:
Herbststurm „Mortimer“ braust Sonntag übers Land, warnt der Deutsche Wetterdienst. Tags zuvor harrte man am Staatstheater Cottbus noch seiner. Zur Uraufführung kam dort an der Kammerbühne das Stück Warten auf Sturm, mit dem der junge Dramatiker Peter Thiers den von einer Jury aus Dramaturgen verliehenen Kleist-Förderpreis für junge Dramatikerinnen und Dramatiker gewonnen hat. Kein laues Lüftchen des Regieassistenten am Thalia Theater Hamburg, der sich damit immerhin gegen 126 KontrahentInnen durchgesetzt hat. Eine dystopische Parabel auf heutige Arbeitswelten und Machtverhältnisse. Aber auch ein Stück, das sich um Abhängigkeiten und große Vaterfiguren dreht. Ein Aufstand der da unten gegen die da oben, die sich ihrer Macht nicht mehr sicher sein können.
Das Unten ist hier ein Bergwerksschacht, in dem sogenannte Cleaner das Erz Coltan fördern, das oben in einem Werk geschmolzen und gewinnbringend verkauft wird. Geleitet wird es von einem Mann namens Winter, der sein Reich an seinen Sohn vererben und ihn auf seine kommende Position einschwören will. Dazu gehen beide - geführt von Lara, einer sogenannte Rostgeburt und Tochter des Metallschmelzers Noon - in den Schacht. Auf ihrem Weg in den Berg werden sie getrennt, und Winters Sohn trifft auf den Vorarbeiter der Cleaner Zlatan, der ihn in die ritualisierte Arbeitswelt der Erzhauer einführt. Am Ende wird der Sohn den Vater ein glühendes Eisen ins Auge rammen und die Führung der aus dem Schacht drängenden, nach Wasser dürstenden Cleaner übernehmen. Der Sturm ist das, was hier wie eine Verheißung auf Regen hereinbricht und Lara zum Messias einer neuen Zeit macht.
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Die Uraufführungsinszenierung besorgte Regisseur Volker Metzler, ehemaliger, wegen Rassismus-Vorwürfen entlassener Schauspieldirektor am Berliner Theater an der Parkaue. Über diese Personalie stolperte nun kürzlich auch Intendant Kay Wuschek. Die Parallelen zum Staatstheater Cottbus, dessen Intendant Martin Schüler nach der Kündigung des wegen seines autoritären Führungsstils entlassenen Generalmusikdirektors Evan Christ kürzlich zurücktreten musste, sind auffallend. Ruhe ist im Staatstheater Cottbus deswegen noch lange nicht wieder eingetreten. Die letzte Hiobsbotschaft traf den amtierenden Cottbuser Schauspieldirektor Jo Fabian, dessen Vertrag vom neuen Cottbuser Intendanten Stephan Märki nicht verlängert wird. Für Fabian, der hier einige Erfolge (u.a. eine Faust-Nominierung für seine Inszenierung Onkel Wanja feiern konnte, wird es die letzte Spielzeit in Cottbus sein.
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Das alles sollte aber keine allzu große Hypothek für den frisch gebackenen Kleist-Förderpreisträger Peter Thiers darstellen, wenn nicht Regisseur Metzler, der mit seiner Inszenierung des Stücks Beben von Maria Milisavljević (2013 selbst Kleist-Förderpreisträgerin für ihr Stück Brandung) 2018 für den Alfred-Kerr-Preis der Berliner Morgenpost nominiert war, etwas zu viel des Guten leisten würde, was dem in Teilen recht poetischen Text von Thiers nicht wirklich gut tut. Bereits beim Einlass intoniert ein Sprech-Chor Cottbuser Bürger den Text Die Befreiung des Prometheus von Heiner Müller. Ebenfalls eine Parabel über die Schwierigkeit sich aus Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien und den aufrechten Gang zu erlernen. Und im übertragenen Sinn passt das schon zur Intension des Autors, etwas über Abhängigkeitsverhältnisse erzählen zu wollen, nur verliert Metzler in einer fast überbordenden Bebilderungswut den Autor im Lauf des Abends doch immer mehr aus den Augen.
In der immer wieder wechselnder Phantasie-Kostümierung von Claudia Charlotte Burchard, die recht schräg und queer daherkommt, sind die Rollen der SchauspielerInnen kaum zu erkennen. Die Handlung, was sicher auch am kompliziert gebauten Stück des Autors liegt, entwickelt sich dabei nur mühsam. Immer wieder sind lyrische Zwischenchöre der Cleaner eingebaut. Dem Messias-Thema frönt Metzler schon zu Beginn, wenn Winter (Boris Schwiebert) seinen Untergebenen bei einer Art Abendmahl Brot und Wein darbietet. Alles, was das Theater an Mittel zu bieten hat, fährt die Regie hier gnadenlos auf. Von choreografierten Bewegungen über kleine Tanzeinlagen eines sterbenden Kanarienvogels (Annegret Thiemann), von den Cleanern als Gaswarn-Pieper eingesetzt, bis zu einem alles erschlagenden Soundtrack, der mit Rock, Pop und klassischem Verdi wie eine auf Zufall eingestellte Soundcloud wirkt. Selbst vor einem Gangnam Style wird hier nicht zurückgeschreckt.
Das Stück hängt in der Regiefalle. Am ehesten beeindruckt noch die Bühne (ebenfalls von Claudia Charlotte Burchard). Verschiebbare Kästen mit Folienwänden, hinter denen der Chor in Schattenrissen wahrzunehmen ist. Schauspielerisch überzeugen hier vor allem Ariadne Pabst als Lara, Lisa Schützenberger als Winters Sohn und Amadeus Gollner als Zlatan. Lucie Thiede und Michael von Bennigsen müssen aber immer wieder als Cleaner mit unerklärlichen Requisiten auftauchen. So binden sie Winters Sohn auch mal einen Bombengürtel um, wohl als Zeichen der Gefahr beim Sprengen eines Schachtdurchbruchs. Irgendwann drängt dann der Bürgerchor mit Regenumhängen auf die Bühne. Ein kleiner Beitrag zum Flüchtlingsthema, das im Stück durchaus anklingt. Dazu schwenkt Lucie Thiede die EU-Flagge. Da hat sich die Regie aber schon vom Stück verabschiedet und bricht die letzten pathetischen Sätze mit Ironie und aus der Rolle steigend. Seht her: Das ist Theater. "Rettet die Wale" von Gustav klingt als sarkastischer Abgesang. Sollte der Text doch einen tieferen Sinn haben und ein Aufruf zu mehr Solidarität sein, dann hat die Regie das alles gut im Schacht versenkt.
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Warten auf Sturm am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Marlies Kross
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Stefan Bock - 30. September 2019 ID 11709
WARTEN AUF STURM (Kammerspiele, 28.09.2019)
Regie: Volker Metzler
Bühne/Kostüme: Claudia Charlotte Burchard
Choreografie: Annegret Thiemann
Dramaturgie: Lukas Pohlmann
Regieassistenz/Sound: Marian Joel Küster
Leitung BürgerSprechChor: Wiebke Rüter und Michael von Bennigsen
Besetzung:
Noon, Metallschmelzer ... Axel Strothmann
Lara, Rostgeburt/Noons Tochter ... Ariadne Pabst
Zlatan, Vorarbeiter im Schacht ... Amadeus Gollner
Winter, oberster Werkleiter ... Boris Schwiebert
Winters Sohn ... Lisa Schützenberger
Kanarie ... Annegret Thiemann
Cleaner ... Lucie Thiede und Michael von Bennigsen
Damen und Herren des BürgerSprechChores
Uraufführung am Staatstheater Cottbus: 28. September 2019
Weitere Termine: 05., 11., 20.10. / 03., 16.11. / 13.12.2019 // 09.01. / 11.02. / 04.03. / 09.05. / 22.05. / 07.06.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatstheater-cottbus.de/
Post an Stefan Bock
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