Gelernte
Ostbürger
und ihre
Gesinnung
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Wer seid ihr von Oliver Bukowski an den Landesbühnen Sachsen | Foto (C) Hans Ludwig Böhme
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Bewertung:
„Goldstaubviertel“ bekommt man als Ergebnis, wenn man Radebeul googelt. Die Stadt hat im Deutschlandschnitt die größte Millionärsdichte. Dass hier ein Pegida-Stück über die Abgehängten des Ostens Premiere feiert, könnte man getrost als Scherz abtun, wenn das nicht schon zum Kern des Problems selbst führen würde. Man kann davon ausgehen, dass kaum ein in der DDR Geborener zu den hier nun ansässigen Millionären gehört. Und selbst wenn, wäre dies die sooft bemühte Ausnahme von der Regel. Dass Pegida und AfD besonders in Sachsen Zulauf haben, hat Gründe, die Medien und Politiker nicht müde werden zu diskutieren. Zum Grund dessen ist bisher kaum jemand vorgedrungen.
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Oliver Bukowski, 1961 in Cottbus geboren, ist Autor des besagten Stücks und (wenn man so will) mit Stücken wie Londn-LÄ-Lübbenau (1993), Gäste (Mülheimer Dramatikerpreis 1999) oder Birkenbiegen (uraufgeführt 2016 in Senftenberg) ein Experte in Sachen Osten. Bukowski erhielt auch gerade den ausgelobten Theaterpreis „Lausitzen 2019“ für sein Stück Der Sohn, das dann 2020 wiederum an der Neuen Bühne Senftenberg zur Uraufführung kommen soll.
Bukowski ist aber nicht nur seiner Heimatregion Lausitz verbunden, mit Wer seid ihr befragt er nun auch die gelernten Ostbürger Sachsens. Uraufgeführt wurde das Stück von Regisseur Tom Quaas auf der Studiobühne an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul. Eine von Bukowskis typischen Tragikomödien, die den rauen Mundartton nicht scheuen. Ein Volksstück der anderen Art, das Ausstatter Tom Böhm gleich in einem Bierzelt verortet. Das Publikum sitzt auf Bierbänken vor einem Tresen, der das leider recht schlecht gehende Dorflokal der sächsischen Familie Heuser darstellen soll.
Tochter Lisa (Sophie Lüpfert) wird hier vom Schweizer Freund Fred (Moritz Gabriel) im Rollstuhl abgeliefert. Die linke Bloggerin und Aktivistin, die zu Beginn in einem Einspielfilm auf Berliner Straßenkreuzungen bänderschwingend Autofahrer agitiert, ist zusammengebrochen und kehrt so in den Kreis der Familie, bestehend aus Vater Martin (Michale Heuser), Mutter Renate (Anke Teickner) und Onkel „Ralle“ Ralf (Matthias Henkel) zurück. Eine ob des Anlasses durchaus geteilte Wiedersehensfreude. Teils stolz, argwöhnisch oder besorgt hat man daheim das Treiben Lisas im Netz verfolgt. Als die nun mitbekommt, dass sich die zur Wende engagiert für ihre „Gesinnung“ auf die Straße gegangene Familie nun bei den besorgten Pegida-Bürgern eingereiht hat, eskaliert das eh schon etwas angespannte Verhältnis mit den Eltern und Onkel Ralle, den Lisa schnell in die Nazi-Ecke stellt.
„Aufhängen“, „Absaufen“, die Sprüche nach Art sächsischer Willkommenskultur reibt Lisa ihrer Familie ungeschönt unter die Nase und noch so manch anderen Vorwurf. Auch ein gnadenloses Stück Geschichtsaufarbeitung Ost aus Sicht der glücklich Spätgeborenen, das Autor Bukowski hier auf Familie und Publikum gleichermaßen einprasseln lässt. Besonders Onkel Ralle, einst erschütterter Buchenwaldbesucher und infolge überzeugter Parteigenosse und sogar Stasimitläufer hat da mächtig zu knabbern. Unter Männern lässt sich das mit dem Schweizer Neuzugang Fred Vögli und reichlich Alkohol sicher kurzzeitig schön saufen. Der morgendliche Kater folgt aber postwendend.
Der außenstehende Schweizer hält jedoch auch, was Lisa betrifft, nicht hinter dem Berg. Die sogenannte moralische Linke bekommt hier ebenfalls ihr Fett weg. Als sich schließlich der gemeine Volkszorn gegen die Lisa und die Kneipe richtet, outet sich Vater Martin als feige und opportunistisch. Als Gastwirt ist er auch den anderen verpflichtet. Die Fronten sind offen, die Erklärungsansätze auch. Bukowski weist niemanden vorschnell die Schuld zu, ergründet aber in den Gesprächen, was die einen wie die anderen bewegt. Dass Bukowskis Sympathie der Familie als Ganzes gehört verwundert da nicht. Dennoch lässt er am Ende die Heldin vom Mob totschlagen, was wiederum im Video angedeutet wird, während die Familie und der die Situation ausschlachtende Filmregisseur Fred „die ganze Wahrheit“ in einem TV-Interview nüchtern rekapitulieren.
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Wer seid ihr von Oliver Bukowski an den Landesbühnen Sachsen | Foto (C) Hans Ludwig Böhme
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Stefan Bock - 28. April 2019 ID 11375
WER SEID IHR (Studiobühne in Radebeul, 26.04.2019)
Inszenierung: Tom Quaas
Ausstattung: Tom Böhm
Dramaturgie: Judith Zieprig
Licht: Dieter Krause
Ton: Mike König
Video: Daniel Retzsch, Sébastien Trulès
Requisite: Dörte Schwanitz
Maske: Susann Hofmann
Besetzung:
Lisa ... Sophie Lüpfert
Renate ... Anke Teickner
Martin ... Michael Heuser
Ralf ... Matthias Henkel
Fred ... Moritz Gabriel
Uraufführung an den Landesbühnen Sachsen: 26. April 2019
Weitere Termine: 03., 05., 29.05. / 08.06.2019
Weitere Infos siehe auch: http://www.landesbuehnen-sachsen.de/
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