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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Flohzirkus in

bayerischem

Schamhaar



Am Wiesnrand im Münchner Volkstheater | Foto (C) Arno Declair

Bewertung:    



Ein Stimmungssong von EUROTEURO, ein in Öl gemalter Berg, ein grüner Hügel. Als die bunten Disco-Strahler nicht mehr blenden, zeigt sich: der grüne Hügel vor der idyllischen Alpenkulisse ist ein riesiger rosa Bierbauch mit angeschlossener Brust und einzelnen (Scham-)Härchen. Sarah Sassens Bühne macht aus der „Wiesn“ eine leibhaftige „Urmutter“, die ihre Kinder vollsäugt, wenig später aber brutal in den Dreck wirft, so dass sie „brüllen wie am Spieß und sich im eigenen Bäuerchen winden“. Doch zunächst kriechen aus ihrem Nabel seltsame Tierchen. Flöhe, wie sich herausstellt, Flöhe aus Österreich. Sie freuen sich auf ihr erstes Oktoberfest: Bier trinken, Gaudi haben und „Trachtensex mit grobschlächtigen Bayern“.

Die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel war vor Ort und hat sie getroffen. Im Auftrag des Volkstheaters besuchte sie im Herbst 2019 das Oktoberfest, hielt sich fern vom Bier, aber dicht an die Menschen. Heraus kamen knappe 90 Minuten Beobachtungen - grotesk, tierisch, saukomisch: „Die Bayern sind wie Turboösterreicher, optimistisch blicken sie in die Zukunft ohne Selbstmitleid und slawische Schwermut. Es sind die drallsten, deutschsprachigen Stämme vereint zu einem Pfropfen, der jeden geistigen Fluss luftdicht verschließt und einen vor krankmachender Grübelei bewahrt.“

Was soll hier auch Geist, deswegen kommt nicht mal der mickrigste Floh! Auf der Wiesn geht es nicht um hehre Werte, sondern um das, was einen unter den Tisch haut, um den Rausch. Da macht man sich gemein. Gönnt sich Erholung vom Dauerstress, ein Individuum sein zu müssen. „Ein Tisch wird eine Schicksalsgemeinschaft und man lacht und man schunkelt und alle 20 Minuten ruft man euphorisch gemeinsam: oans, zwoa, drei, gsuffa!“

Spätestens jetzt entgleisen wohlig die Gesichtszüge, bis auf die der angespannten Damen vor dem Käferzelt - zu viele Schönheitsoperationen. Da nützt es auch nichts, dass sogar ihre „Wimpern zu Zöpfen geflochten“ sind. Die meisten grölen jedoch den Wienshit „Komm, hol das Lasso raus.
Wir spielen Cowboy und Indianer“
. Da freuen sich sogar die 18jährigen Jung-Polizisten und rufen fröhlich „Verhaftet!“, weil sie endlich einen raufenden Ausländer abführen dürfen. Wie schon Horst Seehofer sagte: „Bayern ist die Vorstufe zum Paradies.“ Die paradiesische Überfülle an Speis und Trank muss man allerdings auch wieder los werden können. Da fließen bei den Frauen dann die Tränen und bei den Männern der Urin, sie „weinen mit dem Penis“. Wer das Bierzelt schließlich verlässt, der kriegt eine „Luftwatschn“. Am Ende schläft der zünftige Bayer seinen Rausch aus. Nur der Flohzirkus in seiner Hose wispert noch immer, aber jetzt ganz, ganz leise: Ein Prosit der Gemütlichkeit.

*

Eine wohlüberzeichnete Groteske, durchaus zum Kotzen, vor allem aber eine unterhaltsame Oktoberfest-Revue. Auch Stefanie Sargnagel selbst hatte nach eigener Aussage Spaß auf der Theresienwiese. Tiefere oder gar neue Erkenntnisse? Die gewinnt der Zuschauer eher nicht. Die Ansätze dazu („Heute zeigen alle ihre verletzlichste Seite“) hat die Regie untergehen lassen im rasanten Sprechtempo der Darsteller und ihrer allzu gleichmäßig eingepegelten Lautstärke. Dabei hat die Regisseurin Christina Tscharyiski den fetzigen Fließtext Stefanie Sargnagels geschickt auf fünf junge, spritzige Schauspieler verteilt (Jan Meeno Jürgens, Jonathan Müller, Henriette Nagel, Pola Jane O´Mara, Nina Steils). Es ist immer wieder überraschend, wie die Fünf einander auf dem kugeligen Blähleib die Satz-Bälle zuwerfen, dazu hüpfen, krabbeln, rutschen, sich verknoten und wieder entwirren, trittsicher und voller Spielfreude auch mal als Zuckerwatte oder Lebkuchenherz (Kostüme: Svenja Gassen). In Schwung gehalten wird Tanz auf dem Bierbauch von der schmissigen Sängerin Katharina Seyser-Trenk von EuroTeuro. Als dann noch hoch auf dem Nabel eine riesige echte Brezel mitzuspielen beginnt, bekommt man so richtig Lust reinzubeißen.

Jetzt aber nichts wie raus und ein Bier!



Henriette Nagel, Jan Meeno Jürgens,Pola Jane O´Mara und Nina Steils (v.l.n.r.) in Am Wiesnrand im Münchner Volkstheater | Foto (C) Arno Declair

Petra Herrmann - 1. Februar 2020
ID 11971
AM WIESNRAND (Münchner Volkstheater, 30.01.2020)
Regie: Christina Tscharyiski
Bühne: Sarah Sassen
Kostüm: Svenja Gassen
Musik (Live): EUROTEURO
Dramaturgie: Rose Reiter
Mit: Jan Meeno Jürgens, Jonathan Müller, Henriette Nagel, Pola Jane O´Mara und Nina Steils
Uraufführung war am 30. Januar 2020.
Weitere Termine: 31.01. / 05., 06., 16.02. / 05., 06.03. / 02.04.2020


Weitere Infos siehe auch: https://www.muenchner-volkstheater.de/


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petra-herrmann-kunst.de

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