In den Fängen
des Regimes
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Verhaftung in Granada von Doğan Akhanlı am Schauspiel Köln | Foto (C) Krafft Angerer
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Bewertung:
Der in der Provinz Artvin am Schwarzen Meer geborene Schriftsteller Doğan Akhanlı (63) lebt und arbeitet seit zirka dreißig Jahren in Köln. Er schreibt bevorzugt auf Türkisch, ist in letzter Zeit jedoch auch mit der sogenannten Keupstraßen-Trilogie am Schauspiel Köln (Glaubenskämpfer, Istanbul, Herero_Nama) einem Theaterpublikum weit über NRW hinaus bekannt geworden.
"Nachdem er 1975 wegen des Kaufs einer linksgerichteten Zeitschrift fünf Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, begann er sich politisch zu engagieren als Mitglied der illegalen Revolutionären Kommunistischen Partei der Türkei (TDKP). Nach dem Militärputsch in der Türkei am 12. September 1980 ging er in den Untergrund. Im Mai 1985 wurde Akhanlı zusammen mit seiner Frau Ayşe und dem 16 Monate alten Sohn verhaftet und saß von 1985 bis 1987 als politischer Häftling 2½ Jahre im Militärgefängnis von Istanbul. Später berichtete er über Folterung.
1991 floh er nach Deutschland ins politische Asyl. Seit 1992 lebt er als Schriftsteller in Köln. 1998 wurde er von der Türkei ausgebürgert, weil er eine Rückkehr zum türkischen Militärdienst verweigerte. Er ist Mitglied in der internationalen Schriftstellervereinigung PEN und besitzt seit 2001 allein die deutsche Staatsbürgerschaft."
(Quelle: Wikipedia)
Im August 2017 wurde er vorübergehend in Granada, wo er Urlaub machte, verhaftet; das türkische Regime fahndete über Interpol nach ihm...
Namentlich diese "Episode" [in und um Granada], die für Akhanlı als Anlass wie als Titel seiner autobiografischen Erzählung Verhaftung in Granada herhielt, wird in der von Nuran David Calis zusammengestückelten Spielfassung erst ganz am Schluss der ca. einhundert Minuten währenden Performance in der Außenspielstätte am Offenbachplatz faktisch aufgerollt, protokollarisiert; der Name und der Fall des Dichters gerieten - über die Tagesschau-Nachricht hinaus - in die Weltöffentlichkeit, die entsprechenden Schlagzeilen in der New York Times, im britischen Guardian usw. wurden nacheinander eingeblendet.
Im Anschluss daran verlesen Stefko Hanushevsky, Kristin Steffen und Murat Dikenci Dutzende Namen der KollegInnen Akhanlıs, die, wie er einst, als politische Gefangene völlig zuunrecht in den türkischen Gefängnissen sitzen und um deren bedingungslose Freilassung auch weiterhin weltweit zu kämpfen wäre und zu kämpfen ist! Und ihre Namen standen/stehen selbstverständlich dann für alle andern Tausenden Betroffenen in Erdogans Türkei.
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Außer dem leidenschaftlich sich manifestiert habenden politischen Statement der erlebten Vorstellung vermochte der gespielte Abend, und je mehr er rückwärts bis zur (biografisch aufgearbeiteten) frühen Kindheit des Autors gelangte, emotional zu rühren - insbesondere bei der Beschreibung von Akhanlıs Mutter, die, nachdem sie selbst erst in die Welt der Bücher nach und nach zu tauchen lernte, ihren Söhnen aus Knut Hamsuns Hunger oder Leo Tolstois Anna Karenina oder Flauberts Madame Bovary vorgelesen hatte und in ihnen, sicherlich auch hierdurch, einen freiheitlichen Weitblick weckte.
Die drei Schauspieler wechselten mehrfach Rollen, Positionen, Ansichten; zumeist waren es inszenierte "Gegenüberstellungen" von Opfern/Tätern, und Akhanlıs unvergessliche Erinnerung an seine Zeiten und Erlebnisse hinter Gefängnismauern teilten sich dem Zuhörer besonders niederschmetternd mit, ihr intensiver und traumatischer Gehalt ließen ihn fast denn körperlich an all den nacherzählten Beispielen entmenschlichendem Daseins teilhaben.
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Verhaftung in Granada von Doğan Akhanlı am Schauspiel Köln | Foto (C) Krafft Angerer
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Im Großen und Ganzen:
Ein mehr oder weniger lose strukturiertes Stationen-Theater.
Ja und von der künstlerischen Mache her zwar ziemlich zwingend (s. Stoff und Inhalt), allerdings, was insbesondere die Unverkennbarkeit von auktorialer Sprache anbelangen sollte, unentschieden (s. Form).
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Andre Sokolowski - 29. Februar 2020 ID 12041
VERHAFTUNG IN GRANADA (Schauspiel Köln, 28.02.2020)
Regie: Nuran David Calis
Bühne: Anne Ehrlich
Kostüme: Geraldine Arnold
Musik: Vivan Bhatti
Licht: Michael Frank
Dramaturgie: Stawrula Panagiotaki
Mit: Stefko Hanushevsky, Kristin Steffen und Murat Dikenci
Uraufführung war am 28. Februar 2020.
Weitere Termine: 07., 21.03. / 02.04.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel.koeln/
http://www.andre-sokolowski.de
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