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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Die recht-

schaffenen

Mörder

nach dem Roman
von Ingo Schulze


Blick auf die Litfasssäule mit dem Ankündigungsplakat des Staatsschauspiels Dresden | Foto: Stefan Bock

Bewertung:    



Wie wird aus einem gebildeten und hochgeachteten Bücherliebhaber ein fremdenfeindlicher, unversöhnlich hassender Reaktionär? Diese Frage versucht der Schriftsteller Ingo Schulze in seinem 2020 erschienen Roman Die rechtschaffenen Mörder anhand eines Dresdner Antiquars und seines Werdegangs von der DDR der 1950er Jahre über die Wiedervereinigung bis in die Zeit nach der Jahrtausendwende zu beantworten. Der beispielhafte Lebensweg eines typisch ostdeutschen Bildungsbürgers mit zumeist sehr barockem Selbstverständnis und hehrem Glauben an eine reine Welt der Literatur, in der es sich viele Intellektuelle im real existierenden Sozialismus bequem gemacht hatten und aus der sie nach der Wende nicht so recht wieder herausfinden konnten oder wollten. Und so entwickelt Autor Schulze, der sich selbst als Schriftsteller Schultze in den Roman geschrieben hat, nicht ganz ohne Sympathie jene Figur des Antiquars Norbert Paulini stellvertretend für so manche Ostdeutsche, die sich heute immer wieder als zu kurz gekommen erachten, wie auch Paulini, der sich durch Wende, Stasi, Rückübertragungsansprüche und Pleite gebeutelt mit den der Elbeflut von 2002 entrissenen Resten seiner Bücherschätze aus Dresden in die Sächsische Schweiz zurückzieht.

Zum Phänomen der sächsischen Pegida hat das Staatsschauspiel Dresden schon einige Theaterproduktionen herausgebracht (u.a. Volker Löschs Inszenierung von Frischs Graf Öderland). Das allein erklärt noch nicht das Abdriften so mancher Ossis hin zu rechtsextremem Gedankengut. Da muss man auch Schulzes in drei Teilen verfassten Roman schon genau und nicht ganz ohne Detailwissen lesen. Wird im ersten Teil, der sich später als unvollendetes Manuskript des Schriftstellers Schultze entpuppt, die Vorgeschichte Paulinis mit der früh verstorbenen Mutter, die den Buchladen eröffnete und die Grundlage in Büchern angelegt hatte, dem hart arbeitenden Vater und dessen kühlem Verhältnis zum Sohn sowie Paulinis Aufstieg und Niedergang als Antiquariats-Erbe und -Betreiber erzählt, so bringt einem erst der zweite Teil einige Figuren und das Verhältnis zum Schriftsteller Schultze näher. Im dritten Teil erzählt Schultzes Lektorin die Geschichte weiter und zu Ende, an dem der Tod Paulinis und der von ihm und Schultze geliebten Elisabeth steht.

Schulzes Roman wurde viel mit Uwe Tellkams Der Turm (ebenfalls in Dresden auf der Bühne) verglichen, befindet sich Paulinis Antiquariat doch im Dresdner Stadtteil Blasewitz nahe dem Blauen Wunder und Weißen Hirsch. Ganz so verschachtelt und in seitenlangen Beschreibungen verliebt ist Schulzes Roman aber nicht. Der Autor spielt ganz geschickt mit Ostklischees, legt falsche Fährten und führt die Leser dabei hinters Licht. Wer nun die titelgebenden „rechtschaffenen Mörder“ sind, bleibt auch nach der Lektüre offen. Die Verstrickungen Schultzes in den Tod seines ehemaligen Idols und jetzigen Nebenbuhlers werden lediglich angedeutet, lassen einen aber an dessen Rechtschaffenheit zweifeln. Man ist am Ende so schlau wie zuvor, oder wie ein Zitat am Beginn des Romans besagt: „Wer kann denn das Ende eines Buches auch nur erahnen, wenn er darangeht?“

*

Wie sich aus dieser Konstellation ein Theaterabend machen lässt, bleibt allerdings ein Rätsel. Regisseurin Claudia Bauer hat es für das Staatsschauspiel Dresden dennoch zu lösen versucht. Der Dreiteilung des Romans wird sie durch verschiedene Ästhetiken gerecht. Bauer arbeitet im ersten Teil wieder mit Puppenköpfen, spitznasig wie eine Beschreibung des eifersüchtigen Schultze von Paulini als Burationo (die russische Variante des Pinocchio). Patricia Talacko und Doreen Winkler ziehen allen DarstellerInnen lange Ballkleider an. Im realistischeren zweiten Teil tragen dann alle eher Alltagskleidung, auch die Puppenköpfe werden abgelegt. Nur Paulini-Darsteller Torsten Ranft trägt unterm grauen Antiquariatskittel weiter ein Kleid. Das zeichnet ihn als komischen Vogel und Eigenbrötler, Spitzname „Prinz Vogelfrei“ (Nietzsche), eine durchaus tragikomische Figur mit Hang zum Slapstick, aber auch konservativen Eigenarten eines Liebhabers der deutschen Sprache.

Das holzvertäfelte Bühnenbild von Andreas Auerbach vermittelt den Charme eines DDR-Kulturhauses, was aber nicht so recht zur intimen Atmosphäre des nur zwei Zimmer umfassenden Bücherreich Paulinis passen will. Seine literarischen Schätze werden durch mehre Lichterketten aus Glühbirnen imaginiert. Ein senkrechter Turm aus Büchern, der bei Berührung zu leuchten beginnt und an dem Torsten Ranft auch mal die Lichter putzt. Hin und wieder wird eine bühnenhohe Büchertreppe herein- und wieder rausgeschoben. Live-Videobilder vom Geschehen hinter der Bühne werden auf die Bühnenrückwand übertragen. Auch das ein bekanntes Stilmittel von Claudia Bauer.

Moritz Kienemann als Schriftsteller Schultze gehört hier die meiste Aufmerksamkeit. Eher unfreiwillig wird er anfänglich von hinten ins Rampenlicht gedrängt und beginnt zögerlich die Geschichte des Antiquars zu erzählen, die mit einem märchenhaften „Es war einmal…“ beginnt. Zusätzlich verfremdet wird das durch pantomimisches Spiel mit einer Live-Synchronisation aus dem Hintergrund. Die musikalische Untermalung kommt vom 5köpfigen Ensemble AuditivVokal Dresden. Es werden Dichternamen gesungen und Poststruktualisten getanzt. Ansonsten spult Claudia Bauer die Romanhandlung relativ textgetreu ab, was schon etwas erstaunt, wenn man ihre wesentlich experimentierfreudigeren Romanadaptionen von 89/90 oder Die Rättin in Leipzig dagegen hält.

Trotzdem trägt Ingo Schulzes sehr interessantes Konstrukt aus Ost-West-Geschichtsroman, Eifersuchtsdrama und literarischer Wahrheitssuche den über 2stündigen Abend. Komödiantische Brechungen, zu denen Schulzes Text immer wieder einlädt, wie beim Stäbchenessen Schultzes mit dem Ex-Ost-Literatenkollegen Gräbendorf (Viktor Tremmel) und Lisa (Nadja Stübiger) lockern den Abend. Im Grunde läuft alles auf das finale Treffen der beiden Kontrahenten Schultze und Paulini in dessen als Folienzelt auf die Bühne gefahrenen Rückzugsort in der Sächsischen Schweiz hin. Das Outing des vom Leben enttäuschten Antiquars als rechter Revolutionär „Zwischen Liebe und Zorn“ (Renft). Der schon im Roman wie ein unnötiger Nachklapp wirkende dritte Teil mit den Nachforschungen von Schultzes Lektorin (Christine Hoppe) stellt das zwar wieder in Frage. Aber eigentlich hat man da schon längst begriffen: Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen.
Stefan Bock - 24. Oktober 2021
ID 13239
DIE RECHTSCHAFFENEN MÖRDER (Staatsschauspiel Dresden, 22.10.2021)
Bühnenfassung von Claudia Bauer, Uta Girod und Jörg Bochow

Regie: Claudia Bauer
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüme: Patricia Talacko, Doreen Winkler
Komposition und Sounddesign: Peer Baierlein
Musikalische Ensembleleitung: Olaf Katzer
Dramaturgie: Uta Girod
Licht: Peter Paul Lorenz
Live-Kamera: Julius Günzel, Eckart Reichl
Mit: Torsten Ranft, Moritz Kienemann, Christine Hoppe, Nadja Stübiger, Eva Hüster, Viktor Tremmel, Richard Feist, Anton Löwe und Marin Blülle sowie dem AuditivVokal Dresden
Premiere war am 22. Oktober 2021.
Weitere Termine: 28., 29.10. / 07.11.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de/


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