GEFÄNGNISTHEATER aufBruch
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Bissige Satire über den Zusammenprall von Insassen eines Obdachlosenasyls mit einer Schauspieltruppe auf Recherchebesuch
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(C) Alexander Atanassow
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Bewertung:
Das Gefängnistheater aufBruch hat schon öfter Texte von Einar Schleef (1944-2001) verwendet. Zu dessen 75. Geburtstag in diesem Jahr ist es das 1988 am Schauspiel Frankfurt von ihm selbst uraufgeführte Stück Die Schauspieler. Gespielt wird wie immer einmal im Jahr auch außerhalb Berliner Justizvollzugsanstalten im Gebäude des historischen Flughafens Tempelhof, wo das aufBruch-Team nicht zum ersten Mal gastiert. Genauer Spielort ist ein Hangar, der im Sommer 2015 als Erstunterkunft für die vielen in Berlin eingetroffenen Geflüchteten diente. Am Ende des zweieinhalbstündigen Abends wird sich das schwere Hangartor öffnen und die frische Abendluft in die große Halle lassen.
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Das gemischte Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner BürgerInnen, nicht wenige selbst mit einem Migrationshintergrund, tritt ins Freie und spricht chorisch den Text Die Flüchtlinge aus dem Band Und der Himmel so blau, den Schleef bereits im Jahr 1999 geschrieben hatte. Er beginnt so: „Wir bitten nicht, wir fordern von euch Wohnung, Brot, Kleidung und Fleisch. Der Gast ist König am Tisch des Fremden, König in seinem Bett. Eingedenk, daß euch das träfe, was uns trifft, folgt dem alten Brauch.“ Noch vor Elfriede Jelinek bezog sich Schleef in diesem Text auf Aischylos‘ antikes Drama Die Schutzflehenden.
Als weitere Rahmung für das eigentliche Stück erzählen die einzelnen Mitglieder des Ensembles aus ihren Lebensläufen. So erfährt das in vier Gruppen geteilte Publikum gleich zu Beginn von den in Gitterstockbetten Liegenden, wo sie herkommen, was sie nach Berlin geführt hat, wie es ihnen dabei ergangen ist, auch wie sie u.U. mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind und was sie von der Zukunft erwarten. Sehr persönliche Geschichten, die als Aufhänger natürlich auch die Schauspielerei haben, die Frage nach dem „Wer bin ich?“, dem Kick, dem Aufgehen als Einzelstimme im großen Chor - oder einfach jemand anderes zu sein und der Realität zu entfliehen. Dazu gibt es einen Text vom österreichischen Schriftsteller und Dramatiker Thomas Bernhard, in dem ein ehemaliger großer Shakespeare-Darsteller sein Leben reflektiert und die in Theaterkreisen nicht weniger bekannte Rede zum unmöglichen Theater von Jungautor Wolfram Lotz zum Zusammenspiel von Wirklichkeit und Fiktion auf der Bühne. Ein guter Abschluss wie auch Einstieg zu Schleefs Komödie Die Schauspieler.
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Schleefs Stück ist eine bissige Satire auf das Drama Nachtasyl von Maxim Gorki. Um sozusagen Rollenrecherche am real existierenden Original zu betreiben, besuchte in Vorbereitung der Uraufführung 1902 durch Konstantin Stanislawski, dem Meister der Einfühlung, das Schauspielensemble des Moskauer Künstlertheaters ein Asyl. „Mit grimmigem Witz zeigt Schleef, wie dessen Insassen die Projektionen der freundlich-herablassenden Eindringlinge scheitern lassen und die Situation sich dreht.“ heißt es da im Vortext. Das Nachtasyl in Tempelhof befindet sich in einem Nebenraum des Hangars, wo zwei Darstellerinnen im Takt den Boden schrubben, während die Gruppe der Schauspieler mit großem Esskorb und Wodkaflaschen bestückt hereinmarschiert.
Die Inszenierung von aufBruch-Regisseur Peter Atanassow hält sich weitestgehend an den Schleef-Text. Während sich im Nachtasyl die wohlmeinenden Schauspieltruppe vorsichtig den Obdachlosen zu nähern versucht, was alles andere als eine Begegnung auf Augenhöhe ist, toben draußen vor der Tür Kämpfe von Arbeitern mit der Polizei, was nur hin und wieder durch das chorisch vorgetragene Wort „Panzerwagen“ verdeutlicht wird. An einer langen Abendmahlstafel wird schließlich das Brot gebrochen und Tee geschlürft. Die Asyl-Insassen wie Schauspieler erzählen in kurzen Sätzen kleine Episoden aus ihrem Leben, aber ein Funke des Misstrauens bleibt. „Das klingt nach Wirklichkeit, aber muss es deswegen auch passiert sein.“ ist einer der Schlüsselsätze des Stücks. Theater und Wirklichkeit prallen aufeinander und aneinander ab. Nach etlichen Gläsern Wodka und sogar ein paar Linien Kokain lockert die Gesellschaft zusehends auf. Während die einen sich in die vermeintliche Realität zu verlieben beginnen, begehen die anderen im Rausch Realitätsflucht.
Anziehung und Abstoßung. Man spielt sich etwas vor. Theaterintrigen kommen ans Licht, und Konkurrenzkampf bricht aus. Sexuelle Begehrlichkeiten stehen neben dem Gefühl nur ausgenutzt zu werden. Es wird marschiert, getanzt, und im Chor erklingen Lieder von Schumanns Wenn ich ein Vöglein wär über Fremde oder Freunde von Howard Carpendal bis zu Schöner fremder Mann von Connie Francis. Die Obdachlosen treiben nun ihrerseits ihr böses Spiel mit den Schauspielern, die an sich und ihrer Kunst zu zweifeln beginnen. Die Frage, ob man einen richtigen Penner von einem richtigen Schauspieler unterscheiden kann, ist hier keine Frage der stimmigen Maske mehr. Die Lage eskaliert in einer Erniedrigungs- und Vergewaltigungsszene. Erniedrigte und Beleidigte beider Lager fallen übereinander her, währenddessen draußen ein toter Arbeiter vor die Tür gelegt wird.
Schleef wie auch Regisseur Atanassow zeigen, wie weit sich die bürgerliche Gesellschaft von der Wirklichkeit entfernt hat. Entlarven das heuchlerische Bemühen um Verständnis und Gefühlsduselei am krassen Beispiel einer versuchten künstlerischen Aneignung. „In drei Tagen, hab ich meine Rolle drauf.“ heißt es da am Ende von einer der Schauspielerinnen. Während es zynisch aus dem Mund eines der Obdachlosen klingt: „Machst du wieder Theater. Nur Lügen.“ Von Gemeinschaft und Solidarität keine Spur. Es bleibt die schöne Illusion des perfekten Zusammenklangs und treibenden Kraft des Chors, wie man sie aus Einar Schleefs Inszenierungen kennt.
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Stefan Bock - 29. August 2019 ID 11648
DIE SCHAUSPIELER (Flughafen Tempelhof, 28.08.2019)
Regie: Peter Atanassow
Bühne: Holger Syrbe
Kostüme: Thomas Schuster
Dramaturgie: Hans-Dieter Schütt
Musikalische Leitung: Vsevolod Silkin
Produktionsleitung: Sibylle Arndt
Es spielt ein gemischtes Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner BürgerInnen: Christian Krug, Frank Zimmermann, Hans M., Hans-Jürgen Simon, Irene Oberrauch, Josef, Juliette Roussennac, Katharina Försch, Lasha Jologua, Maja Borm, Massimiliano Baß, Mathis Koellmann, Matthias Blocher, Mohamad Koulaghassi, Patrick Berg, Rita Ferreira, Roland Moed, Sabine Böhm, Salah und Ulrike Wolf
Uraufführung am Schauspiel Frankfurt: 12. März 1988
aufBruch-Premiere war am 21.08.2019
Weitere Termine: 30., 31.08. / 01., 04.-07.09.2019
Eine Theaterproduktion von aufBruch KUNST GEFÄNGNIS STADT
Weitere Infos siehe auch: https://www.gefaengnistheater.de/
Post an Stefan Bock
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