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Uraufführung

Jelineks

Corona-

Stück



Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! von Elfriede Jelinek am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Matthias Horn

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Gilt es aktuell-politische Ereignisse zeitnah auf die Bühne zu bringen, hat nicht selten Elfriede Jelinek die Nase vorn. Ob die Flüchtlingskrise, die Wahl von Donald Trump oder das Ibiza-Video, man kann sich auf die österreichische Nobelpreisträgerin verlassen. Mit Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! hat sie nach einem Jahr Pandemie nun auch ein Stück zur Corona-Krise vorgelegt. Und wie bereits mit Am Königsweg (Regie: Falk Richter) sicherte sich Karin Beier die Uraufführung für das Deutsche Schauspielhaus Hamburg. Es ist nicht das erste Mal, dass Karin Beier ein Stück von Elfriede Jelinek inszeniert. Während Beiers Kölner Intendanz wurde 2010 Das Werk / Im Bus / Ein Sturz über den Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Aber irgendwie scheint diesmal beide Damen der sichere Instinkt für den Erfolg verlassen zu haben. Dabei wäre es gerade jetzt, mitten im spürbaren Abflauen der Corona-Pandemie, wichtig die für alle so schwierige Zeit gebührend zu reflektieren. In ihren schier endlosen Textflächen versteht es die Jelinek mit scharfem Witz kunstvoll nach allen Seiten auszuteilen. Diesmal hat sie sich um „das unaufhörliche Gerede über die Pandemie in den Medien“ gekümmert, und da gab es ja bekanntlich viel zu reden. Eine Nation von selbsternannten Virologen und Verschwörungstheoretikern im Schlagabtausch mit überforderten Politikern, deren wechselnde Pandemiestrategien ständig in der öffentlichen Kritik standen. Ein polyphones Gemurmel und Hasstiraden in den sozialen Medien.

Und genauso beginnt Karin Beier auch ihre Inszenierung. Bei ausgeschaltetem Saallicht flutet sie den Zuschauerraum des Schauspielhauses mit einer Toncollage aus Medienschnipseln, Ausschnitten aus Politikeransprachen und dem durch das Ensemble eingesprochenen Querdenkerparolen. Ein starker, gut gewählter Einstieg, lässt er doch die medialen Schlagworte und Themen nochmal Revue passieren. „Glauben sie keinen Gerüchten“, ist da die Kanzlerin zu vernehmen, „absolut zuverlässige Quellen“ raunt es, aber auch „Corona-Diktatur“ und Sophie Scholl wird durch die Querdenker-Bewegung vereinnahmt. Um „nichts als die Wahrheit“ soll es gehen, was immer man darunter versteht. Der titelgebende Lärm stürzt auf uns ein und macht ein Verstehen, sprich blindes Sehen, fast unmöglich.

Jelinek kombiniert ihren Text wie immer auch mit antiken Mythen und philosophischen Traktaten. Kein schlechter Griff ist hier die Verknüpfung der Superspreader-Partys im österreichischen Ischgl mit den Gesängen aus Homers Odyssee, im speziellen der Geschichte um die Zauberin Kirke (dargestellt von Schauspielstar Eva Mattes), die die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt. Da geht natürlich die Post oder besser die Sau ab. Hüttenfieber mit Blasmusik und Techno-Sound. „Die Viren tanzen Polka“ beim Après-Ski. Schweinemasken, -ohren und auch -hälften, die hereingeschleppt werden, und die sofort die Analogie zu den Corona-Fällen in den Tönnies-Schlachthäusern bringen. „Wie geil sind wir denn?“ wird da skandiert und „Pornohuber“ spielt mit aufblasbaren Gummipuppen. Das war es dann aber auch, im Folgenden wird fast nur noch darauf herumgeritten. Umweltsauerei, Massentierhaltung, menschliche Hybris und Kapitalismuskritik, bis die Luft bald wieder raus ist.

Auch nach der Pause des 3stündigen Abends geht es erstmal wieder mit Lars Rudolph um die Wurst, sprich das säuische Schlachtvieh. „Wer hat Angst vorm bösen fremden Schlächter?“ Ein paar Reichsbürgerfahnen werden auch mal geschwenkt. Da geht es von der Schweinemast zum Sendemast, der gesprengt werden soll. Da hat die Jelinek auch schon mal besser gekalauert. Die Demokratie läuft hier nur Gefahr von rechts unterwandert zu werden. Damit ist sie unisono mit der allgemeinen politischen Einschätzung. Weder die Bundesregierung noch der österreichische Kanzler Kurz sind hier Ziel ihrer Wortkaskaden. Die politischen Köpfe sieht man nur in den fleißig flimmernden Videos.

Kein Zweifel, die Corona-Pandemie hat die Krise der Demokratie befördert und die Mythen rechter Kreise um die jüdische Welt- samt Impfverschwörung befeuert. Da gibt es nochmal Nachschlag mit einem Monolog von Julia Wieninger im Heidegger-Style. Vom „Macht euch die Erde untertan!“ bis zur Vertreibung aus dem Paradies ist es da nicht mehr weit. Der Platz im Dunkeln scheint da sicher. Da ist dem Stück und der Inszenierung aber lange schon der vielbeschworene Atem ausgegangen.



Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! von Elfriede Jelinek am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Matthias Horn

Stefan Bock - 22. Juni 2021
ID 12992
LÄRM. BLINDES SEHEN. BLINDE SEHEN! (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 20.06.2021)
von Elfriede Jelinek

Regie: Karin Beier
Bühne: Duri Bischoff
Kostüme: Wicke Naujoks
Musik: Jörg Gollasch
Video: Severin Renke
Licht: Annette ter Meulen
Choreographische Mitarbeit: Altea Garrido
Körpertraining: Valentí Rocamora i Torà
Dramaturgie: Rita Thiele
Mit: Josefine Israel, Jan-Peter Kampwirth, Eva Mattes, Angelika Richter, Lars Rudolph, Maximilian Scheidt, Ernst Stötzner, Julia Wieninger
Musiker: Lukas Fröhlich, Sebastian »Johnny« John und Stefan Pahlke
Uraufführung war am 5. Juni 2021.
Weitere Termine: 23., 24.06.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielhaus.de/de


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