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Uraufführung

Familienfest

und andere

Abschiede



Eine Nacht lang Familie am Theater Bonn – Foto © Thilo Beu

Bewertung:    



Alles scheint aus den Fugen an diesem Abend. Wie weggetreten singen und summen acht Figuren dem Publikum direkt zugewandt. Mehrmals wird die Melodie des Weihnachtsliedes „Am Weihnachtsbaume“ in einer mehrstimmigen Depri-Fassung in die Länge gedehnt. Leicht abgeändert sind auch die Lyrics, die hier vom Erwachen des Frühlings erzählen. Ohne direkten Zusammenhang wirken die gesanglichen Zwischenspiele meditativ kontrapunktisch zur turbulenten Handlung in Eine Nacht lang Familie, einer Stückentwicklung der Schweizer Autorin Sabine Harbeke, die sie am Theater Bonn selbst uraufführt.

Zu Anfang sitzen auf der Bühne neun Personen um ein gedecktes Bankett und kehren dem Publikum so teilweise den Rücken zu. Margrit (besonnen und elegant: Ursula Grossenbacher) hat ihre Angehörigen zu einem Fest geladen, und fast alle sind gekommen. Zum ersten Mal nach langer Zeit sehen sie sich wieder, ihre beiden Söhne, der ältere in Begleitung einer Bekannten und der jüngere zusammen mit seinem Sohn, ihrem Enkel. Außerdem kommen ihr Schwager mit ihrer Nichte und ihre Nachbarin mit deren Sohn. Erst im Verlauf des Dramas entschlüsselt sich für die Zuschauer die komplexe Personenkonstellation. Die Feier von Margrit wird zugleich auch zu ihrer Abschiedsfeier, denn Margrit möchte einen Neuanfang wagen - ohne die Anvertrauten und Anverwandten und ohne alle familiären und freundschaftlichen Verpflichtungen – wo und wie, verrät sie jedoch nicht.

Mit ausgewählten Requisiten schafft die Bühnen- und Kostümbildnerin Clarissa Herbst symbolträchtige und kraftvolle Bilder. So liegt die Tischplatte vom Bankett, um das sich die Gastgeberin und ihre Gäste versammelt haben, direkt auf den Beinen der Figuren auf und schränkt diese so in der Bewegungsfreiheit ein. Gemeinsam muss sie gehalten werden, damit die Feierlichkeiten ihren Lauf nehmen können. Doch nicht nur Margrit verlässt schon bald das Bankett - immer wieder ist die wackelige Tischplatte gefährdet. Als sie schließlich umgedreht am Boden liegt, eröffnet sich ein in der Tischplatte integrierter Spiegel. Vermag dieser es etwa, den Figuren die eigenen Entgleisungen des Abends vor Augen zu führen? Umgeben ist die Bühne von Seidenvorhängen. Auf diese malt der Enkel Margrits mit Wasser aus einem Glas unterschiedlich große Strichmännchen, die schnell wieder verblassen – wird sich auch die Familie um Margrit aus den Augen verlieren? Verschiedene Figuren wickeln sich in die Vorhänge ein, ebenso wie sich einer der jungen Männer mal verschämt in einen Teppich einrollt, als eine der Besucherinnen seine Annäherungsversuche abweist. Insgesamt hat die Szenerie etwas Improvisiertes. Wenn die Figuren miteinander tanzen, singen und lachen, eigene Marotten und Eigenwilligkeiten verraten oder sich hemmungslos anzicken und gehässig Seitenhiebe verteilen, bleiben ihre Geschichten doch recht banal, weil Konflikte meist nur angedeutet werden und es zu keiner Klärung kommt.

Sabine Harbeke, eine der meistgespieltesten Schweizer Dramatikerinnen, legt ihrem Auftragswerk für das Theater Bonn unter anderem Gespräche mit Bonner Bürgern zugrunde. Sie sprach etwa mit Frauen, die zum Islam übergetreten sind und legt so die Figur der Awra (Birte Schrein), einer mit Margrit befreundeten Nachbarin, als konvertierte Muslima an. Die kopftuchtragende Awra sorgt ebenso wie Miranda (Lydia Stäubli), eine Bekannte des älteren Sohnes, für komische Momente, wenn beide die schwelenden Konflikte zwischen einzelnen Familienmitgliedern nicht ohne Genuss oder Anteilnahme kommentieren und kritisieren. Ohne selbst in frühere Konflikte verstrickt zu sein, rücken sie plötzlich ungeschickt andere Themen wie den eigenen Kinderwunsch beziehungsweise die Ablehnung von medizinischen Maßnahmen zur Wiederbelebung in den Vordergrund. Gegenüber den eher komischen Frauenfiguren wirken die männlichen Figuren überwiegend grob, proletarisch laut, aggressiv und triebgesteuert (letzteres insbesondere Bernd Braun in der Rolle von Margrits Schwager Arthur).

Oft hat man den Eindruck, den Showdown eines schwelenden Familienkonflikts bei einem familiären Festessen schon einmal ausgefeilter und spannender auf der Bühne erlebt zu haben, denke man nur an Tennessee Williams Klassiker Die Katze auf dem heißen Blechdach (1958), Thomas Vinterbergs Das Fest (1998) oder Tracy Letts August: Osage County (2007). Auch in Rebekka Kricheldorfs Alltag und Ekstase (2014) sagt sich eine Mutter von ihren Mutter- und Großmutterpflichten los. Hierin wird jedoch die Entsagung von der familiären Verantwortung viel plausibler und witziger in Szene gesetzt, als in Sabine Harbekes Eine Nacht lang Familie, wo die zugrundeliegende Intention der Mutter unklar und geheimnisumwoben bleibt. Obwohl der Wortwitz meist pointiert ist und das Geschehen von den Darstellern dynamisch getragen wird, berühren die Schicksale der Figuren kaum. Trotzdem macht die Spielfreude der Darsteller jedoch die etwas dürftige Story meist wieder wett.



Eine Nacht lang Familie am Theater Bonn – Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 29. März 2015
ID 8535
EINE NACHT LANG FAMILIE (Theater Bonn, 27.03.2015)
Regie: Sabine Harbeke
Bühne und Kostüme: Clarissa Herbst
Licht: Lothar Krüger
Musikalische Leitung: Marco Zimmermann
Dramaturgie: Adrian Jager
Besetzung:
Margrit ... Ursula Grossenbacher
Horst-Holger … Sören Wunderlich
Moritz … Samuel Braun
Miranda … Lydia Stäubli
Arthur … Bernd Braun
Emma … Maya Haddad
Awra … Birte Schrein
Leon … Jonas Minthe
Simon … Henning Gille / Till auf der Heiden / Eddy Jarow
Premiere war am 27. März 2015
Weitere Termine: 31. 3./ 9., 14., 15., 17., 22., 24. 4./ 8., 24. 5. 2015


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de/


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de

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