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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Don’t

look back



(C) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Bewertung:    



„Don‘t look back!“ heißt es im neuen Stück von René Pollesch. Eigentlich eine unsentimentale Aufforderung, Altes hinter sich zu lassen und sich Neuem zu öffnen. Und dennoch erscheint Service / No service eher wie eine Reminiszenz auf vergangene Volksbühnentage im letzten vom kürzlich verstorbenen Bühnenbildner und Pollesch-Freund Bert Neumann gestalteten Einheitsbühnenbild mit schwarzem Flittervorhang und asphaltiertem Fußboden, auf dem schon Frank Castorfs Brüder Karamasow irrlichterten, und der nun ohne die bequemen Sitzsäcke vollkommen blank daliegt. Straße, Großraumdisco oder Bretter, die die Welt bedeuten, auf denen man nicht einfach so rumlungert, wie uns Kathrin Angerer mitteilt. Stühle oder keine Stühle, Eventbude oder Theater, Service oder No service, das sind hier die Fragen, denen sich der Abend neben einer veritablen Sinnkrise widmet.

Und nachdem Maximilian Brauer, der - wie Franz Beil, Daniel Zillmann und Kathrin Angerer - im Superhelden-Weltenretter-Kostüm steckt, symbolische antike Thespiskarren durch den Raum geschoben und im Video viele bunte Smarties gegen eine suizidale Kopfschmerztablette ausgespielt hat, gibt die langjährige Volksbühnen-Diva im gewohnten Nölton eine theatrale Schöpfungsgeschichte zum Besten und klagt über die Abkopplung des eigenen Lebens vom Weltgeschehen. Mitten im Elektra-Monolog hat sie aufgehört zu sprechen und die Bühne verlassen. Es schien ihr so, als sei alles gesagt. Was soll‘s, man kann nicht immer in Geberlaune sein.

Und so teilt sie die Welt in lauter Gegensatzpaare wie Licht und Finsternis. Auf der einen Seite die Capulets und auf der anderen die Montagues. Da die Liebe und dort keine Liebe. Es gibt Leute, die auf das Ende der Welt warten, oder die, die es herbeiführen. Uns fehlt die Neugier, wie es nach dem Tod weitergehen könnte, der Drang nach der Unsterblichkeit. Die Verbindung zur Welt ist gekappt. Ohne Hoffnung geht es immer weiter. Und selbst die dritte Kraft, die das Theater sein könnte, kann daran nichts ändern. Die Diva wird vom diktatorisch fordernden Regisseurs-Chor aus sechzehn jungen Männern zur Servicekraft und Saftschupse degradiert. Wie sollte man darüber nicht verrückt werden?

René Pollesch verbreitet ein wenig melancholischen Weltschmerz und philosophischen Kulturpessimismus, allerdings im gewohnt bunten Popgewand. Ein kleiner Ausflug in die Evolution des Theaters von der antiken Tragödie über das Nō-Theater, den leeren Raum von Peter Brook bis zu den Theaterkollektiven von Ariane Mnouchkine. In den Künstlern war doch mal der Weltgeist, hören wir. Aber das ist nicht mehr zeitgemäß. Die marxistische Line ist abgebrochen. Heute gibt es dafür Theatergruppen, die nur für kurze Projekte zusammenfinden, oder sogenannte Kunst-Cluster. Identitätslose Gebilde, wie sie eben auch der Jung-Männer-Chor darstellt. Die Diktatur der nicht mehr unterscheidbaren Massenproduktion. Selbst kreativer Individualismus scheint da wie ein inszenierter YouTube-Flashmob á la Praise You von Fat Boy Slim, zu dem dann alle auf der Bühne mittanzen.

Ein heiter besinnlicher Abend, wie gemacht für die Weihnachtszeit. Man begibt sich auf die Suche nach der verlorenen Schönheit, diskutiert den ästhetischen Unterschied von weißen Plastikstühlen und solchen von Manufactum und erklärt die Kunst zum sequentiell traumatisierten Pflegfall. Aber eigentlich scheint es dann irgendwie auch egal, ob der Patient noch therapierbar ist oder nicht, so lange er noch so perfekt glitzert, wie das polyedrische Raumschiff, das vom Bühnenhimmel schwebt. Die Vorstellung einer anderen, schöneren Welt (sprich Utopie) ist hier wie das Deko-Bäumchen, an dem Maximilian Brauer wild herumschneidet, das irgendwie verhunzt aussieht, nie passend scheint und dennoch immer wieder neu grünt. Auch unter dem glatten Asphalt einer kommenden Eventkultur, wo beim Umbau der Volksbühne, wie wir hören, gerade ein echter antiker Adonis gefunden wurde.
Stefan Bock - 27. Dezember 2015
ID 9055
SERVICE / NO SERVICE (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 23.12.2015)
Text und Regie: René Pollesch
Bühne und Kostüme: Bert Neumann
Licht: Lothar Baumgarte
Ton: Tobias Gringel, William Minke und Christopher von Nathusius
Video: Mathias Klütz
Chorleitung: Christine Groß
Soufflage: Katharina Popov
Dramaturgie: Anna Heesen
Mit: Kathrin Angerer, Franz Beil, Maximilian Brauer und Daniel Zillmann
Chor: Walid Al-Atiyat, Jakob D'Aprile, Niklas Dräger, Jonathan Hamann, Lucien Strauch, Max Heesen, Sten Jackolis, Fynn Jedrysek, Jan Koslowski, Luis Krawen, Max Martens, Paul Rohlfs, David Thibaut, Christopher Wasmuth, Friedrich Weißbach und Daniel Wittkopp
Uraufführung war am 3. Dezember 2015
Weitere Termine: 3. + 8. 1. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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