Bildungsbürger
gegen Pegida
& Co.
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FEAR von Falk Richter in der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Arno Declair
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Bewertung:
Da kann einem schon mal Angst und Bange werden, wenn man sich in die immer hasserfüllteren Kommentarspalten zum Thema Flüchtlingsbewegung in Europa im Internet verirrt. Nicht nur die Parolen des rechtsnationalen Rands, auch die Stimmen sogenannter besorgter Bürger lassen einen da ein ums andere Mal erschauern. Der Humus, aus dem das wächst, besteht laut Falk Richter aus einem tief braunen Morast ewig gestriger Diskursgräber, aus denen sich die Geister der Vergangenheit immer wieder neu erheben. Richters Deutschland-Analyse FEAR, die vor Kurzem in der Schaubühne am Lehniner Platz Premiere feierte, fällt dann dementsprechend auch reichlich düster aus.
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Im Großen und Ganzen ging es in den letzten Arbeiten von Autor und Regisseur Falk Richter immer auch um Ängste. Vor allem um jene von im Großstadtdschungel vereinsamten und sich in sozialen Netzwerken verlierender, moderner Menschen in Metropolen wie Berlin. Immer auch eine politische Gesellschaftskritik, die sich nicht nur ins rein Private der Familie zurückzog. Schon in seinem Stück Small Town Boy zur Lebenswelt von Schwulen in Berlin (am Maxim Gorki Theater) hatte Richter seinem Protagonisten Thomas Wodianka einen wütenden Hassmonolog auf Politiker und rechtskonservative, schwulenfeindliche Einpeitscher halten lassen. Nun widmet er sich im Kontext von Pegida-Demos und AfD ganz dem deutschen Alptraum des Fremdenhasses und der nationalen Selektion als Abgrenzungsmechanismus gegen eine sich drastisch ändernde Welt.
Was bedeutet heute eigentlich Heimat? „Dass Deutschland Deutschland bleibt.“ Hört man gleich zu Beginn - während im Video blühende Heimatfilm-Landschaften flimmern - aus deutschen O-Tönen, die Richter akribisch für diesen Abend gesammelt hat. Diese diffusen Stimmen aus dem Volk, der sich von der Politik verraten Fühlenden, denen meist noch hörbar die Fähigkeit zur genauen Artikulation fehlt, haben aber in Lutz Bachmann, Frauke Petry, Björn Höcke oder auch kürzlich Akif Pirincci bereits recht effektive Ideologen und Sprachrohre für ihre Ängste gefunden. Deren geistige Brandstiftung feiert dabei schon wieder Erfolge, wie brennende Flüchtlingsunterkünfte zeigen. In FEAR versuchen Richter und sein Schaubühnenteam zu ergründen, wie sich gerade im Osten des Landes diese neue nationalpatriotischen Bewegung, die zwar vorgibt, nichts mit den Nazis zu tun zu haben, aber doch klar deren Vokabular benutzt, kommen konnte.
Schwer verständlich für so manchen jungen Großstadthipster, wie ihn Bernardo Arias Porras gibt, der eigentlich lieber weit ab aller Probleme am Strand rumchillen möchte. Ein Mensch ohne konkrete Heimatbindung mit einem Airbnb-Hintergrund, der plötzlich nach erfolgter Sesshaftwerdung mit eigener Wohnung und Internetzugang der Faszination der Kommentarspalten im Netz erliegt, einem völlig anderen Leben wie in einem Alptraum aus Hass. Dazu werden auf der Bühne aus Laufstegen und einem Glaskasten als Rückzugsgebiet Pappkameraden mit bekannten Gesichtern der rechten Szene aufgestellt und mit einschlägigen Zeitungsmeldungen beklebt. Die Zombies beginnen im Video zu donnernder Heavy-Musik aus ihren Gräbern zu kriechen. Die drei Tänzer Denis Kuhnert, Frank Willens und Jakob Yaw bewegen sich dazu entsprechend monoton.
Richter vermutet den Ursprung des Spuks zu gleichen Teilen in der unaufgearbeiteten Vergangenheit wie auch in der wirtschaftlichen und sozialen Abhängung ganzer Landstriche, deren Bewohner sich in finsterer Einöde wie einsame Wölfe verlieren. Eine fast ausschließlich männliche Bevölkerung, die dumpf vor sich hin vegetiert, empfänglich für Hasspredigten und Verschwörungstheorien aller Art. Solche Apokalypsen hat auch der ostdeutsche Dramatiker Heiner Müller immer wieder in seinen Stücken beschrieben. Ein ewiger Mahner und Ausgräber der Toten aus der Weltgeschichte von Kriegen und Revolutionen vom französischen Auftrag über den russischen Zement bis zu den Gespenstern Germanias. Richter widmet ihm einen von Kay-Bartholomäus Schulze vorgetragen Ach-Heiner-Monolog, in dem er das Verschwinden kritischer DDR-Intellektueller nach der Wende beklagt. Im Video sieht man dazu die Müller‘schen Neubau-Fickzellen mit Fernheizung einstürzen.
Aber besonders die vorwiegend weiblichen Köpfe der konservativen Bewegung für die Nationalisierung und Re-Christianisierung des Abendlandes wie Brigitte Kelle, Gabriele Kuby, Frauke Petry und Beatrix von Storch bekommen hier ihr Fett weg. Große Momente für die beiden Schauspielerinnen Lise Risom Olsen und Alina Stiegler, aber auch für Tilman Strauß, der ebenfalls eine Travestienummer abbekommt. Lauter schöne Parodien auf „Hässliche hassende Frauen“, wie das Team den Abend auch mal nennen wollte. Doch selbst der normale Bildungsbürger ist meist nicht allzu weit vom Hass gebaut, wie KB Schulze als Basher von reichen Norwegern oder Schwaben, die den Berlinern den billigen, zentrumsnahen Wohnraum wegnehmen, beweist. Die Ohnmacht des wohlmeinenden Intellektuellen zeigt Lise Risom Olsen in einem „I am“-Monolog als Europa mit einem Spektrum von Hochkultur und Traum vom Weltfrieden bis hin zu offenen Gewalt und Fremdenhass.
Leider folgt daraus nicht allzu viel. Die eigene Angst weg zu lachen ist das eine. Man verliert sich aber hier zunehmend in einem Work in Progress, geht in den offenen Probenmodus über. Es genügt sicher nicht, die Dämonen der Angst mit dem Laubläser der Kunst wegzufegen und sich in eine Urban-Gardening-Scheinwelt des Schönen mit Topfpflanzen, Gitarre und den melancholischen Flower-Power-Hymnen des Neo-Folkers Sufjan Stevens zurückzuziehen. Als Ruhephase in einer nach hinten raus immer mehr zerfasernden Inszenierung scheint dieses, sicher auch etwas ironisch gemeinte, Konzept zum Nachdenken darüber, wie wir leben wollen, vielleicht ganz fruchtbar.
Aber, reicht das in einer Welt, wo für das Schöne nur noch die Insel der Kunst bleibt (wobei auch das nicht unbedingt als sicher gilt) oder das Shoppen als Ablenkung von den Problemen? Eine Frage, der sich das Team kurz stellt, bevor es mit der Horrorgeschichte der Beatrix von Storch, Herzogin von Oldenburg, und der Einfahrung des Geistes ihres Nazi-Großvaters zu einer letzten, großen Travestie auf die nationale Rezombiesierung des Abendlandes ansetzt. Wir haben Angst vor dem Schrecken des IS-Terrors, verzweifeln vor dem Elend der Flüchtlinge, den Bildern ertrunkener Kinder im Fernsehen und den Auswirkungen der Gewalt und des Hasses auf unsere Kinder. „We are the others.“ meint am Ende leise der Tänzer Frank Willens. Auch das muss sich erst noch erweisen.
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FEAR von Falk Richter in der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 1. November 2015 ID 8952
FEAR (Schaubühne am Lehniner Platz, 30.10.2015)
Text, Regie und Choreographie: Falk Richter
Die Choreographie entstand in Zusammenarbeit mit Denis Kuhnert, Frank Willens und Jakob Yaw.
Bühne: Katrin Hoffmann
Kostüme: Daniela Selig
Musik: Malte Beckenbach
Video: Bjørn Melhus
Dramaturgie: Nils Haarmann
Licht: Carsten Sander
Mit: Bernardo Arias Porras, Denis Kuhnert, Lise Risom Olsen, Kay Bartholomäus Schulze, Alina Stiegler, Tilman Strauß, Frank Willens und Jakob Yaw
Uraufführung war am 25. Oktober 2015
Weitere Termine: 3., 4., 7. + 8. 11. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de
Post an Stefan Bock
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