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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Ein Nichts zu

sein ist das

Schlimmste


ANTARKTIS von
Christina Kettering


Antarktis am Hamburger Sprechwerk | Foto (C) Stefan Malzkorn

Bewertung:    



Mit einer persönlichen Ansprache der Intendantin Konstanze Ullmer fing es an.

Sie erinnerte an die Wurzeln des Sprechtheaters, wie aufregend es ist, dem Schauspiel wieder starke Dialoge mit politischer Relevanz zu geben. Zunächst werden die zwei von der Kulturbehörde unterstützten Eigenproduktionen unter dem Motto "Wortgefechte" vorgestellt. Es gab täglich intensivste Proben zu den Stücken Antarktis und Satanische Verse/Liebeskonzil - eine Doppelbelastung für Schauspieler und alle Mitwirkenden.

* * *

In der Dunkelheit beginnt dann Alles...

Doch einer sieht Weiß - Werner (Tom Pidde), ehemaliger Antarktisforscher, ist allein auf seiner Station, umgeben von endlosem Eis und Schnee.

Er scheitert an Verständigungsschwierigkeiten, immer wieder bricht der Funkkontakt ab, auch zu seiner Frau Nadja (Kristina Bremer), die ihrerseits hysterisch ihr Verlassensein kultiviert. Mit einem schreienden Baby zuhause kann sie nicht mehr einem hoch dotierten Professorinnenjob nachgehen.

Parallel im Internet läuft das Leben seiner Tochter Ina (Ines Nieri) ab, dort ist sie Teil der Community. Bei "Daytrack" - einem sozusagen ausgelagertem Gehirn, kann sie sich dank der Technik laufend optimieren, Puls, Herzschlag und Schlafrhythmus überwachen lassen. Sie glaubt auf diese Art, etwas über sich selbst herausfinden zu können oder zumindest sexuelle Kontakte anzuknüpfen. Doch so ein Nerd, der ihr dann in der Realität begegnet - Jens (Stephan Arweiler) ist sein Name - hat Probleme mit sinnlichem Körperkontakt. Stattdessen passieren permanente Missverständnisse.

Gibt es da vielleicht einen Problem-Lösungs-Modus?

Laut Happiness-Index lässt sich z.B. der Schlaf reduzieren, um mehr Freizeit zu bekommen. Doch was mit der Zeit, der Freiheit tun, wenn man sich selbst nicht kennt?

Es fehlt Tiefsinnigkeit in der digitalen Welt, und so wird alles schön geredet.

Eine App gibt Sätze wie "bewertet euch niemals" oder "sagt Dinge, solange es noch geht".

Doch das sind alles nur Gemeinplätze, deren Sinn nicht mehr verstanden wird. Ina fragt sich folgerichtig: "Wie kann das sein, dass ich schon wieder depressiv bin?"

Dagegen gestellt werden die Alltagsszenen des an Demenz erkrankten Polarforschers.

Einst war er fasziniert, dass in den Gesteinsgeschichten konservierte Erinnerungen stecken. Mit der Verbissenheit eines Forschers glaubte er, die im Eis geschlossene Vergangenheit zu entschlüsseln. Jetzt hat er vollgeschissene Hosen und einen leeren Blick. Ach ja, Tanzen erinnert er als eine schöne Beschäftigung, das ehemalige Teilen von Freude. Inzwischen aber kann er Frau und Tochter nicht mehr unterscheiden.

Genauso ist es in der digitalen Welt, was gibt es da zu teilen, was wir nicht längst schon alle wüssten? Man kann nicht in der Vergangenheit leben! Neurotisch praktizieren wir Oberflächlichkeit, leben wir hochgezüchtete Dramen. Und warum muss sich eine hübsche emotionale Frau wie Ina so erniedrigen? Wenn nur noch Daten das Leben bezeugen, Biografien geschönt werden und wir angeblich aus Erinnerungen bestehen, dann ist die Welt voller Stereotypen, dann ist eine Persönlichkeit austauschbar, ja auch einfach zu löschen. So wie Werner Halluzinationen im Eis bekam, genauso lässt sich unser Gehirn manipulieren. Zunächst kommen kleine Aussetzer, dann droht das Nichts, der kleine Tod der künstlich definierten Persönlichkeit. Wir werden hohl, haben einen leeren Blick, bekommen Angst vor uns selbst.

Könnte Erinnerung verlöschen, Demenz passieren, weil wir uns nur mit unserem Biocomputer identifizieren, größenwahnsinnig unsere Psychosen leben und immer noch glauben, es in der Hand zu haben? Im Grunde fühlen wir uns doch so erbärmlich klein, werfen es dann den anderen vor, damit wir selbst nicht um Hilfe bitten müssen.

Da ist eine so große Angst, es allein schaffen zu müssen. Chaos bräche aus und das Schlimmste würde passieren, hilflos in ein Heim abgeschoben zu werden.

Ist alles ein Ablenkungsmanöver? In diesem Stück wird uns eine beängstigende Zukunft vorgespielt, eine ohne Tiefgang. Wo ist die Seele, das was von innen kommt und einen berührt?

Vielleicht hat Werner noch den größten Kontakt in seiner engen einsamen Welt?

Wo ist der Sinn des Lebens, das Echte, der Genuss, die wirkliche Teilhabe am Leben und Kommunikation, der Austausch mit anderen Menschen. Probleme sind doch Herausforderungen, auf neue kreative Art das Leben zu erschaffen. Der Computer hingegen kann nur ausgelöst durch Algorithmen Bekanntes wiederholen.

Es ist heimtückisch zu denken, wir wären unsere Vergangenheit. Unsere Freiheit liegt im Bewusstsein, nicht in der besonderen Persönlichkeit, der Selbstüberhöhung, dem Erheischen von Aufmerksamkeit.

Das Stück bietet leider keinen Lösungsansatz. Welche Schlüsse ziehen die Zuschauer? Wir sollten diskutieren, was künstliche Intelligenz uns bringen soll.

Redest du über das Meer, müssen die Worte Wellen schlagen. Redest du über den Verstand, über Gehirn und Kontrolle, wirst du schreien, denn du hast Angst, dass man dich nicht hören könnte oder dich nicht mehr hören, ja ertragen will mit all der gequirlten Schei... Kommunikation bedeutet im Dialog mit anderen zu sein, andere werden einen inspirieren, wenn nur Empathie mitschwingt, wenn auch das Herz, die Seele leben darf.



Antarktis am Hamburger Sprechwerk | Foto (C) Liane Kampeter

Liane Kampeter - 24. August 2015
ID 8825
ANTARKTIS (Hamburger Sprechwerk, 22.08.2015)
Regie: Friederike Barthel
Mit: Stephan Arweiler, Kristina Bremer, Ines Nieri und Tom Pidde
Uraufführung war am 22. Augusat 2015
Weitere Termine: 1., 2., 23. + 24. 9. 2015


Weitere Infos siehe auch: http://www.hamburgersprechwerk.de


Post an Liane Kampeter

http://www.liane-kampeter.de



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