54. Berliner Theatertreffen | 6. - 21. Mai 2017
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THEATER BASEL
mit DREI SCHWESTERN
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Bewertung:
The same procedure as every year. Am Samstagabend wurde das 54. Berliner Theatertreffen mit salbungsvollen Worten der Kultusstaatsministerin Monika Grüters und durchaus ernsteren vom Direktor der Berliner Festspiele Thomas Oberender eröffnet. Und während vor dem Haus der Berliner Festspiele Claus Peymann, ein alter Theater-Stratege vergangener Tage, seine Erinnerungs-Bücher verkauft, propagiert man innen mal wieder eine „Zeitenwende“: das postfaktische Zeitalter der Fake-News. Die bürgerliche Gesellschaft scheint angesichts des medialen Overkills und des Voranschreitens rechts-nationaler Kräfte zu tiefst verunsichert. Das spiegelt sich auch in den eingeladenen Inszenierungen. Die zehn bemerkenswertesten sollen es immer sein, die von einer siebenköpfigen Jury aus deutschsprachigen Theaterraum ausgewählt wurden. Zwei können nicht kommen. Die technisch aufwendigen Münchner Räuber von Regisseur Ulrich Rasche aus dispositionellen Gründen und der Hamburger Schimmelreiter von Altmeister Johan Simons wegen plötzlicher Krankheit im Ensemble. Dafür wird es eine 3sat-Screening und eine szenische Lesung geben. Ein leider nur schmaler Ersatz für zwei wirklich bemerkenswerte Bühnenleistungen.
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„Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt“, so zitierte Monika Grüters in ihrer Rede den bildenden Künstler Pablo Picasso. Das Theater ist ein Meister der verabredeten Lüge, die auf eine oder mehrere Möglichkeiten verweist oder neue Realitäten schaffen kann, die, wie auch die alten, oft nicht so einfach zu durchschauen sind. Man wünscht sich Einfachheit im modernen Leben, das unerträglich ist, wie es die Olga aus der Basler Eröffnungsinszenierung Drei Schwestern vom australischen Film- und Theaterregisseur Simon Stone beklagt. Das Klagen liegt den Tschechow-Figuren. Sie reden viel von dem, was sein könnte, und tun dennoch meist nicht viel dafür. Stone, der letztes Jahr schon mit einem modernen John Gabriel Borkman in Berlin zu Gast war, spielt seinen Tschechow allerdings nicht im Original, sondern überschreibt ihn mit eigenem Text, der die Geschichte konsequent ins Heute holt.
Das Setting ist ein zweistöckiges Glashaus, in dem fast alle immer anwesend sind, einige Handlungsstränge parallel laufen, in denen immer viel geredet und getrunken wird. Tschechow halt, möchte man sagen. Aber denkste. In den ersten zwei Akten, die am Geburtstag der jüngsten Schwester Mascha und kurz vor Weihnachten im Ferienhaus der Familie in den Schweizer Bergen spielt, lernen wir die ProtagonistInnen als komplett neurotischen Haufen überdrehter Städter kennen, deren Sehnsucht sich nicht nach dem Leben in der Stadt richtet, sondern eher an dem Überangebot der Möglichkeiten scheitern lässt. Stone zeigt eine Horde von Sprechblasen absondernder Partypeople hinter Glas. Die gehobene Mittelschicht im Terrarium zur allseitigen Beäugung freigegeben.
Olga (Barbara Horvath) ist auch hier eine gestresste Lehrerin, allerdings mit versteckter lesbischer Neigung. Mascha (Franziska Hackl) wirft sich in eine Beziehung zum verheirateten Alexander (Elias Eilinghoff), der hier Pilot und Nachbar mit suizidgefährdeter Frau ist und schon mit verletztem Pulsadern auftaucht. Später spricht er über den Mars als Alternative für eine glücklichere Menschheit. Maschas Mann Theodor (Michael Wächter) ist ein großer Schwätzer, von dem sie sich trennen will. Aber wie bei Tschechow schafft hier niemand den Absprung, nur die Problemchen sind ganz heutiger Natur. Irina wird von ihrem Engagement für Flüchtlinge von einer amerikanischen TV-Serie abgehalten. Bruder Andrej (Nicola Mastroberardino) ist verhinderter Computerspezialist, verkokst und verzockt das Erbe und sucht Ablenkung in den Armen der quakigen Natascha (Cathrin Störmer), die ihn nach der Scheidung schröpfen wird. Sie kauft das Haus. Ein wenig Kirschgarten im Abgang.
Komplettiert wird das Neurosenteam von Onkel Roman (Burgtheaterschauspieler Roland Koch), der seine verpasste Liebe zur Mutter der Schwestern im Alkohol und Jugendwahn ersäuft. Nikolai (Max Rothbart) ist ein planloser Hipster mit adliger Abstammung und schwerer Kindheit, dessen Kumpel Viktor (Simon Zagermann) zuviel Kierkegaard liest und psychopathisch veranlagt ist. Sidekick Herbert (Florian von Manteuffel) spielt den erotomanischen Schwulen mit Neigung zu Explosivem. Ihre verbalen Entgleisungen, Verletzungen und peinlichen Geständnisse treffen pointensicher im Minutentakt. So läuft dann auch alles ziemlich erwartbar ins Chaos. Allerdings brennt nur das Nachbarhaus von Alexander, der am Ende doch wieder zu seiner Frau zurückkehren wird.
Nikolai will mit Irina nach New York, was natürlich auch nichts wird. So jammern und bereuen dann auch alle ihr Schicksal in wehmütigen Monologen. Dazu dreht sich der Glaskasten enervierend wie die ganze Chose ohne Unterlass. Wirklich Neues bekommt man hier trotz behaupteter Aktualität mit Trump-Verweis und lascher Kapitalismuskritik nicht zu sehen. Das Ausstellen der Neurosen des Bürgertums im Glaskasten haben schon andere Theatermacher vorgeführt, u.a. die diesmal nicht vertretene Karin Beier in Hysteria - Gespenster der Freiheit am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Und knallt im ersten Akt eine Pistole, wird sie es auch im letzten tun. Eine alte Tschechow‘sche Bühnenweisheit, die von Simon Stone ebenfalls beherzigt wird. Ein schöner Theaterselbstmord. Weiter so.
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Drei Schwestern am Theater Basel | Foto (C) Sandra Then
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Stefan Bock - 7. Mai 2017 ID 10021
DREI SCHWESTERN (Haus der Berliner Festspiele, 06.05.2017)
Regie: Simon Stone
Bühne: Lizzie Clachan
Kostüme: Mel Page
Licht: Cornelius Hunziker
Musik: Stefan Gregory
Dramaturgie: Constanze Kargl
Mit: Barbara Horvath, Franziska Hackl, Liliane Amuat, Nicola Mastroberardino, Cathrin Störmer, Michael Wächter, Elias Eilinghoff, Simon Zagermann, Max Rothbart, Roland Koch und Florian von Manteuffel.
Premiere am Theater Basel: 10. Dezember 2016
Gastspiel zum 54. BERLINER THEATERTREFFEN
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-basel.ch
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
Berliner Theatertreffen
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