Wiener Frauenstücke (1)
DIE UNVERHEIRATETE - Burgtheater Wien
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Bewertung:
Zu den beim Theatertreffen jeweils doppelt vertretenen deutschen Bühnenmetropolen Berlin, München und Hamburg gesellte sich diesmal auch wieder die österreichische Hauptstadt Wien mit zwei durchaus bemerkenswerten Inszenierungen, die auch ganz gut zu den vom Veranstalter Berliner Festspiele selbst gelabelten politischen Themen Krieg, Flucht und Traumata passten.
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Den Anfang machte Ewald Palmetshofers für das Wiener Akademietheater verfasste Auftragsstück die unverheiratete. Darin zeichnet der österreichische Dramatiker anhand von Gerichtsakten die wahre Geschichte einer Frau nach, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs einen Soldaten anzeigte, nachdem sie zufällig ein Telefongespräch belauscht hatte, in dem er von “abhau’n” spricht. Der junge Mann wurde daraufhin zum Tode verurteilt. Nach dem Krieg zog man die damals ebenfalls noch junge Frau zur Verantwortung, was ihr immerhin 12 Jahren Gefängnis einbrachte. Das Stück dreht sich nun in einer hoch artifiziellen Sprache um das Verdrängen von Schuld und die Schwierigkeit des Erinnerns einer alten Frau, die von Ihrer Tochter und Enkelin nach einem Zusammenbruch im Krankenhaus nach der Vergangenheit befragt wird.
Aus einem Heft, in das die Alte spät ihre eigene Wahrheit geschrieben hat, lässt sich „Die Wahrheit“ nicht ausreichend rekonstruieren. Die wiederkehrenden, quälenden Bilder der Vergangenheit schließt sie stolz und trotzig in sich ein. Die Anwürfe der Tochter und Enkelin perlen an der Alten ab, die zielsicher ihre Vergangenheit als langen roten Faden aus der Strickjacke trennt, um sich später daran zu hängen. Elisabeth Orth spielt ihren Part einfühlsam überzeugend. Es menschelt dabei immer wieder auch etwas. Wie der Erinnyen-Chor einer griechischen Tragödie rezitieren Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Sylvie Rohrer und Petra Morzé als die „Hundsmäuligen” wechselnd in Biedermeierkostümen, Schwesternuniformen oder im Gouvernanten-Look aus den Gerichtsakten. Sie wirken wie das personifizierte schlechte Gewissen der Alten.
Christiane von Poelnitz als Tochter und Stefanie Reinsperger als Enkelin, hier die Mittlere und die Junge genannt, graben in den von Robert Borgmann (Bühne und Regie) aufgeschütteten Grabhügel auf der Bühne nach den verschütteten Erinnerungen der Alten und im eigenen psychologisch Unterbewussten. Alle drei Frauen haben da ihre Lücken. Die Alte in der Vergangenheit, die Mittlere, die mit diesem Erbe hadert und die Junge, die flüchtige Sexbeziehungen zu Männern pflegt, die sie im Schlaf fotografiert. Bezeichnend ist dabei wohl die vollständige Abwesenheit der Männer im Stück. Die „Weiberwirtschaft“, wie es die Alte nennt, scheint aber gerade daran zu kranken. Dazu muss sich Christiane von Poelnitz auch noch mit Blut übergießen und eine an Heiner Müller erinnernde Elektra-Paraphrase rezitieren.
Der Regisseur übersetzt alles in möglichst eindrucksvolle Bilder. Bedeutsam geht ein roter Samtvorhang immer wieder rauf und runter. Die Rhythmik von Palmetshofers Jambentext überführen die Darstellerinnen in eine entsprechende Sprachmelodie. Borgmann bricht die Schwere nur hin und wieder mit ironischen Einspielungen und viel Musik. Das hat natürlich so seine Längen und schreit geradezu nach Kürzungen im Text, die ihm Borgmann - sonst ein wahrer Spezialist im expressiven Auspinseln von Regieeinfällen - allerdings nicht gönnt; daher dauert die Aufführung satte 2 h 20 min. Die hervorragend aufspielenden Damen des Burgtheaterensembles machen die Uraufführung dieses etwas sperrig geratenen Sprachgebildes dennoch recht sehenswert.
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die unverheiratete am Burgtheater Wien | (C) Georg Soulek
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Stefan Bock - 15. Mai 2015 ID 8639
DIE UNVERHEIRATETE (Haus der Berliner Festspiele, 06.05.2015)
Regie und Bühne: Robert Borgmann
Kostüme: Janina Brinkmann
Musik: webermichelson
Licht: Peter Brandl
Dramaturgie: Klaus Missbach
Mit: Stefanie Reinsperger, Christiane von Poelnitz, Elisabeth Orth, Petra Morzé, Sylvie Rohrer, Sabine Haupt, Alexandra Henkel
Uraufführung am Akademietheater Wien war am 14. Dezember 2014
THEATERTREFFEN-Gastspiele des Burgtheaters Wien
Weitere Infos siehe auch: http://www.theatertreffen.de
Post an Stefan Bock
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