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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Frühverrentet



Krankheit der Jugend von Ferdinand Bruckner am Berliner Ensemble / Foto (C) Monika Rittershaus

Bewertung:    



„Ich liebe das Bett. Ich fühle mich darin geborgen, wie in der Heimat.“ sagt die laszive, lebensmüde Desiree im 1925 von Ferdinand Bruckner geschriebenen Drama Krankheit der Jugend. Auch heute soll die Jugend ja gelegentlich nicht so recht aus dem Bett kommen. In der neuen Inszenierung von Regisseurin Catharina May im Pavillon des Berliner Ensembles lümmelt sie vorzugsweise auf einer alten, gepolsterten Couch, wenn sie sich nicht gerade an die Wäsche geht oder in die Haare gerät.

Bruckner beschreibt in seinem Drama eine perspektivlose, desillusionierte Gruppe von Studenten im Wien nach dem Ersten Weltkrieg. Zwischen Verlorenheit, Zynismus und der Suche nach Alternativen geben sich die Protagonisten wechselnden Liebesbeziehungen, Alkohol- und Drogenräuschen sowie psychologischen Experimenten hin. Für die damalige Zeit war das noch ein relativ skandalöser pathologischer Befund. Aber was könnte man nun heute als die „Krankheit der Jugend“ bezeichnen?

Außer jeder Menge Retrochic mit Couch, Klamotten und SMEG-Kühlschrank scheint der ebenfalls noch recht jungen Regisseurin da nicht allzu viel eingefallen zu sein. Neben der sich am Ende mit Veronal ins Jenseits befördernden Desirée (Larissa Fuchs), die ansonsten mit latentem Schlafzimmerblick und rauchiger Stimme auffällt, sind es v.a. der Hedonismus in Gestalt des mit Konfetti um sich werfenden Verführers Freder (Sven Scheele), der auch mal seinen Body von Lederjacke und Shirt befreit, und die lautstarken Zickenduelle zwischen der von ihrem Möchtegernliteraten „Bubi“ Petrell (Felix Strobel) verlassenen Marie (Celina Rongen) und ihrer Rivalin, der kühlen Streberin Irene (Marina Senckel), die hier den Ton angeben.

Heißt das dekadente Credo bei Bruckner noch: „Entweder man verbürgerlicht, oder man begeht Selbstmord. Einen anderen Ausweg gibt es nicht“, scheint hier eigentlich alles schon irgendwie vollkommen saturiert. Von „Existenzirrsinn“ und dem Leiden an sich selbst wird nur noch geschwafelt. Das könnte natürlich eine mögliche heutige Setzung einer bereits bei Zeiten verspießerten Jugend sein. Auch die Moralpredigten des ziemlich schlaffen Sofasurfers Alt (Felix Tittel) verhallen hier relativ wirkungslos. So wie sein „Man desertiert nicht.“ aus einem Mangel an Alternativen resultiert, ist das Verderben des properen Hascherls Lucy (Karla Sengteller) durch Freder nur Ausdruck der Langeweile. Die Sehnsucht nach Ehe, Karriere und Verbürgerlichung ist allseits groß.

Catharina May wickelt Bruckners psychologisches Kammerspiel teils recht unterhaltsam ab. Es verkommt aber auch etwas zur komischen Nummernrevue mit 70th- und 80th-Popsongs wie "The Passenger" von Iggy Pop oder "Sweet Dreams" von den Eurythmics. Die Partyblase vergnügt sich bei Alkohol und pseudophilosophischen Gedankenspielen. Selbst die vorübergehende lesbische Beziehung zwischen Marie und Desirée ist da nur eine Spielart der Liebe von vielen möglichen. Die Qual der Wahl. Sich auf ihrer Reise vermeintlich ziellos Treibenlassende werden schließlich zu Passagieren hinter Glas. Zukunft scheintot oder „Rokokoschreibtisch“. Bruckners dramatisches Ende erspart uns die Regisseurin zum Teil und lässt Marie in den Kühlschrank entfliehen. Das macht Sinn.





Krankheit der Jugend von Ferdinand Bruckner am Berliner Ensemble / Foto (C) Monika Rittershaus

Stefan Bock - 9. Januar 2017
ID 9778
KRANKHEIT DER JUGEND (Pavillon, 05.01.2017)
Regie: Catharina May
Bühne und Kostüme: Maria-Elena Amos
Dramaturgie: Steffen Sünkel
Mit: Larissa Fuchs, Celina Rongen, Marina Senckel, Karla Sengteller, Sven Scheele, Felix Strobel und Felix Tittel
Premiere am Berliner Ensemble: 5. Januar 2017
Weitere Termine: 10., 12., 23., 30.01.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-ensemble.de


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