Am Leben
vorbei
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Der Weg ins Leben am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Bewertung:
Es gab Umerziehungslager in der DDR, aha. Dort wurden Jugendliche schikaniert und gequält, sieh an. Das hat bei den Insassen bleibende Spuren hinterlassen, na so etwas. Der Arbeiter-und-Bauern-Staat wurde seinen hehren Losungen im eigenen Agieren also nicht mal im Ansatz gerecht. Überraschung.
Viel mehr Erkenntnisgewinn hatte das theatrale Großprojekt Der Weg ins Leben am Ende nicht zu bieten. Aus vollen Rohren wurde da auf ein längst verblichenes Gespenst geballert, ein Großaufgebot von Darstellern, Komparsen und Zeitzeugen stürmte die Ruinen früherer Festungen. Von Anfang an zweifelsfrei mit der moralischen Lufthoheit versehen, jeder Widerstand zwecklos, Schweine waren sie allesamt, von Honeckers Margot bis zum Torgauer Lagerleiter. So leicht siegt es sich beim Schattenboxen.
Ich habe leider keine Ahnung, was Volker Lösch, einen der politisch relevantesten Theaterregisseure im deutschsprachigen Raum, dazu bewegte, am Vorabend der Bundestagswahl, die vermutlich erstmals seit Gründung der BRD eine rechtsnationale Partei ins Parlament hieven würde, sich ausgerechnet mit den Jugendwerkhöfen der DDR zu befassen. Das ist zweifelsfrei aller Ehren wert, gehört aufgearbeitet, und den Opfern ist Respekt und Empathie zu zollen. Das hätte man aber auch vor zehn Jahren tun können. Im Moment wirkt es wie eine Diskussion über Bademode im tiefsten Winter: Nicht wirklich von Belang.
Nach drei großartigen Chorstücken hatte Lösch vor zwei Jahren mit Graf Öderland in Dresden eine Inszenierung auf die Bühne gebracht, die punktgenau den Nerv der Zeit und des Ortes traf, ein Glücksfall für das Gegenwartstheater. Umso mehr überrascht die diesjährige Themensetzung.
Niemand wird bestreiten, dass hier ein wahres Theaterfeuerwerk abgebrannt wird. Zehn Schauspielern wird körperlich alles abgenötigt, 44 Jugendliche sind bestens auf- und eingestellt, fünf Zeitzeugen schildern ergreifend ihre Erlebnisse. Vor allem die Kostümabteilung wird an die Leistungsgrenze getrieben, das Bühnenbild hingegen bleibt übersichtlich.
Eine gut geölte Theatermaschine zeigt, was sie kann, und das ist eine Menge. Nur, wozu? Das ist kein Stück, was hier zu sehen ist, das ist Stückwerk.
Nicht immer ist das so offensichtlich wie in der Sentenz zum 11. Plenum, was nun rein gar nichts mit dem selbst gewählten Thema zu tun hat. Aber generell fehlt es am roten Faden.
Lösch ist bisher gut damit gefahren, Klassiker zu interpretieren. Aber einige Makarenko-Zitate können das nicht ersetzen, es fehlt schlicht und einfach an einer nachvollziehbaren Dramaturgie. Dass jene vom neuen Chefdramaturgen des Hauses verantwortet wird, macht es nicht besser.
Der Berichterstatter ist unzufrieden, gerade weil er diese Art von Theater mag. Aber hier wird auf Nebenschauplätzen grandios gesiegt, während die aktuellen Probleme ignoriert werden. Am Montag morgen wachen wir in einer anderen Republik auf, und das Theater erzählt von früher. Schade um die Energie und die Kraft der Beteiligten.
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Der Weg ins Leben am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Sebastian Hoppe
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Sandro Zimmermann - 23. September 2017 ID 10271
DER WEG INS LEBEN (Schauspielhaus, 23.09.2017)
nach Zeitzeugenberichten und unter Verwendung von Dokumenten sowie Texten von Anton Makarenko u.a. | Spielfassung von Jörg Bochow und Volker Lösch
Regie: Volker Lösch
Bühne: Cary Gayler
Kostüme: Carola Reuther
Musik: FM Einheit
Dramaturgie: Jörg Bochow
Licht: Michael Gööck
Mit: Luise Aschenbrenner, Jannik Hinsch, Malte Homfeldt, Hannah Katharina Jeitner, Moritz Kienemann, Deleila Piasko, Daniel Séjourné, Nadja Stübiger, Yassin Trabelsi, Viktor Tremmel und den Zeitzeugen Ilona Enskat, Anette Gebel-Kozian, Stefan Lauter, Andreas Richter, Detlev Sadrinna sowie den Jugendlichen Inge Ackermann, Yuna Anders, Tom Arnold, Eduard Bär, Emely Beck, Fritz Bergert, Ireen Bernhard, Lennart Brümmer, Fynn R. Drechsler, Friederike Feldmann, Vanessa Frenzel, Tabea Günther, Clara Haines, Lissy Jacobs, Dominic Jarmer, Clara Koschine, Wieland König, Miriam Kaden, Leticia Klose, Georg Kurze, Dorothee Linßer, Liselotte Maune, Vincent Melzer, Sarah Muschalek, Clemens Müller, Eric Netzschwitz, Ronja Oehler, Elias Ose, Sara Paulisch, Philipp Rahn, Franz Rölz, Jannis Roth, Kim-Elia Samaga, Sophie Scholta, Elisabeth Helene Sperfeld, Leonore Sperfeld, Marek Anton Stein, Anton Stock, Melissa Stock, Theresa Tippmann, Maxima Walthes, Fee Weber, Arthur Leo Weinhold und Maria Winkler
Uraufführung am Staatsschauspiel Dresden: 23. September 2017
Weitere Termine: 01., 07., 09.10.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de
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