Deutschsprachige Erstaufführung
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Beziehungskomödie
auf Speed
HEISENBERG von Simon Stephens
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Bewertung:
Das, womit alles seinen Anfang nimmt, bekommt man als Zuschauer im Düsseldorfer Schauspielhaus gar nicht zu sehen. Die 42jährige Georgie Burns küsst einen wildfremden Mann – den 75jährigen Alex Priest – auf einem Bahnhof in London in den Nacken. Und schon sind die beiden im Gespräch, er verwundert bis irritiert, sie bemüht sich umschweifig, den Sachverhalt zu erklären – der sich allerdings nicht erklären lässt. Heisenberg, das neueste Werk des englischen Dramatikers Simon Stephens, 2015 in New York uraufgeführt, erlebt am Düsseldorfer Schauspielhaus unter der Regie von Lore Stefanek seine deutschsprachige Erstaufführung. Das Ganze auch noch mit einer durchaus hochkarätigen Besetzung: Caroline Peters gibt Georgie, Burkhart Klaußner Alex. Und die beiden liefern eine beindruckende Performance ab.
Simon Stephens verbindet in seinem Stück die Heisenbergsche Unschärfetheorie mit einer Beziehungskomödie. Und wer will, entdeckt viel Heisenbergsche Theorie in diesem Stück, ebenso wie Äußerungen zum Klimawandel, zum nächsten Bankenkollaps, zur Lage der Welt allgemein. Es erzählt aber vor allem sehr wortreich und -gewandt, wie sich eine Beziehung zwischen sehr unterschiedlichen Menschen entwickelt, die scheinbar nichts miteinander verbindet und die sich dennoch entschließen, es miteinander zu versuchen. Dabei ist der Anfang alles andere als einfach und die gegenseitige Zuneigung nicht selbstverständlich.
Caroline Peters’ Georgie überfährt Alex wie ein Schnellzug. Vergeblich versucht er, sich ihr zu entziehen. Am Bahnhof gelingt dies noch, eine Woche später steht sie vor seiner Metzgerei. Sein Name im Zusammenhang mit seinem Beruf hat dafür gesorgt, dass sie ihn ohne große Mühen gefunden hat. Ihr Tempo ist atemberaubend, nicht nur beim Sprechen, sondern auch in anderer Hinsicht: Sie erfindet Geschichten und erzählt Dinge über sich, die in keiner Weise zusammenpassen. Sie ist charmant, verdreht Alex den Kopf und lässt ihm keine Zeit, darüber nachzudenken, ob er sie nun zum Essen einladen möchte oder nicht. Sie schlägt es vor und er macht es.
Auf ihre Menschenkenntnis hält sich Georgie etwas zugute, und sie hat nicht ganz unrecht, wenn sie Alex den Metzger nicht abkauft. Burkhart Klaußner legt Alex als versonnenen, in sich gekehrten und sehr schweigsamen Mann an, der aber dennoch recht schnell offenbart, immer noch mit seiner früh verstorbenen Schwester zu reden und manchmal völlig grundlos in Tränen auszubrechen. Wäre er lebenserfahrener, könnte man ihm Kalkül unterstellen. Wenig ist anziehender als empfindsame und emotionsfähige Männer. Und ganz so schweigsam wie vermutet ist Alex auch nicht: Sobald die Sprache auf Musik kommt, blüht er auf. Klaußner zeigt das sehr charmant-verschmitzt: Hier eine gekonnt gesungene Zeile, dort eine überraschende Behändigkeit in der Bewegung. Am Ende tanzen die beiden gar einen Tango miteinander und gestehen sich unbeholfen, dass sie etwas füreinander empfinden.
Obwohl sehr viel geredet wird an diesem Abend, schwingt doch immer wieder Ungesagtes, Unausgesprochenes mit: Ängste, verletzt zu werden, Hoffnung, die große Liebe gefunden zu haben, Furcht, das Alte, Bewährte zu verlassen und etwas Neues, Ungewisses anzufangen. Das ließe sich in einem kleineren Rahmen vielleicht eher ausloten, die große Bühne im Central schluckt die Zwischentöne. Aber es ist durchaus auch da.
Heisenberg am Düsseldorfer Schauspielhaus ist eine gelungene Aufführung, Lotte Stefanek führt unaufdringlich Regie und Janina Audick sorgt für eine eher nüchterne Optik: eine lange portalbreite Wand parallel zur Rampe, die erst am Ende den Blick auf eine Karikatur der Freiheitsstatue und einen offenen Raum freigibt. Ein Getränkeautomat rechts und der Blick in Alex’ Metzgerei links, in der nach der gemeinsamen Nacht mit Georgie der Schriftzug „Love“ aufleuchtet, sind die einzigen Extravaganzen. Und so ist der Boden bereitet für Caroline Peters und Burkhart Klaußner, die im Laufe des Abends mehr und mehr harmonieren. Es macht großes Vergnügen, diesen beiden großartigen Schauspielern bei ihren Paarbemühungen zuzusehen, zumal Simon Stephens wunderbare und punktgenaue Dialoge geschrieben hat. In Summe eine sehenswerte und äußerst unterhaltsame Aufführung.
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Karoline Bendig - 7. Dezember 2016 ID 9731
HEISENBERG (Central, 05.12.2016)
Regie: Lore Stefanek
Bühne und Kostüm: Janina Audick
Musik: Primus Sitter
Licht: Jean-Mario Bessière
Dramaturgie: Felicitas Zürcher
Mit: Caroline Peters (Georgie Burns), Burkhart Klaußner (Alex Priest) und Benedikt Brogsitter/Joseph Herbert (Junge)
DSE am Düsseldorfer Schauspielhaus: 21. Oktober 2016
Weitere Termine: 21., 29. 12. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.dhaus.de
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