René Pollesch feiert mit den „Drei Amigos“
Milan Peschel, Trystan Pütter und Martin Wuttke
(s)einen DISKURS
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Bewertung:
Im langen Abschiedsreigen der Volksbühnenregisseure [den Anfang machte im September Christoph Marthaler mit Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter] wartet nun Diskurstheatermacher René Pollesch noch mit einer Abhandlung über die Serie auf. Zunächst in zwei Teilen, aber mit der netten Androhung: „Es beginnt erst bei Drei“. In voller Länge nennt sich das neue Stück dann: Diskurs über die Serie und Reflexionsbude (Es beginnt erst bei Drei), die das qualifiziert verarscht werden great again gemacht hat etc. Kurz: Volksbühnen-Diskurs. Und bis auf den Titel, der dem Gesetz der Serie folgend bei René Pollesch immer auch ein Bandwurm ist, fasst sich der Meister dann inhaltlich doch recht kurz. In einem Abend als Diskurs-Package genossen, verbringt man lediglich 3 Stunden inklusive Pause in der Volksbühne, um die als Ort und das Genießen es dann auch im Großen und Ganzen geht.
Dabei gibt es wie immer auch einen zumindest angedeuteten theoretischen Diskurshintergrund, den hier u.a. der Philosoph Alain Badiou mit seiner Theorie des Subjekts, der Psychoanalytiker Jacques Lacan mit seinem Essay Ich spreche zu den Wänden. Gespräche aus der Kapelle Saint-Anne bilden. Beide sind alte Bekannte im Diskursuniversum von Renè Pollesch. Als grobes Handlungsgerüst hat sich der Autor und Regisseur gleich bei drei US-amerikanischen Genre-Filmkomödien bedient: den Body-Komödien Husbands von John Cassavetes und Hangover von Todd Phillips sowie der Western-Parodie ¡Drei Amigos! von John Landis, aus denen hier auch hin und wieder zitiert wird.
Drei Filmkomödien also mit drei Kumpel-Typen, die nichts auslassen, um sich lächerlich zu machen. Dem Seriengedanken und mit der magischen Zahl drei stehen hier die drei altgedienten Volksbühnen-Schauspieler Milan Peschel, Trystan Pütter und Martin Wuttke in roten Flanell-Unterwäsche-Bodies und großen Cowboyhüten als Dreieinigkeit der Peinlichkeit gegenüber. Dazu noch, wie sie feststellen, ins falsche Bretterbuden-Bühnenbild hineingehoben, ohne echten Plan, was sie hier sollen.
Daraus machen sie dann allerdings das Beste, was seit langem an Komik und Diskurs-(Un)Sinn bei René Pollesch zu sehen und zu hören war. So arbeitet man sich am schönen Wuttke-Satz: „Du, ich fand dich ganz toll, aber ich hab nichts verstanden.“ ab, oder der Theorie des Nichtverstehens der sprechenden Person als Symptom. Die drei wirbeln dabei über die Bühne, bilden Zweier- und Dreikonstellationen oder nehmen sich wechselnd in die Mitte. Was ist das nur, das Einzelindividuum und das Kollektiv? Was ein Arbeiter ist, weiß man ja, aber was zwei Arbeiter sind, da wird es kompliziert. Fazit: Ein Dienstleister mit Klassenbewusstsein kann nicht mehr nice sein.
Im Grunde genommen geht es aber um die Volksbühne als physischen Ort, den man nicht so einfach mitnehmen kann, was für die Dercon-Unterstützer in ihrem Brief überhaupt keine Rolle spiele. Physisch bräuchten die gar keinen Ort, von dem aus sie schreiben. Der Volksbühnen-„Mob“ gegen die Jetsetter der globalen Kunst und ihren Freund „Chris“. Rem Koolhaas kenne sicher keine Gebäude, die sprechen können, meint Wuttke. Für ihn ist das Arbeiten an der Volksbühne „eine Ebene der Auseinandersetzung, die ich aus keinem anderen Arbeitszusammenhang kenne“. Das könne man nicht planen oder regulieren und nirgends wohin mitnehmen. „Das ist dann einfach weg.“ Dazu referiert Milan Peschel über Filmförderstrukturen, die mit der Ausbeutung Einzelner beginnen und im großen Erfolg für Produktionsfirmen wie Wiedemann & Berg (Das Leben der Anderen) enden.
Auch zum berüchtigten Dercon-Zitat gibt es eine kleine Replik. Berühmt wäre man erst, wenn man wie Shakespeare nicht mehr mit dem Vornamen genannt werden muss. Ansonsten hält sich die Dercon-Schelte aber in Grenzen, dafür wird der ganze „selbstbezügliche Theaterscheiß“ mit dem „Transparentmachen der Theatersituation“ vom Engländer Brook an durch den Kakao gezogen. Über das ganze Theater mit der Aufregung referiert Milan Peschel wie ein Baby auf dem Rücken liegend, das auf ein sich bewegendes Mobile starrt. Und auch beim Aufzählen von Sportarten ist er sehr rege.
Womit wir dann auch wieder bei der Frage sind: ob die Serie der Anfang des Seriösen ist. „Enjoy your Symptom“ schreibt Slavoy Žižek über Lacans Theorien, was die drei dann auch ausgiebig tun. Man singt Phil Collins‘ "In The Air Tonight", rollt ein riesige Mistkugel über die Bühne und reitet auf einem entsprechenden Käfertier. Irgendwann wird ihnen dann während eines längeren Telefon-Slapsticks das Bühnenbild abgebaut, und die drei Amigos zeigen sich noch mal im Coboyoutfit mit riesigen Schnabelstiefeln, die ihnen im zweiten Diskurs-Teil allerdings wieder abhandengekommen sind.
Wie bei einem echten Hangover nach durchzechter Nacht suchen die drei erstmal in großen Einkaufstüten nach ihren Habseligkeiten und spielen noch ein wenig lustige Identitätsverwirrung á la "Du hast meinen Kopf und Du sprichst meinen Text". Die marxistischen Theorien Badious tanzen nun Wiener Walzer mit Lacans Kathedralenwänden. Dazu fahren die „Drei Amigos“ auf Freuds Couch über die Bühne, seilen sich am nachgebildeten Volksbühnen-Kronleuchter ab und drehen selig beduselt Pirouetten. Die Reflexionsbude in Serie legt nun den Wiederholungsgang ein. Was sozusagen eine Einleitung für den dritten Teil sein soll. Eine endlos aneinanderhängende Minisalami, wie die drei sie in ihren Tüten suchen. Das Verstehen wird zurück ans Publikum delegiert. Auf der Bühne genießt man sich derweil beim Genießen. Und wenn es nicht zu Ende ist, dann ist es auch nicht vorbei.
„Man stirbt irgendwann, das ist alles, und bis dahin ist die Frage, ob man ein einigermaßen geschmackvolles Theater gemacht hat.“ sind Wuttkes letzte Worte. Aber wie hieß es noch vorher: „Der Tod gehört in den Bereich des Glaubens.“ Und ob Gott an sich selbst glaubt, ist auch so eine Frage. Sicher ist nur: „Showgeschäft ist Arbeit.“ Das wird auch in einer Eventbude nicht anders sein.
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Stefan Bock - 30. Oktober 2016 ID 9649
DISKURS... (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 29.10.2016)
Text und Regie: René Pollesch
Raum: Bert Neumann
Bühne: Barbara Steiner
Kostüme: Tabea Braun
Licht: Frank Novak
Kamera: Ute Schall
Video: Konstantin Hapke und Nicolas Keil
Ton: Christopher von Nathusius und William Minke
Dramaturgie: Anna Heesen
Mit: Milan Peschel, Trystan Pütter und Martin Wuttke
Premieren waren am 18. 10. (Teil 1) und am 20. 10. 2016 (Teil 2)
Weitere Termine: 2., 8., 28. 11. 2016 (beide Teile zusammen)
Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de
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