„Ich bin
nicht Hamlet.“
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Prinzessin Hamlet am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Bewertung:
Shakespeares Tragödie um den melancholischen Dänenprinzen Hamlet einen feministischen Anstrich geben zu wollen, ist nicht neu. An der Berliner Schaubühne inszenierte die britische Regisseurin Katie Mitchell das düster-tragische Stück Ophelias Zimmer mit Texten der Autorin Alice Birch aus der Sicht der von Männern manipulierten Hamlet-Geliebten. Nun hat in der Discothek am Schauspiel Leipzig die junge deutsche Regisseurin Lucia Bihler in deutscher Erstaufführung das von der finnischen Dramatikerin und Dramaturgin E. L. Karhu geschriebene Theaterstück Prinzessin Hamlet inszeniert. Das Stück ist allerdings nicht einfach nur Shakespeares Drama mit vertauschten Rollen. Karhu nutzt die Shakespeare'sche Vorlage lediglich als gedankliches Gerüst für eine Hinterfragung von Geschlechterrollen. Prinzessin Hamlet soll die Krone des Königreichs übernehmen, kann und will aber, wie es scheint, den an sie gestellten Ansprüchen nicht genügen. Sie zieht sich oft auf einen Felsen am Meer zurück, um dort allein ihren Selbstmordgedanken nachzuhängen.
Das wirkt ähnlich wie Mitchells Versuch von Anfang an etwas konstruiert und ist es textlich leider auch. Karhus Drama fokussiert auf ein spezielles Konstrukt. Prinzessin Hamlet ist das Bild einer Frau, die nicht ihr eigenes Leben leben kann, sondern einem bestimmten Bild von ihr entsprechen muss. Ähnlich dem von Prinzessin Diana, der Ex-Gattin des britischen Thronfolgers Prinz Charles, oder auch dem der US-amerikanischen Schauspielerin Marilyn Monroe, die als Vorbild für diese Inszenierung fungiert. Die fünf DarstellerInnen, drei Schauspielerinnen (Alina-Katharin Heipe, Anna Keil, Bettina Schmidt) und zwei Schauspieler (Tilo Krügel, Andreas Dyszewski) aus dem Leipziger Ensemble, stecken in farblich dem Bühnenhintergrund angepassten Abendroben und tragen für Marylin Monroe typische Lockenperücken. Beides kreiert durch den auch für Ersan Mondtag arbeitenden Bühnen- und Kostümbildner Josua Marx. Leider lenkt dieses Outfit nicht nur optisch vom allgemeinen Problem gesellschaftlich konstruierter Frauenbilder ab. Im Programmheft stützt man sich auf Judith Butlers Text Gender is Burning. Drag als „Ort einer bestimmten Ambivalenz“ ist aber letztendlich auch nur Ausdruck einer Imitation von Rollen in bestimmten Machtverhältnissen.
Die Monroe ist vor allem ein Männertraum der 1950er Jahre und längst unauslöschlicher Bestandteil der Popkultur geworden. Ihre damalige Präsenz und ihr früher Tod haben einen immer währenden Mythos kreiert. Den nutzte auch Jürgen Kuttner in seinem am Deutschen Theater Berlin inszenierten Stück Feminista Baby!, dem Valery Solanas SCUM-Manifesto als Textvorlage diente. Auch E. L. Karhu bezieht sich in ihrem Stück auf den Unsterblichkeits-Mythos, wenn Prinzessin Hamlet zu ihrem 29. Geburtstag ein Fanal setzen und sich als brennende Fackel vom Felsen stürzen will. „Man erinnert sich an jene Prinzessinnen, die sich umbringen, die zeitig abtreten, spektakulär, mit großer Flamme. Die anderen, das sind Frauen, die nicht fähig waren zu leben, (…) Mir wird es nicht so ergehen.“
Gespielt wird das recht puppenhaft. Die Figuren werden in Pose gesetzt, sprechen wiederholt mit verstellten Stimmen ins Mikrofon. Es gibt keine bestimmte Rollenaufteilung. Jeder ist mal Prinzessin Hamlet oder ihre Kammerzofe Horatia. Zu Beginn verneinen alle nacheinander Hamlet zu sein und sind es dann doch. Ein dauerndes Spiel der Imitation, das schließlich auch im Stück seine Entsprechung findet, wenn Horatia auf Hamlets Wunsch deren Rolle am Hof einnimmt. Prinzessin Hamlet, durch Horatia verraten, wird von Königin Gertrud nach England an den Buckingham Palast geschickt, was sich als Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt mit Chorsingen entpuppt. Dort begegnet Prinzessin Hamlet auch Ofelio, der ebenso mehr in ein Bild von ihr verliebt ist. Das endet schließlich nicht mit dem Sprung vom Felsen, aber von der London Bridge. Der Chor singt dazu den Kinderreim "London Bridge is Falling Down". Die Musik liefert Jam Rostron aka Planningtorock.
Vom ursprünglichen Drama Hamlet liegt nur noch der berühmte Totenschädel auf dem Schrank, in den hin und wieder Prinzessin Hamlet gesteckt wird. Aber das Volk will seine Thronerbin sehen und bekommt eine Kopie als Fake vorgesetzt. Ausdruck bekommt die Verzweiflung Hamlets nur durch die wiederholt vorgetragenen Zeilen: „Das Entsetzen schiebt ihr die Hand in die Kehle und ballt die Hand zur Faust.“ Ansonsten bleiben das poppige Tagesprogramm aus „Wahnsinn, Tod und Katastrophen“ genau wie die erwähnten Anklänge an Sarah Kane oder Heiner Müllers Hamletmaschine eher Behauptung. Das Konstruierte von Text und Inszenierung wird dieser Abend leider nie ganz los.
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Prinzessin Hamlet am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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Stefan Bock - 27. Dezember 2017 ID 10443
PRINZESSIN HAMLET (Diskothek, 23.12.2017)
Regie: Lucia Bihler
Bühne & Kostüme: Josa Marx
Musik: Planningtorock
Künstlerische Beratung: Sonja Laaser
Dramaturgie: Christin Ihle
Licht: Jörn Langkabel
Mit: Alina-Katharin Heipe, Anna Keil, Bettina Schmidt, Tilo Krügel und Andreas Dyszewski
Premiere am Schauspiel Leipzig: 2. Dezember 2017
Weiterer Termin: 27.01.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-leipzig.de/
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