Das wundervolle Zwischending von Martin Heckmanns
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Bewertung:
„Jetzt wissen wir fast alles voneinander. Jetzt haben wir uns fast alles gesagt. Jetzt kennen wir unsere Tage im voraus. Und erkennen uns schon am Klang unseres Gangs. WAS KANN DENN JETZT NOCH KOMMEN?“ Anne und Johann, ein Paar im verflixten siebten Jahr, sind in ihrer Beziehung festgefahren. Der Partner ist wie er ist und dabei so berechenbar. „Nach dir kann man die Uhr stellen.“ weiß Johann sicher. Die Zukunft malt man sich vor dem inneren Auge wie in schlechten Film-Melodramen aus. Glorreiche Erkenntnis Annes: „Nur wenn, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles.“ - Hä?
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Das wundervolle Zwischending heißt die 2005 uraufgeführte Beziehungskomödie von Dramatiker Martin Heckmanns, der mit Schieß doch, Kaufhaus 2002 seinen ersten großen Erfolg am kleinen TIF des Staatsschauspiels Dresden feierte und mit diesem und anderen Stücken auch zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen wurde. Nun hat Stephan Thiel, Spezialist für die feine Inszenierung kurioser zwischenmenschlicher Unzulänglichkeiten (z.B. X-Freunde von Felicia Zellers), Das wundervolle Zwischending mit den Schauspielern Hannah von Peinen und Christoph Schüchner in den Rollen des beziehungsgebeutelten Paars für das Berliner Theater unterm Dach neu eingerichtet.
Anne und Johann, beide dem sogenannten Künstlerprekariat zugehörig, („Und was machst du so?“ „Ich mach Kunst.“ „Echt?“) beschließen ihr eingerostetes Liebesleben als Projekt neu zu beleben, vorzugsweise als selbstreflexives 90-Minuten Doku-Filmchen. „Wir betrachten uns als Kunstwerk. - Das hilft.“ Gemeinsam geschaffene Kunst muss als Problemhelfer herhalten, und so machen die beiden kurzerhand ihre Einraum-Sozialwohnung zum Filmset. Der hat im Bühnenbild von Sabine Schmidt einen kleinen Laufsteg mit gardienen-artigen Vorhängen, Schirm, Scheinwerfer und ein großes, rotes Kitsch-Herz.
Das Reenactment einer versuchten Liebe an 7 aufeinanderfolgenden Tagen. Aber die Schöpfung ist nach 10.000 Jahren Sex immer noch nicht weiter. Ob Musical oder Thriller, Experimental- oder Liebesfilm, „Wir enden gut.“ versichert man sich. Der Regisseur verzichtet hier auf die naheliegende Kamera, lässt nur ein paar Videos im Hintergrund flimmern. Davor wird aber echt geschauspielert. Hannah von Peinen und Christoph Schüchner gehen mit vollem Körpereinsatz in den Clinch. Vom Erinnern des Kennenlernens über den verbalen und echten Schlagabtausch bis zur erotischen Phantasie, das Paar schenkt sich nichts. Die Liebe ist weder Ruhekissen noch Nagelbrett. Ihr spontan geplanter Sex vollzieht sich in einer kunstvollen Hebeakrobatik bis zum vorzeitigen Bandscheibenvorfall und Samenerguss.
Die ungelösten Zweierprobleme können so noch eine Weile in der Schwebe gehalten werden, bis sich dann irgendwann der plötzlich vor der Tür stehende Mann vom Amt ins Paar-Konzept drängt. Silvio Hildebrandt irrlichtert mit Motorradhelm als Szenenüberbrücker, Albtraummann und ganz realer Störenfried durchs Setting. Mit welchem Leistungsangebot sie denn die demokratische Öffentlichkeit für ihre Solidarität entschädigen würden, will der Sozial-Detektiv wissen. „Phantasie“, ist die trockene Antwort von Johann. Dass sich der Mann von Amt schließlich selbst als phantasiereich im Auftreiben von Fördergeldern erweist, bedeutet für das Projekt in seiner ursprünglichen Form gleichzeitig auch das Ende. Anne führt Bertram in ihr Bett und als Gegenspieler für Johann in den Plot ein. Der soll an den Konflikten wachsen und die stagnierende Zweibeziehung doch noch zum echten Beziehungsdrama werden lassen.
Johann, ganz der Künstler, flüchtet sich aber nach kurzer Erregung lieber in poetische, nichtssagende Gesänge zur Glasharfe vom unheimlichen Du und einem Hauch aus Nichts. Autor Heckmanns pflegt in seinem Stück des Öfteren die ironisch-lyrische Wortschöpfung, was das Paar auch wortreich ausschöpfen darf. „Von Dir, mein Schatz, zum Wortschatz, ist es nur ein Wort." Da sich echte Probleme aber nicht einfach als Kunstprobleme weg reden lassen, landen die Kunstfilmer schließlich wieder im normalen Alltag aus Wiederholungen des immer Wiederkehrenden, was hier bis zur mentalen Erschöpfung exerziert wird.
Und was ist das Ende vom Film? Das gemeinsame Projekt am Ende? Und wenn schon, denkt sich Heckmanns, auf ein Neues. Bleibt die Frage: „Was machen wir jetzt?“ - "Be Not So Fearful" singt da Johann mit dem romantischen Melancholiker Bill Fay. A never ending Happening.
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Das wundervolle Zwischending im Theater unterm Dach - Foto (C) Stefan Thiel
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Stefan Bock - 14. Dezember 2014 ID 8324
DAS WUNDERVOLLE ZWISCHENDING (Theater unterm Dach, 13.12.2014)
Regie: Stephan Thiel
Bühne/Kostüm: Sabine Schmidt
Mit: Hannah von Peinen, Christoph Schüchner und Silvio Hildebrandt
Uraufführung am Staatsschauspiel Hannover war am 10. Februar 2005
Premiere im Theater unterm Dach: 20. 11. 2014
Weitere Termine: 10. + 11. 1. (im Theater unterm Dach) sowie 15. + 17. 1.2015 (im Winterspielplan der Freilichtspiele Schwäbisch Hall)
Weitere Infos siehe auch: http://www.theateruntermdach-berlin.de
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