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nachDRUCK # 6

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Neue Stücke

Vermeintliches

Idyll

IM AUSNAHMEZUSTAND
von Falk Richter


Im Ausnahmezustand am Hamburger Sprechwerk | Foto (C) Stefan Malzkorn

Bewertung:    



"Geht es Dir gut? - Ist alles in Ordnung? - Sicher? - Also, da ist nichts...?

Irgendetwas ist doch! Schau mich mal an! - Was willst du?!"


[Aus dem Stück "Abgehörtes".)

*

Gespannte Familienidylle in einer spießbürgerlichen Welt, der "Gated Community", einem Wohnkomplex mit eigener Infrastruktur, Grünanlage und Kamin - schönes Leben in einer Parallelgesellschaft, stellvertretende Situation für den Momentzustand Europa's.

Türen werden fest verschlossen, der Zugangscode ist geheim, Videoüberwachung, Meeresrauschen als sublime Hintergrund-Beruhigung.

Sind da Schüsse? Ist da Meeresrauschen? Was ist bloß wahr?

Sind wir nun geschützt, oder sind wir eingeschlossen?

Die Toten in den uns umgebenden Stacheldrahtzäunen können noch verdrängt werden, in einer heilen Welt gibt es sie vielleicht nur nachts, oder nur im Traum?

Und die Tochter... Was ist mit ihr? Vielleicht verrät sie uns. Wird es keine Zukunft mehr geben, weil alles entgleitet, nicht mehr in den Griff zu kriegen ist?

* *

Jeder hat seine Art mit Gefahr umzugehen - so auch hier auf der Bühne.

Die blonde Frau (dabei ist es ganz offensichtlich eine Perücke) mit dem adretten Sechziger-Jahre-Kleid am Bügelbrett, gespielt von Catharina Fleckenstein. Sie lässt nicht locker den Mann zu nerven, der hier sorgsam die Gartenbäumchen beschneidet.

Sucht sie Gefahr, wo keine ist? Hat sie Recht mit ihren Gefühlen, ihren Problemen, hört sie Schüsse, ist der tote Hund vor der Tür echt? Und die Freunde... Gibt es überhaupt welche?

Der Ehemann im braven Pullunder, gespielt von Tom Pidde, trägt ebenfalls blonde Perücke, kommt uns irgendwie so glattgebügelt daher. Und egal, was er sagt - und er denkt auch mehr als dass er etwas sagt - , braucht der Versager seinen Schlaf, damit das mit dem Geldverdienen klappt. Der Lebensstandard will schließlich gehalten werden.

Abstiegsängste einer westlichen Wohlstandsgesellschaft. Ganz aktuell.

Doch was ist der Preis? Sie macht sich Sorgen, er wirkt resigniert; und die behütete Tochter, amüsant und bezaubernd gespielt von Ines Nieri, wirkt irgendwie abgestellt und durchgeknallt. Lässt sie nachts Menschen durchs Tor? Misstrauen macht sich breit - trägt auch sie eine Perücke, brav mit Hofdamenzöpfchen. Es ist offensichtlich, die Freude ist dahin. Der Zuschauer spürt es längst.

Ängste bestimmen also die Bühne, es wird pausenlos geredet bis zu einem Moment der totalen Stille - in diesem Fall soll es eine unerträgliche sein. Das Stück produziert Gefühle von Hilflosigkeit und Traurigkeit. Hineingezogen in diese private Welt, wird alles ausweglos, spitzt sich zu. Alles steht unter Wasser, die Gefühle werden zu übermächtig.

Denn kennen wir das nicht alle: wenn Mutter pausenlos nervt, der Vater tut als höre er nichts, die Frau mit ihren Tiraden kann sich wohl selbst nicht mehr leiden.

"Liebst du mich noch? Hast du zu niedrige Magnesium-Werte? Du solltest mehr Sport treiben? Was ist mit unserem Sex? Es muss der fehlende Sex sein. Du solltest einfach wichsen! Und merkst du es nicht, du bist gar nicht mehr da!" schreit sie.

Ja, sind wir Zuschauer denn da? Was heißt es außerdem, präsent und anwesend zu sein?

Was ist Wahrheit? - Nichts als Fragen.

Es gibt wahr und gelogen. Die Betrachter dieses Stückes können wählen: drinnen oder draußen, unschuldig oder schuldig, normal oder abgedreht, Leiden in der Komfortzone oder sozialer Abstieg mit Kriminalität und Leichen vor Elektrozäunen... Der tote Hund immer noch im Schnee. Dabei haben sie versprochen, dass es nicht mehr schneit. Wir verlieren alles!!! Was ist denn hier bloß los? Kennst du Zuschauer den Code vom Tor, vom schönen Leben?

Ich kann nicht weiter für dich lügen! Die Welt verliert gerade ihr Licht, ihre Menschlichkeit.



Falk Richters Im Ausnahmezustand am Hamburger Sprechwerk | Foto (C) Liane Kampeter

Liane Kampeter - 10. Januar 2016
ID 9068
IM AUSNAHMEZUSTAND (Hamburger Sprechwerk, 08.01.2016)
Regie: Friederike Barthel
Kostüme: Sharon Rohardt
Regieassistenz: Daniel Voß
Regiehospitanz: Emmely Grasmeyer
Mit: Catharina Fleckenstein, Ines Nieri und Tom Pidde
Uraufführung an der Schaubühne Berlin war am 6. November 2007
Premiere im Hamburger Sprechwerk: 8. 1. 2016
Weitere Termine: 5. + 13. 2. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.hamburgersprechwerk.de


Post an Liane Kampeter

http://www.liane-kampeter.de

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