Švejk
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Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg im Residenztheater München | Foto (C) Matthias Horn
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Bewertung:
Zunächst soll unbedingt aufs Hochgebührendste die absolute Leserattigkeit unseres (was die Sympathiewerte betrifft:) einmalig daseienden Lieblingsregisseurs Erwähnung finden: Wer aus dem Kollegenkreis von ihm macht sich schon groß die Mühe, einen Klopper nach dem anderen in sich hineinzuschlingen, um aus ihm dann jeweils vier bis sechs und mehr Stunden Theater herzuzaubern; Lesen heißt ja nicht gleich lesen - - nein, Frank Castorf tut die Tausenden von Buchseiten dann jedesmal verinnerlichend aus sich raus veräußern... zu uns (meist doch:) leseunwillig durch Tag und Nacht streunende "Mittelmäßler" sprich das allgemeine Publikum (mit "Maushirnen").
[Nur zum Vergleich: Mein letzter großer Klopper, den ich las, war der Dreitausendseiter Fluss ohne Ufer von Hans Henny Jahnn; den hatte ich, weil er mir glatt zu gut gefiel, drei mal gelesen - seit dem Urerlebnis allerdings rührte ich keinerlei Romanseite von andern Schreibern außer mir mehr an; so kann es kommen.]
Ich bin also immer wieder riesenfroh, über den Castorf mein katastrophales Lesemanko sozusagen kompensiert zu kriegen. Er wählt ganz genau die Bücher aus, die ich dann auch mal (früher) las bzw. (später, irgendwann noch?) zur Bekämpfung meines sich latent entwickelt habenden Analphabetentums aus dem Regal zu nehmen mich entschließen könnte. So ein gnadenloser Buchverführer aber auch!!
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Jetzt hat er Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg frei nach dem 900seitigen Romanfragment Jaroslav Hašek's in das Residenztheater München - namentlich vor/hinter/in jenen von Bühnenbildner Aleksandar Denić stilisierten Volksbühnenprospekt [s. erstes Foto unten] - gestellt:
"Seit dem Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand befinden wir uns im Krieg. Švejk weiß das und meldet sich provokant freiwillig zum Dienst, mit Krücken und Rollstuhl. Denn dieser Krieg muss sein: 'Das wird ein Gemetzel.' Dass Švejk daraufhin verhaftet, in die Psychiatrie gesteckt, als Idiot ausgelacht und als Vaterlandsverräter beschimpft werden wird, fordert den Prager Wirtshausanarchisten nur noch mehr heraus. Als Offiziersdiener an der Front gelingt ihm der große Coup: Autoritäten, Frontlinien und Befehle gelten für ihn nicht. Er lässt Militärchargen und Kriegsbürokraten im Feuerwerk seines bizarren Widerspruchsgeistes tanzen und reißt nationale Hierarchien der österreich-ungarischen Vielvölkerarmee lachend nieder. Švejk treibt sein wildes Spiel mit einer zwischen Lethargie und Chaos zerrissenen Welt, die den Einzelnen zu einer Nummer und die Menschenseele überflüssig werden lässt." (Quelle: residenztheater.de)
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Aurel Manthei (als Josef Švejk) vor dem Volksbühnenprospekt des Aleksandar Denić im Residenztheater München | Foto (C) Matthias Horn
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Jeff Willbusch und Valery Tscheplanowa (als Waldvogel) in Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg im Residenztheater München | Foto (C) Matthias Horn
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Urheberrechtlich - also was Frank Castorfs generelle Eingriffs- und Ergänzungswut bei allen oder doch den meisten vor ihm aufgeblättert liegenden "Originalen" angeht - dürfte es, im Gegensatz zum mittlerweile legendären Baal (am gleichen Haus), diesmal unkomplizierter also unverfänglicher gelaufen sein; auch gab und gibt es jede Menge Švejk-Dramatisierungen, nicht nur von Hašek selbst. Zudem springen die Episoden und Geschichten im Romantext hin und her, wird von dem O-Autor extrem viel "Fremdzeugs" vorzitiert. Und sowieso bietet diese abrupte Abgetrenntheit der Romanhandlung einen fürwahr verführerischen Luftraum, wohinein man Fortsetzungen jeder Art und Weise kompressieren könnte...
Dass bereits weit vor der Pause Stamm-Resi-Besucher, die womöglich eine Adaption der alten Film-Schwejk's mit Heinz Rühmann oder Peter Alexander vorfreudig erahnten, sichtlich ratlos und entnervt das Weite suchten, wäre so vom Nachbereitenden her sicherlich kaum eine Zeile wert - jedoch: Sogar der arg castorferprobte Schreiber dieser Zeilen hatte (obzwar nach der Pause) mit arg schwindender Konzentration unter Hinzufügung von argsten Müdigkeitsattacken heldenhaft zu kämpfen. Wenn man hörerisch zu vielen Texten ausgesetzt ist, kommt es schnell zu einem Textbrei - diesen insgesamt, v.a. intellektuell, noch irgendwie auseinanderhalten zu können, scheint unmöglich. Und der menschliche Organismus wehrt und/oder schützt sich so gelegentlich durch Schlaf...
Ja, fassen wir es kurz zusammen:
Aurel Manthei und Franz Pätzold (Rimbaud & Verlaine im Resi-Baal) schienen, gefühlter Maßen, als Protagonisten-Hauptpaar angetreten zu sein.
Vier dominante Frauen - auf High Heels und unter Pussycat-Perücken - sorgten nicht nur für rein optische Erquickungsschübe: Bibiana Beglau, Katharina Pichler, Nora Buzalka und Valery Tscheplanowa!!!!
Kostümbildnerin Adriana Braga Peretzki, die außer für das aufregende Schuhwerk und die putzigen Frisuren auch noch für das insgesamte Haute Couture (mit beinah ausnahmslosen Beinfreiheiten) zuständig gewesen war, zitierte oder imitierte - wie mich deuchte - ihren Bayreuther Waldvogel-Konstrukt aus Siegfried [s. letztes Foto oben]; warum nicht?
Jeff Wilbusch, Marcel Heupermann waren die Generation-20 plus-Komplettierer zu Aurel & Franz.
Götz Argus, Arthur Klemt, Jürgen Stössinger und Paul Wolff-Plottegg vertraten die erwachsenere Männer-Fraktion im ausufernden Švejk-Stück.
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Das bei Castorf typische Zerfaserungsmoment inflationierte diesmal wieder etwas stärker noch als sonst.
Vorn wäre bloß Theater oder so - und hinten würde halt "die Fleischbank" stehen, wird am Schluss der immer strapaziöser vor sich hingedümpelt habenden Performance oberlehrerhaft befunden.
Und "der Engel der Verzweiflung" [= obgligatorische Heiner-Müller-Zutat in fast jeder Castorfoper] hauchte nur noch "Bla, bla, bla" aus sich...
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Andre Sokolowski - 10. April 2016 ID 9246
DIE ABENTEUER DES GUTEN SOLDATEN ŠVEJK IM WELTKRIEG (Residenztheater München, 08.04.2016)
Szenen aus einem unvollendeten Roman nach Jaroslav Hašek
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Licht: Gerrit Jurda
Dramaturgie: Andrea Koschwitz
Mit: Aurel Manthei (Josef Švejk), Bibiana Beglau (Müllerová), Franz Pätzold (Oberleutnant Lukáš), Katharina Pichler (Katy Wendler), Götz Argus (Wendler), Nora Buzalka (Etelka Kákonyi), Arthur Klemt (Kákonyi), Jürgen Stössinger (General Dobrže), Valery Tscheplanowa (Schwarze Witwe), Jeff Wilbusch (Kadett Biegler), Marcel Heupermann (Baloun) und Paul Wolff-Plottegg (Hauptmann Ságner)
Premiere am Bayerischen Staatsschauspiel war am 8. April 2016
Weitere Termine: 14., 23., 24. 4. / 5. 5. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.residenztheater.de
http://www.andre-sokolowski.de
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