Drei Schwestern
Teatr Krasnyi Fackel, Nowosibirsk
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Bewertung:
Keine Festwochen ohne Anton Tschechow. Der russische Schriftsteller und Dramatiker gehört in Wien fast schon zum festen Inventar, so auch in diesem Jahr. Während in Konstantin Bogomolovs Oscar-Wilde-Verschnitt die Drei Schwestern als Edelnutten in Moskau angekommen sind, wollen sie in der Inszenierung von Timofej Kuljabin noch immer an den Ort ihrer großen Sehnsucht. Nur können sie es in der Produktion des Teatr Krasnyi Fackel aus Nowosibirsk nicht in Worten ausdrücken. Die jüngste der drei Prosorow-Schwestern, Irina (Linda Achmetsjanowa), schreibt es daher mit den von Unterleutnant Fedotik (Alexej Meschow) in der Moskowskaja-Straße für sie gekauften Buntstiften auf Papier: „Nach Moskau! Nach Moskau! Nach Moskau!“
Das Publikum in der Halle G des MuseumsQuartiers liest das in den eingeblendeten deutschen Übertiteln, während das Schauspielensemble der Inszenierung von Tschechows Drei Schwestern sich in russischer Gebärdensprache untereinander verständlich machen muss. Timofei Kuljabin hat sie ihrer Muttersprache beraubt. Was verschwindet, ist allerdings nicht der Text, sondern seine „Vertonung“, wie es der Regisseur nennt und für eine „Intonierung des Schauspielers“ hält.
Der 32jährige Kuljabin wird als einer der prominentesten Regisseure Russlands gehandelt. Bekannt geworden ist er im Westen durch seine viel gelobte Tannhäuser-Inszenierung, in deren Venusberg-Szene Tannhäuser als Jesus Christus dargestellt wurde. Dafür bekamen er und der Intendant des Nowosibirsker Theaters, Boris Mesdritsch, im März 2015 eine Anzeige wegen des Vorwurfs der Schändung religiöser Symbole. Das Bezirksgericht sprach die beiden zwar vom Vorwurf der Blasphemie frei. Mesdritsch wurde allerdings trotzdem aus seinem Amt entlassen.
Mit seiner Gehörlosen-Variante des Tschechow-Klassikers dürfte Kuljabin kaum Probleme mit der orthodoxen Kirche bekommen, wohl aber mit den Tschechowpuristen, von denen einige schon nach der ersten der drei Pausen in Wien verständnislos das Weite suchen. Sie werden Einiges vermisst, aber am Ende des erstaunlichen Abends auch Wesentliches verpasst haben.
Die Stimmung der Inszenierung lässt sich so ziemlich auf die Anfangssequenz des Abend verdichten, in der die junge Irina an ihrem Namenstag zu einem Miley-Cyrus-Video tanzt, in dem die Sängerin nackt auf einer Abrissbirne schwingend, den gleichnamigen Song intoniert, und das ziemlich laut. „I came in like a wrecking ball / I never hit so hard in love“. Später wird Irina verzweifelt feststellen, noch nie geliebt zu haben, obwohl sie doch so oft davon geträumt und darauf gehofft hatte. So wie das Ziel Moskau, werden die drei Schwestern die Erfüllung ihrer Träume nicht erreichen. Davon handelt dieses Stück - und das ändert auch nicht, dass die Tschechow-Figuren hier ihre Wünsche und Gefühle nicht in die Worte fassen können, die der Zuschauer doch ständig als Text vor Augen hat.
Denn selbst in Tschechows höchst melancholisch angelegtem Stück vermögen die ProtagonistInnen nicht das, was sie ständig so wortreich von sich geben. Dafür knallen hier die stummen Gefühle Aller wesentlich heftiger und oft ziemlich ungebremst aufeinander. Das macht vor allem, dass man sich zum Verständnis der Gebärdensprache immer direkt zum Angesprochenen wenden muss, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Ungewohnt und komisch wirkt das schon, aber man hat sich schnell eingesehen, denn besonders der erste Teil mit der Namenstagfeier im Hause Prosorow funktioniert immer auch als Komödie recht gut. Wer das Stück nicht kennt, wird trotzdem intuitiv alles verstehen.
Die SchauspielerInnen sind fast immer in den auf dem Boden markierten, möblierten Zimmerzellen anwesend. Wenn jemand neu dazu kommt, leuchten an der Decke zwei Lampen als Türklingel auf. Man sitzt an der Tafel, gebärdet durcheinander oder unterhält sich zu zweit abseits. Gebannt legen alle das Ohr auf die Tischplatte, als der von Fedotik mitgebrachte Brummkreisel auf dem Tisch summt. „Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist“, sang einst Herbert Grönemeyer. Hier wird die brüllende Lautsprecherbox auf den Fußboden gestellt und barfuß zu den Vibrationen getanzt.
Es sind nur die alltäglichen Geräusche, an die sich das an Konversationstheater gewöhnte Publikum hier halten kann. Das nervöse Klopfen des Doktors (Andrej Tschernych) beim Schachspielen, das Klappern von Geschirr oder Schuhen, das Knarren der Dielen, Vogelgezwitscher und der Wind, der ums Haus streicht. Ansonsten geben die DarstellerInnen nur Laute von sich. Einzig der Gemeinderatsdiener Ferapont (Sergej Nowikow), der dem Bruder der drei Schwestern, Andrej (Ilja Musyko), immer Papiere zur Unterschift bringt, kann sprechen. Dafür hört er bekanntlich schwer. Und so reden die Beiden auch hier munter aneinander vorbei. Der Inner Circle einer abgeschirmten Intellektuellenwelt, in die sich das unaufhörlich Plappernde einer neuen Zeit drängt.
Kuljabins Regie überzeugt mit einer sparsamen Dramatik, die sich aber von Akt zu Akt steigert und ihren Höhepunkt in der Brandnacht findet, wo sich alle Gefühle Bahn brechen wollen. Was Kuljabin immer wieder mit Lichtausfällen erschwert, in denen alle umherirrend mit ihren Handys leuchten, während der betrunkene Doktor wortlos stöhnend sein Zimmer zerlegt. Vertrieben werden die stumm Gestikulierenden auch hier von Andrejs ehrgeiziger und lebenstüchtigen Frau Natascha (Claudia Kachussowa), die sie erst noch verspotteten und die nun das Regime der Nutzlosen an sich reißt.
Zuvor tragen sie aber alle noch ihre gewohnten Kämpfe aus. Sprachlos aber mit einer körperlichen Intensität, die fast schon choreografiert wirkt, wenn der Batteriekommandeur Werschinin (Pawel Poljakow) seine Rede an die neue Zeit wie ein Dirigent vor seinem aufmerksamen Orchester hält. An seiner Hand hängt am Ende die verzweifelte Mascha (Darja Jemeljanowa), wenn die Brigade zur Marschmusik abzieht. Auch hier wird die strenge Olga (Irina Kriwonos) sich müde ihrer Pflicht ergeben und der linkische, zu spontanen Gewaltausbrüchen neigende Soljony (Konstantin Telegin) den redlichen Baron Tusenbach (Anton Woynalowitsch) im Duell um Irina erschossen haben. Das ist dann nochmal hochemotionales, ergreifendes und auch aktuelles Theater ganz ohne Worte.
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Drei Schwestern durch das Teatr Krasnyi Fackel, Nowosibirsk| Foto (C) Frol Podlesny
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Stefan Bock - 31. Mai 2016 ID 9351
DREI SCHWESTERN (Halle G im MuseumsQuartier, 28.05.2016)
Regie: Timofej Kuljabin
Bühne: Oleg Golowko
Licht: Denis Solntsew
Besetzung:
Andrej Sergejewitsch Prosorow ... Ilja Musyko
Nikolai Lwowitsch Tusenbach ... Anton Woynalowitsch
Natalja Iwanowna ... Claudia Kachussowa
Olga ... Irina Kriwonos
Mascha ... Darja Jemeljanowa
Irina ... Linda Achmetsjanowa
Fjodor Iljitsch Kulygin ... Denis Frank
Alexej Petrowitsch Fedotik ... Alexej Meschow
Alexander Ignatjewitsch Werschinin ... Pawel Poljakow
Wassili Wassiljewitsch Soljony ... Konstantin Telegin
Iwan Romanowitsch Tschebutykin ... Andrej Tschernych
Wladimir Karlowitsch Rode ... Sergej Bogomolow
Ferapont ... Sergej Nowikow
Anfissa ... Elena Drinewskaja
Gastspiel des Teatr Krasnyi Fackel, Nowosibirsk zu den WIENER FESTWOCHEN
Weitere Infos siehe auch: http://www.festwochen.at
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
Wiener Festwochen
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