Point Of
No Return
von Yael Ronen und Ensemble
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Bewertung:
Beim Theatertreffen nur auf der Longlist ist Point Of No Return, die erste Stückentwicklung von Yael Ronen für die Münchner Kammerspiele, nun über die AUTORENTHEATERTAGE nach Berlin gekommen. Eigentlich wollte die Gorki-Hausregisseurin eine Art Fortsetzung ihres Berliner Erfolgsstücks Erotic Crisis machen, nun hat sie mit den Mitwirkenden des Ensembles der Kammerspiele eine Reflexion der mitten in den sommerlichen Probeprozess platzenden Ereignisse um den Amoklauf des David S. im Münchner Olympia-Einkaufzentrum im letzten Jahr erarbeitet.
Zu Beginn verkündet uns der aus einer Bühnenluke krabbelnde, langjährige Ronen-Mitstreiter Niels Bormann, dass es sehr viel Potential zum Sterben im Saal gäbe. Früher oder später müsse ja jeder mal sterben. Da verspüre er schon ein großer Druck, nicht alles besser zu wissen. Nun klettern auch die anderen DarstellerInnen in alpiner Winterkleidung die verspiegelte Bühnenschräge herunter. Angeseilt sicher nicht nur wegen der offensichtlich gefährlichen Schieflage der Bühne, sondern auch wegen des schwierigen diskursiven Terrains, auf das sie sich da begeben. Ein Schutz also auch vor der Gefahr des Abrutschens in die Pietätlosigkeit und den schlechten Geschmack. Es geht zum Teil dann auch recht schwarzhumorig zu an diesem Abend. Es gilt sich nicht Bange machen zu lassen vor der Gefahr des Terrors, vor allem im Umgang mit den ureigensten Ängsten und persönlichen Befindlichkeiten.
Die werden dann auch lang und breit ausgewalzt. Der Reihe nach erzählen alle, wo sie während der Ereignisse waren, was sie fühlten und an was sie dabei dachten. Wiebke Puls war zum Beispiel mit ihren Kindern im Theater und zwar nicht auf der Bühne, sondern als Zuschauer im Saal. Eine ungewohnte Situation. Sie fühlte sofort alle Blicke auf sich, als ob man etwas von ihr erwarten würde. Sofort gingen ihr auch Horrorszenarien durch den Kopf und Gedanken darüber, ob sie im Ernstfall eine heldenhafte Mutter wäre. Den Helden hätte auch Niels Bormann bei seiner täglichen Fischsuppe in der Kantine gern gespielt, während Dejan Bućin beim Sockenkauf im Discounter der Handy-Akku leerlief, und er nun mit seinen Gedanken über sich und die Welt mehr oder weniger allein war.
Der eigene Schauspieljob ist dann aber der große Aufhänger des Abends, denn auch die aus Serbien stammende Sängerin und Schauspielerin Jelena Kuljić stand an diesem Tag auf der Bühne und fühlte sich an ihre Zeit als junge Künstlerin während der Balkankriege erinnert. Wesentlich unberührter gibt sich der australische Performer Damian Rebgetz, der im Folgenden die Rolle eines sterbenden Attentäters übernimmt und nur darüber klagt, in diesen Szenen keinen Text zu haben. Auf der Schräge werden dazu die Bilder einer Überwachungskamera projiziert, die einen ähnlichen Fall wie in München zeigen. Verstörende Bilder von flüchtenden Menschen, denen die DarstellerInnen wie Schatten folgen, ihre Bewegungen nachahmen und möglichen Gedanken durchspielen.
Was ist noch darstellbar, wo ist der Punkt überschritten, der diese Art der Reflexion ins Kippen bringt? Wo der, an dem es kein Zurück mehr gibt zur Normalität vor den YouTube- und Fernsehbildern? Ist der Joke, dass doch Berlin den ersten Terrorakt hatte und München nur einen Amoklauf noch okay? Ein provozierendes Spiel mit der allgegenwärtigen Medienausschlachtung und dem eigenen Kopfkino, aber auch lockere Brechung mit Hilfe der Ironie und Komik als Mittel der Selbstvergewisserung und Behauptung gegenüber den verschiedenen Angstszenarien von Terror und Tod. Als Schauspieler auf Einfühlung trainiert, scheitert Wiebke Puls vor der Verlesung des Folterprotokolls einer aus Eritrea geflüchteten Frau, während ihn Jelena Kuljić ruhig und professionell vorträgt. Zwischen gespielter und echter Empathie und Erinnerungen an Rollen mit Sterbeszenen übt sich das Ensemble im Verstehen.
Was ist ein Terrorist überhaupt für ein Mensch? Kann man sich den eigenen Tod eigentlich vorstellen? Wie gehen wir um mit unseren Ängsten? Das Aufzählen von Statistiken, Fakten und Phobien hilft kaum gegen die meist irrationale „Angst vor der Angst“. Wie schon am Anfang von Niels Bormann angemerkt, werden wir die Medienbilder wie die eigenen Bildern im Kopf und auch den Tod selbst nicht mehr los. Das Sprechen darüber ist die Kunst des Umgangs mit den Katastrophen dieser Welt. Gerade gutes und dabei unterhaltsames Theater kann dieser Kunst Ausdruck verleihen. Yael Ronen lässt am Ende Walter Benjamin Engel der Geschichte rezitieren. Dieser Abend ist ein Anfang und gar kein so schlechter Versuch, die Trümmer der Katastrophen, die wir Geschichte nennen, zu sortieren.
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Point Of No Return an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) David Baltzer
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Stefan Bock - 18. Juni 2017 ID 10093
POINT OF NO RETURN (Deutsches Theater, 15.06.2017)
Regie: Yael Ronen
Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Amit Epstein
Sounddesign: Yaniv Fridel
Video: Claudius Schulz, Angelika Widel und Wolfgang Menardi
Licht: Jürgen Tulzer
Musik Yaniv Fridel und Ofer (OJ) Shabi
Dramaturgie: Johanna Höhmann
Recherche: Bastian Zimmermann
Mit: Niels Bormann, Dejan Bućin, Jelena Kuljić, Wiebke Puls und Damian Rebgetz
Premiere an den Münchner Kammerspielen war am 27. Oktober 2016.
Gastspiel zu den AUTORENTHEATERTAGEN BERLIN
Weitere Infos siehe auch: http://www.muenchner-kammerspiele.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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