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Neue Stücke

paradies fluten


von Thomas Köck


Bewertung:    



Vom 14. bis 24. Juni 2017 veranstaltet das Deutsche Theater Berlin wieder die alljährlichen Autorentheatertage. Sie stehen diesmal unter keinem bestimmten Motto, jedoch die Auswahl der Stücke ist wie immer nah am Puls der Zeit. Flucht, Fremdheit, Heimat und ihr Verlust sind die Schwerpunktthemen der 10 eingeladenen Stücke, Romanadaptionen und Stückentwicklungen. Auch in den drei von einer Jury ausgewählten Texten der Stückeausschreibung des DT stehen diese Schlagworte im Mittelpunkt. In einer Langen Nacht der Autoren kommen sie erstmals auf die Bühne.

*

Gleich zwei dieser aktuellen Worttrigger trägt das Stück paradies fluten des österreichischen Dramatikers Thomas Köck schon im Titel. Der Autor erhielt 2016 für seinen Text den Kleist-Förderpreis. Und nicht nur rein sprachlich gesehen ist dieser Text ein regelrechtes Wortungetüm. Auch inhaltlich schweift das Stück quer durch die Weltgeschichte von der ökonomischen Kolonisation Amerikas bis zu den Auswüchsen globaler Umweltverschmutzung und der Finanzkrise in Europa. Bei der Uraufführung in einer Inszenierung des Staatstheaters Mainz im Juni 2016 (zu den Ruhrfestspielen) sprach die Kritik nicht ganz zu Unrecht von einem „Text-Tsunami“ der an Fitzgeraldo und Christoph Schlingensief erinnere. Der Autor, der sich nichts Geringeres als ein erschöpftes Tanzensemble, ein ertrinkendes Symphonieorchester und ein bühnenfüllendes Schiffswrack wünscht, gibt selbst an: „da das alles sicherlich sehr viel ist für einen abend / empfehle ich den text häufig nachzuspielen / es lohnt sich“. Wie diese nicht ganz uneigennützige Anregung gemeint ist, konnte man nun beim Gastspiel des kleinen Stuttgarter Theaters Rampe in den DT-Kammerspielen sehen.

Fanden die Kritiker der Mainzer Uraufführung die Inszenierung noch viel zu statisch, so geht die Intendantin des Theaters Rampe, Marie Bues, ganz anders an Köcks Textflut, die ganz ähnlich den Textflächen einer Elfriede Jekinek aufgebaut ist. Bues hat sich für ihre Inszenierung die Unterstützung der Tanzkompanie backsteinhaus geholt und mit der Choreografin Nicki Liszta zusammengearbeitet. Und so kommt es dann gleich in der Eröffnungsszene zu einem die gesamte Bühne überflutenden Zusammenspiel des vom Autor empfohlenen, umherschwankenden Tanzensembles mit dem ertrinkenden Symphonieorchester in Form eines Trios an Keyboard, Bass und Schlagzeug.

Zuvor war das Stuttgarter Ensemble noch bei einem szenischen Epilog auf dem Vorplatz des Theaters an einem mit Autoreifen behängtem Galgen und Autowrack zugange und las aus Köcks prophetischem Katastrophenszenario, Teil 1 einer ganzen Klimatrilogie. Als Schiffswrack liegt auf der Bühne der Kammerspiele ein gestrandeter Wal mit angedeutetem Fischschwanz und einem Rumpf aus mit einer Plane abgedeckten Autoreifen. Lediglich die zwei Überlebenden der Katastrophe in Klimakapseln, Postparzen genannt, fehlen. Die von Köck beschriebene durchschnittliche weiße mitteleuropäische Familienaufstellung der 90er Jahre schält sich allmählich aus dem Kreis der Tanzenden. Es sind „Schreckgespenster“ der kriselnden globalen kapitalistischen Industrialisierung.

Vater, Mutter, Tochter im Goldenen Zeitalten nach der deutsch-deutschen Wende. „Das Geld floss und der Markt expandierte.“ Der Vater hat sich eine Autowerkstatt mit Reifenhandel aufgebaut, nennt sich selbständig und unabhängig. Der Mutter geht dieser Drang nach unternehmerischer Freiheit und Selbstverwirklichung zu weit. Jahre später, wenn der Vater dement ins Pflegeheim muss, steht sie vor den Scherben des nur kurzen wirtschaftlichen Aufschwungs. „Vogelfrei“ geht es in den Konkurs. Die Tochter, die in der Stadt einem prekären Tanzjob auf Honorarbasis nachgeht, verkauft schließlich das elterliche Heim, um nach einem „querfinanzierten Leben“ doch noch irgendwie unterzukommen.

Diese kurzen, szenisch vorgetragenen Passagen werden mit einem Ereignis aus der Vergangenheit auf dem lateinamerikanischen Kontinent kurzgeschlossen. 1890 baut der deutsche Architekt Felix Nachtigall am Amazonas in Manaus, Brasilien, eine Dschungeloper für die Gummibarone. Der junge idealistische Mann will mit Hilfe der Kunst eine neue Gesellschaft gestalten, während der neue Geist des Kapitals längst am Paradies einer Steueroase arbeitet. Die Werte der freien Welt heißen hier Geld und Ware. Entwicklungsarbeit bedeutet Kolonisierung und Schaffung von Absatzmärkten. Auf der Strecke bleiben die Menschenrecht der Ureinwohner. Eine Indiofrau hängt geschunden am Seil.

Der Wille zur politischen Veränderung mit Mitteln der Kunst gerät zur Pose. Immer wieder rutscht einer der Tänzer über den mit Seifenwasser geschmierten Bühnenoden, während er die hehren Sätze des Architekten predigt. Über den Rohstoff Kautschuk funktioniert der Umschluss in die jüngere Vergangenheit und Gegenwart der Mittelstandsfamilie mit ihrer Reifenbude am Rande der Pleite zwischen regionalem wirtschaftlichem Aufschwung und globaler Finanzkrise. Die Paradise werden geflutet, erst vom Geld, und nach dessen Abfluss mit Erinnerungswellen einer historischer Demenz. Die Band setzt zum finalen Begräbnismarsch an. Das Chaos, das sich mittlerweile auf der Bühne breitgemacht hat schwappt nun mit den SchauspielerInnen und TänzerInnen auch ins Publikum.

Einer der Schauspieler baut mit den Reifen eine Mauer und drängt die sprachlose Sparte dahinter. So bekommt Köcks Text noch eine Betriebsaktualität, die des Kampfes von Tanz und Performance gegen das Sprechtheater. Köcks „Neuronenmassen“, die vor Jahrtausenden gelernt haben, „Ich“ zu sagen, verschwimmen zu einer Polonaise tanzenden Masse. Dass dabei der komplexe, ausufernde Text akustisch immer mehr verschwimmt, ist sicher beabsichtigt und tut der Intensität der Inszenierung kaum einen Abbruch. Ein durchaus gelungener Auftakt der AUTORENTHEATERTAGE.



paradies fluten am Theater Rampe | Foto (C) Felix Grünschloß

Stefan Bock - 16. Juni 2017
ID 10088
PARADIES FLUTEN (DT-Kammerspiele, 14.06.2017)
Regie/Choreografie: Marie Bues und Nicki Liszta
Ausstattung: Claudia Irro
Musikalische Leitung: Heiko Giering
Musiker: Georg Bomhard und Thorge Pries
Dramaturgie: Martina Grohmann
Mit: Sarah Bauerett, Lilly Bendl, Ariel Cohen, Goncalo Cruzinha, Niko Eleftheriadis, Britta Gemmer, Steffi Schadeweg, Isabelle von Gatterburg, Raimund Widra und Andy Zondag
Uraufführung im Stuttgarter Theater Rampe war am 17. September 2016.
Gastspiel zu den AUTORENTHEATERTAGEN BERLIN


Weitere Infos siehe auch: http://theaterrampe.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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