31. Januar 2013, Theater im Bauturm (Köln)
VON EINEM, DER AUSZOG, DIE REVOLUTION ZU LERNEN
Eine Hommage an Thomas Sankara / Von Luzius Heydrich und Hypolitte Kanga
|
Das ist der 1987 ermordete sozialistische Offizier Thomas Sankara, der fünfte Präsident von Obervolta, das durch ihn am 4. August 1984 zum ersten Jahrestag der Revolution in Burkina Faso umbenannt wurde
|
Erinnerungen an Afrikas Che Guevara - Oder: Habt ihr in Europa keine Helden?
|
Sind es Belanglosigkeiten, über die sich die zwei Männer am Tisch bei einem Gläschen Rosé unterhalten? Lange wird man nicht im Dunkeln gelassen: Luzius Heydrich und Hypolitte Kanga verlassen ihre gemütliche Sitzecke, stellen sich vor und erklären den Zuschauern, sie wollen nun von Thomas Sankara erzählen, dem Revolutionär und ehemaligen Präsidenten Burkina Fasos. Das muss also ER sein, dessen Konterfei auf allen Fotos an der Wand hinter Tisch und Stühlen zu sehen ist.
Den Zuschauer erwartet nun ein origineller, skizzenhafter Abriss der Laufbahn des ehemaligen sozialistischen Offiziers, der in den Achtzigern zum fünften Präsidenten Obervoltas wurde. In den vier Jahren seiner Regentschaft führte Thomas Sankara das westafrikanische Land unter dem neuen Namen Burkina Faso mit sozialen Reformen und einer ambitionierten Agenda auf den Weg zu einer gerechteren Gesellschaft mit transparenten politischen Strukturen. Ein glücklicher Zufall, dass der Schweizer Heydrich in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou in Kanga nun einen Schauspielkollegen fand, der sein brennendes Interesse an der Lebensgeschichte Sankaras teilte. Von einem, der auszog, die Revolution zu lernen bringt die Idee von Theatermacher Heydrich unter der Regie von Inda Buschmann nach erfolgreichen Aufführungen in Berlin nun auch auf die Bühne des Kölner Bauturm-Theaters, das sich politischen Themen nicht erst seit Einführung des africologne-Festivals widmet.
Akrobatische Verrenkungen und Tanz zu wummernden Rhythmen: So läuten die beiden jungen Performer eine lebendige Geschichtsstunde ein, wie sie Mel Brooks nicht besser hätte erfinden können. Doch es ist eine leicht verstörende Art, auf Afrika einzustimmen, denn auch hier endet die Geschichte großer Geister meist tragisch. So beginnt die eigentliche Hommage gleich mit Aufnahmen vom Grab Thomas Sankaras, projiziert auf Großleinwand. Die dient quasi als Kulisse für all das, was die befreundeten Männer in einem ehrgeizigen Stück Polittheater sequenzartig aneinanderreihen – zwecks Porträtierung des damaligen Präsidenten, aber auch, um der Frage nachzugehen, wie man heute mit dessen Erbe umgehen sollte. Mal darf der eine, mal der andere den Erzähler geben, und auch mit der Darstellung Sankaras wechseln sie sich ab. Es bedarf bloß eines Paars Militärstiefel, einer Tarnjacke und einer roten Kappe, um zum Revolutionär zu werden.
Klug verbindet das Konzept die europäische und die afrikanische Sichtweise auf den mit 37 Jahren ermordeten Gerechtigkeitskämpfer. Ebenso sehr im Vordergrund steht aber auch der Versuch, zwei Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen jenseits der Verstandesebene das Leben Sankaras nachvollziehen und -fühlen zu lassen: wie es ist, in der Haut eines Mannes zu stecken, der von vielen geliebt und von nicht wenigen gehasst wurde, darunter lokale wie auch internationale Politiker.
Während Kangas Sankara, schnurrend und katzengleich, den burkinischen Visionär als Verrückten vorführt - verrückt ist, wer an die Vorstellungskraft des Menschen glaubt - scheitert Heydrichs Sankara an dem anstrengenden Werdegang eines Revolutionärs. Von seinem Kollegen im Trab über die Bühne gescheucht, muss er absurde Trainingseinheiten durchexerzieren und bekommt kämpferische Parolen eingetrichtert. Die Erkenntnis des Europäers: Revolutionär zu sein ist schlauchend. Und ihm stehe der Sinn nach einer schönen Tasse Cappuccino mit Milchschaum.
Man hat es sich nicht leicht gemacht mit der Aufgabe, Infos über den charismatischen, oft provokativen Staatsmann zu verwerten und dann auch noch, möglichst ohne Verhedderungen, in drei Sprachen zu präsentieren. Tatsächlich glückt die Aufbereitung des Stoffs in verdauliche Happen auch nur teilweise. Stark, wie durch den Einsatz von Filmmaterial, Musik und Tanz Sinne und Emotionen angesprochen werden, wenn historisches Material wie etwa Auszüge aus Sankaras Rede vor der UNO-Vollversammlung in New York mit persönlichen Eindrücken der jungen Männer verwoben wird. Wiedererlebte Erinnerungen an ein Konzert zum Gedenken an Sankara vermitteln einen intensiveren Eindruck von seiner Person als die im Dokumentarstil vorgetragenen biographischen Details. Da wird es letztlich auch schwierig, aus dem Wust an Informationen das Wichtige herauszufiltern. Hier hätte man dem Potenzial des Expliziten mehr vertrauen können – wenn das „System der Ausbeutung“ anhand von Flipcharts erklärt wird, hat das durchaus erzieherischen Unterhaltungswert.
Wo der Lehrtext wortknapperen Dialogen und performativen Sequenzen Platz macht, strahlen Worte und Gesten der Darsteller hingegen Verve und Leidenschaft für das Thema aus. Dann ringen die Männer am Boden; kabbeln sich, fauchend und kriechend – und tanzen wenig später gemeinsam Walzer. Der Theaterbesucher, der gut aufgepasst hat, liest hier immer wieder deutliche Anspielungen auf die Hassliebe zwischen Sankara und Blaise Compaoré heraus: Der damals enge Weggefährte und mutmaßliche Mörder Sankaras ist noch heute Präsident Burkina Fasos.
Auch um zu verschnaufen werden Heydrich und Kanga immer wieder zu ihrem Rosé zurückkehren und die gemeinsame Zeit in Burkina Faso wiederaufleben lassen. Mal sind ihre Anekdoten witzig, mal melancholisch – Dreh- und Angelpunkt bleibt aber das Thema, das beide nicht loslässt. Die Faszination für den hierzulande kaum bekannten Revolutionär ist ansteckend; ihr ist es zu verdanken, dass die universelle Botschaft des afrikanischen Che Guevaras schlussendlich beim Publikum ankommt. Schade nur, dass Thomas Sankaras konkreter Kampf für die Befreiung aus Abhängigkeit und Neokolonialismus weniger (be)greifbar ist als die Begeisterung zweier Männer für seine großen Ideen. Was die Inszenierung im Hinblick auf Wissensvermittlung vermissen lässt, macht sie durch großartig choreographierte Intermezzi und das tolle Timing der Lichtregie wieder wett, sodass der Abend insgesamt zu einer anspruchsvollen, aufwühlenden Geschichtsstunde wird, die weder große Gesten noch Gefühl scheut. Allein dafür: Chapeau.
|
Foto © Luzius Heydrich
|
Jaleh Ojan - 3. Februar 2013 ID 00000006527
VON EINEM, DER AUSZOG, DIE REVOLUTION ZU LERNEN (Theater im Bauturm, 31.01.2013)
Idee/Konzept/Performer: Luzius Heydrich
Konzept/Inszenierung: Inda Buschmann
Performer: Hypolitte Kanga
Dramaturgie: Heike Pelchen, Kerstin Ortmeier
Video/Bühne/Kostüme: Moritz Jüdes
Assistenz: Johanna Herschel
Uraufführung war am 4. Januar 2013 im Theaterdiscounter, Berlin
Premiere in Köln war am 31. Januar 2013
Weitere Infos siehe auch: http://theater-im-bauturm.de
Post an Jaleh Ojan
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|