Hochkultur in Industriestätten
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Bei der RUHRTRIENNALE läuft einiges ein bisschen anders als bei anderen Festivals. Offizielle Festivaljury sind beispielsweise die Teilnehmer der „Children’s Choice Awards“ – 100 Kinder aus der Metropole Ruhr. Ihr Urteil über die Produktionen, die seit Ende August bis Anfang Oktober 2013 in der Jahrhunderthalle in Bochum, im Landschaftspark Nord in Duisburg, auf dem Gelände der Zeche Zollverein in Essen und an anderen Industrieorten des Ruhrgebiets gezeigt wurden, schlug sich in Bewertungen nieder wie: „Einfach nur wow!“ (Ryoji Ikeda | test pattern), aber auch „Der meiste Stromverbrauch“ (test pattern), „Die schlimmsten Kostüme“ (Harry Partch | Delusion of the Fury) oder „Die langsamste Show“ (Helmut Lachenmann | Das Mädchen mit den Schwefelhölzern).
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Als „Das Beste vom Besten“ wurde Situation Rooms von Rimini Protokoll ausgezeichnet. Zugleich war dies auch „Die spannendste Aufführung, die so spannend war, dass ich keinen Moment verpassen wollte“. Und da ist einiges dran: In Situation Rooms wird der Zuschauer selbst zum Akteur. In der Turbinenhalle auf dem Areal der Jahrhunderthalle in Bochum ist ein Parcours aus Räumen aufgebaut, jeder Zuschauer erhält Kopfhörer und iPad und darf dann seinem eigenen Film folgen. Der Monitor hilft, durch die Räume zu navigieren. Hier erhält man zudem Anweisungen und schlüpft zugleich in die Rolle des Spielers. Dabei sind in den Räumen sorgsam Requisiten verstaut, die bespielt oder einem Mitspieler bzw. ‑zuschauer überreicht werden.
Ansatzpunkt für die neueste Arbeit von Rimini Protokoll ist ein Foto vom Mai 2011, das u.a. den amerikanischen Präsidenten Barack Obama und seine Außenministerin Hillary Clinton im sog. Situation Room des Weißen Hauses zeigt, wie sie den finalen Einsatz gegen Osama Bin Laden beobachten. In Situation Rooms geht es vornehmlich um Biografien von Menschen, die mit Waffen zu tun haben – u.a. ein Sportschütze, ein Manager eines internationalen Rüstungskonzerns, ein ehemaliger Kindersoldat, ein Kriegsfotograf. Sie werden unvermittelt nebeneinander gestellt, teilweise begegnen und beobachten sich die Akteure. 20 Lebensläufe werden erzählt, 20 Zuschauer nehmen an der Aufführung teil. Ein spannendes Experiment, das die Sinne auf verschiedene Arten fordert und teilweise auch überfordert. Konzentriert man sich nun auf die Geschichte, der man zuhört und in der man gewissermaßen stellvertretend agiert? Oder versucht man doch eher, sich zu orientieren und das Gegenüber wahrzunehmen?
Situation Rooms erlebte während der RUHRTRIENNALE mehr als 100 ausverkaufte Aufführungen und trug damit zur sehr guten Auslastungsquote des Festivals von 90 Prozent bei – die höchste in der Geschichte der RUHRTRIENNALE.
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Situation Rooms von Rimini Protokoll bei der diesjährigen RUHRTIENNALE - Foto (C) Jörg Baumann | Bildquelle http://www.ruhrtriennale.de
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Wie bereits im letzten Jahr boten Intendant Heiner Goebbels und sein Team 2013 eine interessante Mischung aus modernem bzw. zeitgenössischem Musiktheater, Tanz, Site-Specific-Installationen, Konzerten und ausgewählten Theaterproduktionen. Dabei gab es viele Wiederbegegnungen mit Künstlern der letzten Ausgabe – etwa mit der Arbeit der Tänzerin und Choreografin Anne Therese De Keersmaeker. 2012 zeigte sie ihre aufregenden Produktionen En Atendent bei Sonnenuntergang und Cesena bei Sonnenaufgang, in diesem Jahr präsentierte sie mit Vortex Temporum eine Uraufführung, die ihre eigene Tanzkompanie ROSAS und das auf Neue Musik spezialisierte Ictus Ensemble zusammenführt. Im Ergebnis entstand eine kongeniale Verbindung aus Tanz, Musik und Bewegung im Raum.
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Vortex Temporum von Anne Theresa De Keersmaeker bei der diesjährigen RUHRTIENNALE - Foto (C) Anne Van Aerschot | Bildquelle http://www.ruhrtriennale.de
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Auch Intendant Heiner Goebbels war bei der Ruhrtriennale 2013 – wie bereits im letzten Jahr – vertreten, nicht nur als Regisseur, sondern auch mit einer eigenen Arbeit. Stifters Dinge ist „ein Klavierstück für fünf Klaviere ohne Pianisten, ein Theaterstück ohne Schauspieler, eine Performance ohne Performer“. In der Tat blickt der Zuschauer eine Stunde lang auf eine Art Bühne, auf der aber nur die Bühnenarbeiter ihren Auftritt haben. Im Vordergrund drei rechteckige, gleich große längliche Konstruktionen, die auf dem Boden liegen und später mit Wasser gefüllt werden. Hinten baut sich eine Wand auf: die fünf Klaviere, über- und nebeneinandergestapelt. Im Verlauf des Abends fahren Vorhänge hoch und runter. Dazwischen immer wieder Projektionen, kleine Einspieler, Zitate – gesprochen oder in Schriftform – von Adalbert Stifter, Strauss-Kahn und anderen. In Stifters Dinge sind die Dinge die Protagonisten: Vorhänge, Licht, Wasser etc. Das birgt durchaus eine gewisse Faszination. Auf Dauer ist das ganze mechanische Wunderwerk allerdings etwas ermüdend und ziellos.
Mit Stifters Dinge schließt sich gleichsam der Kreis zu Situation Rooms von Rimini Protokoll: Hier wie dort keine Darsteller. Dennoch ist der Zuschauer in dem neuesten Projekt des Gießener Kollektivs kein unbeteiligter Beobachter, sondern begibt sich in unterschiedliche Räume und Situationen, die er zwar auch nur betrachtet – aber eben aus einer ganz speziellen Perspektive, unmittelbarer, ohne Distanz.
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Stifters Dinge von Heiner Goebbels bei der diesjährigen RUHRTIENNALE - Bildquelle (C) http://www.ruhrtriennale.de
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Karoline Bendig - 9. Oktober 2013 ID 7242
Die nächste Ausgabe der RUHRTRIENNALE – und letzte unter der Intendanz von Heiner Goebbels, bevor Johan Simons übernimmt – findet vom 15. August bis zum 28. September 2014 statt.
In der Zwischenzeit kann man einige Produktionen der RUHRTRIENNALE on Tour sehen.
Weitere Infos siehe auch: http://www.ruhrtriennale.de/
Post an Karoline Bendig
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