| Rosinenpicken (210 | 211 | 212)
                  
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			   4. November 2012, Komische Oper Berlin 
       DIE MONTEVERDI-TRILOGIE 
von Elena Kats-Chernin neu instrumentiert (UA) 
 
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 Orpheus-Szene aus der MONTEVERDI-TRILOGIE an der Komischen Oper Berlin - Foto (C) Iko Freese/drama-berlin.de 
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  In der MONTEVERDI-TRILOGIE der Komischen Oper Berlin - diesem spektakulären Hammerwurf eines rundum geglückten und gemeisterten Fulltheatre - werden die Zuschauer von vornherein aufs Hauptthema geleitet und gelenkt: die Liebe. 
 
 Sie manifestiert sich hier - nicht nur in der Gestalt des kleinen Amor, den dann Peter Renz (!), hinzüglich seiner physiognomisch ausgemergelten sowie in silberfuchsbesetztem Lurexkleid daherstakenden hochgenialen Bette-Davis-Travestie (in der Poppea), darstellt - sozusagen aus dem Bauch heraus. Der neue Künstlerintendant hat eine Art zu inszenieren, die der "Außenstehende" als wärmend-warm begreift; schon immer hatten die Regiearbeiten Barrie Koskys dieses schöne Herzmaß, was sie von so merkwürdigen und mehr kalt lassenden Inszenierungs-Aufgesetztheiten seiner Kollegen (auch an diesem Hause) gottlob unterscheidet. Er ist wohl die allerbeste Wahl für seinen neuen Posten - Kosky kann und macht mit Menschen, weil er spürbar Menschen liebt, und diese Botschaft kommt "nach unten" an.
 
 Vier Monate wurde an den drei Monteverdi-Opern ausgiebig und lustvoll (so vermuten wir) geprobt. Ein Kraftakt, den man sich vielleicht nur alle Jahre einmal leisten tut oder zu leisten in der Lage ist - hier, als zu sehendes/zu hörendes Endresultat, hatte und hat sich dieser Zeit- und Personalaufwand gelohnt! 
 
 In Gänze war der Zyklus nun bereits zum dritten und doch hoffentlich nicht wirklich letzten Mal erlebbar - gestern waren wir 12 Stunden lang vor Ort und müssen nachgerade Mäßigung beweisen, dass mit uns (vor schier entzügelnder Begeisterung) die Pferde jetzt nicht durchzugehen drohen...
 
 * * *
 
 Orpheus kommt als Sinnenrausch! Die Bühne (Katrin Lea Tag) sieht wie'n gigantisches Gewächshaus mit den farbenfrohesten  und üppigst vor sich hin wuchernden Pflanzen aus; der schönste Wildwuchs, den man sich nur denken kann. Hierin agieren ebensolche (schöne wildwuchsige) Menschen - überhaupt ist sehr viel Haut & Haar in dieser prallen Produktion zu sichtigen; etliche TänzerInnen und StatistInnen, mitunter splitternackt, bevölkern unaufhörlich die Terrains... Gleich zu Beginn werden vom ersten Rang aus mittels meterlanger Stangen bunte Vögelchen an meterlangen Fäden über dem Parkett zum Hin- und Herflattern bewegt; das Auge hat zu tun, die für es sinnlichsten der Bilder rauszulinsen; meistens konzentriert es sich natürlich auf die vielfach vorgeführten  Nacktheiten im Allgemeinen wie Besonderen. Sehr animalisch alles Das!! 
 
 Dominik Köninger (als Orpheus) kann dann nicht nur herrlich singen, nein, er kann auch herrlich tanzen und sieht sowieso sehr sexy aus; soweit zum Thema (s. o.). 
 
 Dieser erste Teil des Zyklus wird in einem Zuge durchgepeitscht, hat also keine Pause; die zwei Stunden Spieldauer vergehen wie im Flug... 
 
 [Und bis zur nächsten Vorstellung sind es 90 Minuten Pause - die Foyers im Haus warten mit einem reichhaltigen Speisen- und Getränkeangebot an mehreren Buffets auf; es gibt Orientalische Linsensuppe mit Käsestange (lecker!), mediterranes Ragout vom Bio-Rind (lecker!), Sahneschnittchen von Albrecht's Patisserie (lecker!), und alles ist obzwar sauteuer, doch perfekt organisiert - - man konnte aber auch, alternativ, zum Brezelverkäufer vor dem Haus oder zur Currybude Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden ausweichen, oder man packte einfach selber Mitgebrachtes aus und aß und trank...]
 
 Gestärkt zum Odysseus:
 
 
 
 
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 Günter Papendell als Odysseus in der MONTEVERDI-TRILOGIE an der Komischen Oper Berlin - Foto (C) Iko Freese/drama-berlin.de 
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 Der (Odysseus) kehrt ja angeblich nach zig Jahren Ehe-Abstinenz zur einst Verlassenen (Penelope) zurück, bleibt erst mal eine Weile unerkannt und muss, nach seiner  Entmaskierung, um die Gatten-Existenz etlichen Kampf austragen, denn Penelope glaubt ihrem rückgekehrten Odysseus die Rückkehr einfach nicht. Stattdessen war und ist sie - eine Treu-Ergebene - den penetranten Anträgen von einer Schar sie penetrieren wollender scharlatanesker Freier ausgesetzt; die werden jetzt von ihr geprobt, und wer von ihnen dann den alten Odysseus-Bogen zum Spannen bringen könnte usf... Und selbstverständlich packt das keiner dieser Schlappschwänze.
 
 Kosky zeigt uns ein Trio mannheitlicher Dummgeratenheit - und drei der jahrelangen Haus-Ikonen (Christoph Späth, Tom Erik Lie, Jens Larsen im beabsichtigt-abartigen Kostümdesign von Katharina Tasch) spielen hier f(r)eierlicher Weise dreimal dreifach ihre jeweilige Solo-Rampensau; zum Brüllen!!!   
 
 Günter Papendell ist ein allein von seiner Stimmkraft her schon siegessicherer und sowieso gute Figur machender Odysseus. 
 
 Ezgi Kutlu vermag jenes Penelope'sche Dauerjammern über den seit Jahr und Tag Vakanten mimisch-facettiert und imposant-altistisch zu vermitteln.
 
 Das Orchester ist um den verschlossenen Orchestergraben, worauf sich die Spielfläche für die Akteure weit nach vorn verlegt befindet, aufpositioniert; zur Rechten beispielsweise die die Continui musizierenden Djelifily Sako (auf der Kora) oder Marwam Alkarjousli (auf dem Oud). 
 
 Und außerdem: Die in Taschkent geborene und in Ausstralien lebende Komponistin Elena Kats-Chernin hatte alle Monteverdi-Opern - als ein Auftragswerk der Komischen Oper Berlin - neu orchestriert. Der insgesamte O-Klang hört sich also jetzt "ganz anders" an; man lauscht ihm völlig vorbehaltlos, ist entzückt und überrascht von Dem, was Kats-Chernin da so an "fremdem Einfluss" (es wird viel auf orientalischen oder auf orientalisch anmutenden Instrumenten; aber auch auf Synthesizer, Vibraphon, Kontrafagott, Bassklarinette usw. musiziert - am schönsten sicherlich die weich-warm-wunderlichen Stellen mit der 8köpfigen Cello-Gruppe, ganz konkret im Odysseus) dem Monteverdi zugestanden hatte; schon frappant. 
 
 
 
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 Annelie Sophie Müller (als Die Tugend) inmitten einer Ensembleszene der Poppea aus der MONTEVERDI-TRILOGIE an der Komischen Oper Berlin - Foto (C) Iko Freese/drama-berlin   
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 Szenisch am stärksten ist Poppea! Das liegt auch am Stück, was ja auch ein gesellschaftliches Abbild von der damaligen Zeit (im Nero-Rom wurde halt in extremster Art gehurt, gemordet und geherrscht) herübertransportiert; Kosky gelingen diesbezüglich schier caligulanisch-ausufernde Blut- oder Gewaltspots.
 
 Textlich (deutsche Fassung: Felicitas Wolf!) bewirkt das Ganze, abgesehen von der durchweg guten Textverständlichkeit, dass dieser ganze hohle Schwachsinn - und barocke Operntexte, meist auf Italienisch, sind und bleiben wegen ihrer absoluten Hohlheit völlig unlesbar; die Wolf hatte das jetzt mit ihrer Translation ironisch zugespitzt - durch sich vollkommen ad absurdum geführt und (durch die Ausführenden) freier noch als frei durchspielbar wurde/wird: 
 
 So finden diese hohlen Dialoge meistenteils am Hausbarwägelchen und unter Handhabungen alkoholgefüllter Gläser oder Flaschen statt. Und immer, oder meistens, geht es dabei um verschmähte oder um vernachlässigte Lieben; die Poppea hatte sich bekannter Weise ganz zum Leidwesen der Nero-Nochgattin Octavia (fulminant gespielt: Helene Schneiderman) zum Thron hinaufgeschlafen - nicht mal Monteverdi konnte daran etwas Anrüchiges finden; nein: Es bleibt und ist wie's ist unter der Menschenbrut.
 
 Die allerstärkste und die alleraufwühlendste Szene insgesamt dann die hier: 
 
 Seneca, Roms Philosoph und Dichter und Gewissen, wird von seinem Kaiser in den Suizid befohlen; die Poppea-Schlampe und ihr Einfluss aufs fragile Staatssystem ist Anlass schlechterdings. So zieht er also (splitternackt geworden; hochselbstüberwindend dargebracht von/durch Jens Larsen!!!!!) einen Riesenwagen voller Bücher hinter sich, lässt ihn am Wegrand stehen und steigt ganz am Schluss ins Wasser, das ihm Todesengel mit drei Eimern voller Blut, welches sie übern Senecakopf schütten, anreichernder Weise mischen. Letztlich ist/bleibt Jede(r) splitternackt und nimmt nichts weiter von sich mit als dieses bisschen abgelebte Leben. Wahnsinnsbild.     
 
 Der junge Dirigent André de Ridder leitete einen auch musikalisch ausnahmsvollen Mega-Operntag. Und das Orchester der Komischen Oper Berlin spielte sehr gern mit ihm.
 
 Sternstunden eines kleinen Großen Hauses.   
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Andre Sokolowski - 5. November 2012  ID 00000006320
 
DIE MONTEVERDI-TRILOGIE (Komische Oper Berlin, 04.11.2012)
 Musikalische Leitung: André de Ridder
 Inszenierung: Barrie Kosky
 Bühnenbild, Kostüme: Katrin Lea Tag
 Kostüme: Katharina Tasch
 Dramaturgie: Ulrich Lenz
 Choreograph: Otto Pichler
 Chöre: André Kellinghaus
 Licht: Alexander Koppelmann
 Uraufführung/Premiere war am 16. September 2012
 Weiterer (zusammenhängender) Termin: 5. - 7. 7. 2013
 
 Besetzung Orpheus:
 Orpheus ... Dominik Köninger
 Eurydike ... Julia Novikova
 Amor ... Peter Renz
 Sylvia/Proserpina ... Theresa Kronthaler
 Pluto ... Alexey Antonov
 Charon ... Stefan Sevenich
 Figuren Orpheus und Eurydike ... Frank Soehnle
 Tänzer: Meri Ahmaniemi, Alessandra Bizzari, Martina Borroni, Sarah Bowden, Alexson Capelesso, Suleika Fichtner, Paul Gerritsen, Jesco Himmelrath, Nikos Fragkou und Marcell Pret
 
 Besetzung Odysseus:
 Odysseus ... Günter Papendell
 Penelope ... Ezgi Kutlu
 Telemachos ... Tansel Akzeybek
 Amor / Iros ... Peter Renz
 Melanto ... Mirka Wagner
 Eurymachos ... Adrian Strooper
 Eurykleia ... Christiane Oertel
 Eumaios ... Thomas Michael Allen
 Die Zeit / Antinoos ... Jens Larsen
 Pisandro ... Christoph Späth
 Anphinomos ... Tom Erik Lie
 Das Schicksal ... Karolina Gumos
 Minerva ... Annelie Sophie Müller
 
 Besetzung Poppea:
 Poppea ... Brigitte Geller
 Nero ... Roger Smeets
 Octavia ... Helene Schneiderman
 Otho ... Theresa Kronthaler
 Drusilla ... Julia Giebel
 Seneca ... Jens Larsen
 Valletto ... Tansel Akzeybek
 Damigella / Das Schicksal ... Ariana Strahl
 Arnalta ... Thomas Michael Allen
 Amme ... Tom Erik Lie
 Amor ... Peter Renz
 Die Tugend ... Annelie Sophie Müller
 Liberto ... Adrian Strooper
 
 Weitere Infos siehe auch: http://www.komische-oper-berlin.de 
	  
     
	 http://www.andre-sokolowski.de
	   
             
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