Sieg und
Heil
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Foto (C) Benjamin Rinner im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN
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Tatsächlich waren ausgerechnet jene Textstellen aus Wagners Lohengrin, wo jene in der diesseitigen Hemisphäre (Deutsche Oper in der Bismarckstraße in Berlin anno 2012) im deutschen Allgemeinverständnis sicherlich mehr als suspekt empfundene Sieg-Heil-Begriffe übertitelmäßig in den dunklen Saal herüberprangten, plötzlich durch verstärkt gewesenen Theaternebel nicht oder nicht mehr zu sehen. Denn das dänische Regieteam Steffen Aarfing (Inszenierung) / Jesper Kongshaug (Ausstattung) hatte sich eine Art von Zweikampf zwischen Lohengrin und Telramund, d.h. zwischen dem Schwan von Lohengrin und Telramund, d. h. zwischen dem fafnerfeuerspuckenden und fafnerdampfversprühenden Kampfschwan von Lohengrin und Telramund erdacht; ja und der diese Kampfszene flankierende und umstehende Chor sang also lustig-laut heraus, was an dem Lohengrin im Ganzen letztlich doch so derart ekelhaft und abstoßend zur Wirkung kam, dass man das deutschtümelnde Werk am liebsten auf den Index wünschte. / Es ist, in der Tat, die handlungsmäßig schlechteste und schwächste aller großen Wagner-Opern; und die allermeisten Regisseure scheiterten und scheitern immer wieder aufs Grandioseste an ihr! So wie der aktuelle Fall belegt:
Als diskussionswürdiger Ansatzpunkt diente den beiden Dänen Wagners trunksüchtiges Vorspiel, das sie bildnerisch zu kommentieren sich dann eingangs nicht verkneifen konnten - und so lagen also unterm Halleyschen Kometen Dutzende von toten Männerleibern aus den Kriegen der vergangenen Epochen, und fünf Frauen stakten also zwischen den verendeten Gebeinen und verbreiteten so was wie inbrünstigen Schmerz; und wir begriffen gleich, dass die Geschichte um den Lohengrin von hinten bis nach vorn zurückgeplotet werden würde... und wir hofften irgendwie, dass es entweder ganz-ganz schrecklich und brutal oder auch ganz-ganz lustig und ironisch dabei zuging. Aber (Pustekuchen!!) weder noch. Das eingangs umgemähte menschliche Kanonenfutter kriegte durch das Duo Aarfing/Kongshaug in der allernationalertüchtigtesten Plumpheit - und meist primitiv auf einem Fleck herumstehend - reinkarnierende Bedeutung; und der Lohengrin, als Heilsritter von irgendher erscheinend, reckte so wie es dann ab und an den rechten Arm mit der geballten Faust zum stilisierten Hitlergruß empor. Das Beste (an Ideen) allenthalben noch das zu 'ner abstürzenden Messerschmidt mutierte dänisch-deutsche Schwanentier.
Man müsste schon mit derart intellektuell-immenser als wie aufmüpfig-ästhetischer Gesinnung eines Neuenfels gesegnet sein, der vor zwei Jahren die wohl in sich schlüssigste und von der ganzen Sieg-und-Heil-Scheiße wegdistanzierteste Gesamtsicht, die es jemals zu dem Lohengrin gegeben haben sollte, auf dem Grünen Hügel vorstellte; und selbst das infantile Spiel von Herheim, der vor ein paar Jahren an der Lindenoper mit dem Lohengrin herumjonglierte, war in seiner kindisch ausufernden Konsequenz noch weithin besser als das gestern Abend von uns registrierte szenische Desaster in Berlin-Charlottenburg.
Zudem war es der allerlauteste der Lohengrins, der meine Ohren jemals malträtierte. Was nicht heißen soll, dass das Orchester und der Chor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: William Spaulding) von der musiziererischen Qualität her anzugreifen wären - nein, im Gegenteil; sie waren umwerfend präsent und erstklassiger Weise gut!! Und unser anmahnendes Geht-es-auch-ein-bisschen-Leiser ist wahrscheinlich mehr dem eigenen persönlichen Geschmack geschuldet. Jedenfalls - die diese Phons mit Lust erduldet habende Wagner-Gemeinde am Premierenabend schien mit ihren Hörgeräten nicht/noch immer nicht an ihre Grenzen angelangt zu sein.
Klaus Florian Vogt sang seinen Lohengrin anbetungswürdig schön! Es ist egal, in was für eine Produktion er reingerät. Sein kerosinspuriger, also "zitterfreier", lyrischer Tenor vermag den Tumbesten zur Gänsehaut zu rühren. Diese Stimme ist wohl nicht nur einzigartig, sie ist eine Sensation! / Der ganze Rest des Personals hatte es folglich schwer, mit seinem "Führer" mitzuhalten: Die zwei Damen (Ricarda Merbeth als altjungferliche Elsa, Petra Lang als mit erhöhten Blutdruckwerten kämpfende und kreischende Fee Ortrud) tremolierten unbarmherzig, und zum Schluss waren sie stimmlich völlig runter. Albert Dohmen schwamm im eigenen und textlich völlig unverständlichen Brei seines schwarzen Basses. Gordon Hawkins (Telramund) muss schon als eindeutige Fehlbesetzung nachbezeichnet sein; von Anfang an bestanden Zweifel, ob er seinen Part wohl durchsteht.
Donald Runnicles kann sich auf das von ihm in letzter Zeit deutlich qualifizierte Hausorchester voll verlassen. Es spielt schon extremisch gut!
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Andre Sokolowski - 16. April 2012 ID 5847
LOHENGRIN (Deutsche Oper Berlin, 15.04.2012)
Musikalische Leitung: DONALD RUNNICLES
Inszenierung: KASPER HOLTEN
Bühne, Kostüme: STEFFEN AARFING
Licht: JESPER KONGSHAUG
Dramaturgie: MIRIAM KONERT
Chöre: WILLIAM SPAULDING
Besetzung:
Heinrich der Vogler ... ALBERT DOHMEN
Lohengrin ... KLAUS FLORIAN VOGT
Elsa von Brabant ... RICARDA MERBETH
Friedrich von Telramund ... GORDON HAWKINS
Ortrud ... PETRA LANG
Der Heerrufer des Königs ... BASTIAAN EVERINK
u. a.
CHOR DER DEUTSCHEN OPER BERLIN
ORCHESTER DER DEUTSCHEN OPER BERLIN
Premiere war am 15. April 2012
Weitere Termine: 19., 22., 25., 28. 4. / 1. 5. 2012
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
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