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Feuilleton


12. November 2010, A.TONAL.THEATER

ALL INCLUSIVE (UA)

Eine Tourismus-Trilogie


Was hat dieser Abend in der Studiobühne Köln mit Tourismus zu tun? Nichts und doch eine Menge. Und was hat er mit dem von Regisseur Jörg Fürst beschriebenen Analogieschluss zwischen Tourismus und dem Bild des Lebens – als Abfolge von Abreise/Geburt, Reise/Leben und Rückkehr/Tod – zu tun? Wiederum nichts und doch eine Menge. Tourismus als Zirkeltour vom Wohnort weg über den zeitweiligen Aufenthaltsort zurück zum Heimatort wird im ersten Teil von All inclusive an der Studiobühne Köln sehr deutlich ausgespielt. Die Touristen – Aurélie Thépaut, Azizè Flittner, Christof Hemming und Christine Stienemeier – umrunden eine mehrere Meter breite Projektionsfläche, unter ihnen ein hellbrauner Fußbodenbelag, den man für Sand halten könnte. Mal von links, mal von rechts, mal schneller, mal langsamer, mal mit Urlaubsutensilien, mal ohne. Begegnungen gibt es nicht – man läuft aneinander vorbei. Erst nach einiger Zeit wagt Aurélie Thépaut einen Blick auf den an ihr vorbeigehenden Christof Hemming. Wirklich zusammen kommen die vier erst am Ende des Abends, wenn sie ihre Liegestühle vor der Projektionswand aufstellen und sich sonnen.



ALL INCLUSIVE - Foto (C) Wolfgang Weimer, A.TONAL.THEATER



Zeit genug, sich diese Parade anzusehen, hat man als Zuschauer allemal. Und so kann man bewundernd feststellen, dass die Ränder der Strandmatte exakt in dem gleichen Farbton gehalten sind wie ein Farbelement des Kostüms desjenigen, der sie trägt. Die Projektion eines Strandes suggeriert Urlaubsstimmung, Christof Hemming kommt so auch zweimal strahlend mit einer Sonnenbrille auf die Bühne, um die Sonne zu genießen. Irgendwann steigt der Schaum auf den Wellen in der Projektion an, die Bässe der Musik wummern, die Darsteller tragen Dinge auf dem Kopf, die vermuten lassen, man befinde sich in der Tiefsee und beobachte seltsame Bewohner dieser Welt. Das führt bis hin zu absonderlichen Konstruktionen, wenn alle Kleiderberge auf dem Kopf tragen und die Gesichter vollständig verdeckt sind. Sieht witzig aus, aber sind das jetzt Tintenfische oder was? Gesprochen wird auf der Bühne übrigens nicht.



ALL INCLUSIVE - Foto (C) Wolfgang Weimer, A.TONAL.THEATER


Schließlich wird das Licht hinter der Projektionsfläche aufgeblendet und man sieht schemenhaft die V-förmig angeordneten Tische, auf denen die Requisiten gelagert werden. Alles beginnt noch einmal von vorne – aber eben mit kleinen Abweichungen, die Musik ist nicht mehr so laut, da geht mal jemand nackt einher. Die Einblendungen auf der Projektionsfläche werden intellektueller. Statt schöner Strände mit blauem Himmel, die später verfremdet werden, werden hier Farben projiziert mit Textzeilen wie „kristallklare Bergluft“. Vor allem aber ist ein Gespräch zu hören, das das Produktionsteam geführt hat. Das Gespräch, das sich hier entspinnt, mutet zuerst etwas merkwürdig an: Unterhält sich der Regisseur da tatsächlich darüber, was er mit dem Stück will und wie die anderen die Konzeptionsprobe beurteilen? Und dann werden noch schnell theaterimmanente Referenzen angesprochen – eine Vorstellung der Dreigroschenoper in der Regie von Robert Wilson am BE, die der Regisseur besucht hat (und bei der die Verfasserin dieser Zeilen , wie es der Zufall so will, auch war), und da gab es doch dieses Stück von Handke, in dem niemand spricht (Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten). Und während man dann so dasitzt, in nassen Schuhen und sich überlegt, ob man den Abend nicht sinnvoller zu Hause im Trockenen verbracht hätte und ob es nicht ganz schön eitel ist, als Teil der Aufführung über die eigene Proben-, Regie- und Konzeptionsarbeit zu reden, ist dann plötzlich von wirklich wichtigen Dingen die Rede, nämlich von einer Krebserkrankung.

ALL INCLUSIVE - Foto (C) Wolfgang Weimer, A.TONAL.THEATER


All inclusive ist ein mutiger Abend, auf den man sich einlassen muss und der es in Kauf nimmt, zu irriterieren und nicht jedem zu gefallen. Der einen in 65 Minuten ganz schön langweilen kann und doch mit dem Prinzip der Wiederholung zwingt, neu hinzusehen und auch hinzuhören. Tatsächlich ist All inclusive weniger ein klassischer Theaterabend als eine multimediale Performance – auch wenn diese Bezeichnung, die das Team des atonal.theater selbst gewählt hat, fast ein wenig kühl und modernistisch ist für diese Aufführung, die stellenweise sehr persönlich anmutet, ohne in irgendeiner Weise anbiedernd zu sein.


Karoline Bendig - red. 13. November 2010
ID 00000004930
ALL INCLUSIVE (Studiobühne Köln, 12.10.2010)
Konzept/Regie: Jörg Fürst
Originalmusik „cembalostrom“ (UA): Norbert Rodenkirchen
Licht: Veit Griess
Bühne: Jana Denhoven
Videoinstallation: Valerij Lisac
Kostüme: Monika Odenthal
Besetzung:
Touristen ... Aurélie Thépaut, Azizè Flittner, Christine Stienemeier und Christof Hemming
Erzähler ... Christiane Bruhn (Schauspielerin)
und Prof. Dr. Hasso Spode (Tourismusforscher)
Uraufführung war am 10. November 2010
Weitere Aufführungen: 13./14.11. (Studiobühne Köln) sowie am 19.-23.01.2011 (Theater im Ballsaal, Bonn)


Weitere Infos siehe auch: http://www.atonaltheater.de


Post an die Rezensentin: karoline.bendig@kultura-extra.de



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