5 grandiose und (fast) kurzweilige Stunden mit dem SPIELER von Frank Castorf, frei nach Dostojewskij, an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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Oft kehrten wir - und meistens wie mit einem Klammersack gepudert - aus den Langzeitaufführungen von Frank Castorf, wenn er beispielsweise (wie seit Jahren) eine seiner Dostojewskij-Sichten auf die Bühne wuchtete, so gegen 1 und 2 Uhr morgens heim; zumeist auch von den vielen Eindrücken, die zu verarbeiten genötigt worden waren, völlig ausgepowert, stellenweise überfordert und mitunter ganz und gar entnervt. Doch diesmal nicht!
Der schöne Unterschied zu sonst richtet sich auf den familiär-gemütlichen Aspekt der herrlich-menschelnden und jahrmarktschreierischen Chose, ja:
Der Spieler (das ist eigentlich dann ein Roman vom alten Dostojewskij, wo der [auch dann] seine eignen Spielsüchte, die ihm im schönen Baden-Baden einstmals widerfuhren, episch nachbereitet hatte) wird bei Castorf zur sympathischen Symbolfigur eines dem sogenannten Scheitern feucht-fröhlich anheim gestellten Durchschnittstypen um die 30 rum, der einfach so den Mut oder die schlichte Profession hat, lebensaustestend das Eine oder Andere zu wagen; scheißegal, was wie/wann/wo/warum "danach" noch käme oder nicht. Die Anti-Kapitalismus-Keule wird natürlich auch, ganz nebenbei, geschwungen; doch sie stört den Spielfluss nicht, im Gegenteil - sie mischt dieses Fatale friedlich-freudig und auf infantile Weise auf.
Ja und das Allerschönste bei dem Allen ist, dass diesem Typen (atemberaubend stark und schön gespielt von Alexander Scheer!!) ein zusätzlich-sympathisch noch hinzukommendes Rudel'chen von "Ähnlichen" bei seinen Spielverrichtungen mehr oder weniger dann auf die Sprünge hilft - und der aus Dostojewskijs Buch herausgestreuselte Zentraleinfall (Plot) torpediert den insgesamten Grundansatz der Produktion mitnichten; er verschärft nur noch, und sehr erheiternd, diese schöne interfamiliäre Atmosphäre "unter Spielern" und an sich, also:
Steinreiche Großtante (genial hervorgezaubert von/durch Sophie Rois!) schlägt plötzlich im Milieu auf; alle Umstehenden wünschten sie sich tot bzw. schnellstens sterbend, dass man endlich an das Erbe dieser Alten käme oder so.
Und was da noch so Alles - in 5 Stunden - außerdem passiert...
Es ist schlicht unbeschreiblich!
Diese einmalige Form eines Familientheaters - und man blickt schon etwas neidisch auf die Bühne, weil man ahnt und instinktiv dann weiß, dass diese Art zu spielen nur durch außerordentliches (freiwilliges) Erzfamilientum dann überhaupt erst möglich wäre oder ist - MUSS wohl als singulär im deutschsprachigen Sprechtheater eingeordnet sein. Oder wer zwingt die Schauspieler dazu, so unglaublich mit ihren Körpern einer Produktion bzw. einem Mann "zu dienen", der so einen körperlichen Einsatz nicht von vornherein "verdient" hätte, ha?! und so sehen, hören, fühlen wir den schönsten Liebesakt, den es dann zwischen Schauspielern und ihrem Regisseur zu denken gäbe, und wir sind - und wiederholt gesprochen - etwas neidisch, dass wir da nicht auch dabei sein können.
Die Familienmitglieder, um sie komplett zu machen, sind zudem: Kathrin Angerer, Hendrik Arnst, Margarita Breitkreiz, Frank Büttner, Georg Friedrich, Mex Schlüpfer und Sir Henry.
Der Bühnenbau Bert Neumanns überwältigt wieder mal.
Frenetisch gefeiert.
Andre Sokolowski - 1. Oktober 2011 ID 5411
DER SPIELER (Volksbühne Berlin, 30.09.2011)
Regie: Frank Castorf
Bühne und Kostüme: Bert Neumann
Licht: Lothar Baumgarte
Dramaturgie: Sebastian Kaiser
Mit: Kathrin Angerer, Hendrik Arnst, Margarita Breitkreiz, Frank Büttner, Georg Friedrich, Sophie Rois, Alexander Scheer, Mex Schlüpfer und Sir Henry
Berliner Premiere war am 30. September 2011
Weitere Termine: 2., 8., 22., 29. 10. / 5., 26. 11. / 10. 12. 2011
Eine Koproduktion der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz mit den Wiener Festwochen
http://www.volksbuehne-berlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
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