6. Februar 2010 - Konzerthaus Berlin
ORPHEUS UND EURYDIKE
von Ernst Krenek
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Ernst Krenek (1900-1991) - Foto (C) www.ernstkrenek.com
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Mann mit Kopfschuss oder
Das Puppensyndrom
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Kokoschka war mit Alma liiert.
Er war Maler, sie die Witwe Gustav Mahlers - also zu der Zeit, wo es passierte.
Krenek (Komponist und Textstutzer von Orpheus und Eurydike, was [textlich] von Kokoschka war) hatte erfahren und gewusst, was zwischen beiden - Alma & Kokoschka - los war:
"Die Atmosphäre des Hauses war (...) nach Mahlers Hinscheiden sexuell höchst stimulierend, um es vorsichtig auszudrücken. (...) Es scheint, dass ihr [Almas] Schlafzimmer zu einer Art schickem Durchgangslager für Berühmtheiten auf den Gebieten der schönen Künste, der Literatur und der Musik und obendrein für verschiedene nicht bedeutende Männer wurde."
Krenek wiederum, selbstredend auch kein Mann von Traurigkeit, heiratete paar Jahre später Anna Mahler, eine von den beiden Töchtern Almas. Er war also in die Bettenwelt der Mahlers zeitzeugiger Weise involviert.
Man sagt Kokoschka eine Eifersucht in der Extremform nach.
Und nicht nur damit konnte die Geliebte, deren triefendes Geschlecht freilich "nicht nur" für Oskars Zauberstab geölt gewesen war, nicht umgehen; und es beengte sie (und ihren Trieb) in zunehmendem Maße, was (natürlich!!) prompt zu einer Störung des Gesamtgefüges führen musste... und sich Alma also von Kokoschka trennte; und sie wollte auch das Kind von ihm nicht, was sie abgetrieben hatte usw. usf.
Zu viel für einen Mann wie ihn:
1915 holte er sich an der Ersten Weltkriegsfront einen Kopfschuss.
1917 sublimierte er (kopfschussgeschädigt) seine Trennung von der Heißgeliebten mit dem hanebüchnen Text von ORPHEUS UND EURYDIKE.
1918 ließ er sich von Hermine Moos eine Puppe nach Almas Maßen modellieren; mit ihr ging er quasi, statt mit Alma, in sein Bett.
1922/23 stieß er auf Ernst Krenek, weil er einen Komponisten für sein Machwerk suchte; Krenek nannte das Vorgefundene "expressionistisches Bla bla" und stutzte sich den Text zum Komponieren zurecht...
D a s war und ist die Vorgeschichte zu:
Ernst Krenek, Orpheus und Eurydike - Oper in drei Akten
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Oskar Kokoschka (1886-1980) - hier als jugendlicher Militär
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Lothar Zagrosek und das Konzerthausorchester Berlin bestritten hiermit - Fakt bleibt Fakt - den absoluten Höhepunk der laufenden Saison. Und trotz dass es "bloß" halbszenisch herüber kam, wurde im Ganzen kräftig hingeklotzt; man ließ den Opernchef vom Deutschen Nationaltheater Weimar, der auch schon paar schöne Sachen an der Deutschen Staatsoper Berlin gemacht hatte, von Thüringen herüber kommen - ja und Karsten Wiegand machte eigentlich nicht viel, doch was er sich da einfalln ließ, warf doch den (eigentlich ja) grauenhaften Subtext von Kokoschka sehr sehr dechiffrierend auf ein angebrachtes Bodenmaß zurück:
Auf dem Konzertpodium wurde ein Riesenbaugerüst, dreistöckig, hingewuchtet. Über ihm ein Wellblechdach. Von der Akustik her: die tollste Wirkung, die man sich nur denken kann, gebündelt und geduckt, zwar laut, doch nicht zu laut, aber zum Glück auch nicht zu leise. Die Besetzung ist enorm (6 Kontrabässe, beispielsweise; eine Batterie von Bläsern usf.); das Orchester ist also auf drei Etagen großräumig verteilt; alle Streicher (außer den 6 Kontrabässen), inkl. der Gesangssolisten, unten; in der Mitte sowie unterm Dach Holz, Blech und Schlagwerk; hinterm Baugerüst postiert der Ernst Senff Chor - - vor dem Baugerüst drei aufgehangne mittelgroße Leinwände, auf denen Filmeinblendungen zu sehen sind (Kuss-/Panikszenen aus Hitchcocks Vertico, eine ausblutende Giraffe mit sie anschließend ausweidenden zwei Geiern, nachgestellte oder in das Heute hineinmodifizierte Oskar-Alma-Duo-Szenen, eine afrikanisch anmutende Tierbrandopfer-Szene usw.) / Christian Koerner spielt dann noch (zu allem szenischen Überfluss, das wollen wir als einzigen Kritikpunkt dieser "halben Inszenierung" manifest sein lassen) den Kokoschka mit der Alma-Puppe; und so sehen wir ihn, per Video, mit der Alma-Puppe durch die Schnee-und-Eis-Landschaften vorm Konzerthaus in den Prachtbau ein- und ausgehen, die Alma-Puppe immer mit; und in der Loge, also live, tut Koerner dann noch - wie es ihm durch Wiegand aufgetragen worden war - die Alma-Puppe stilisierend kopulieren; müder Einfall, muss schon sagen...
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Das ist der von Benno Wand angefertigte Nachbau der legendären Alma-Puppe der Hermine Moos. Oskar Kokoschka ließ sie sich dereinst, zum Angedenken an die Heißgeliebte (Alma Mahler), modellieren - Foto (C) Art for Art
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Die Gesangssolisten allererste Sahne-Leckerlies!!!
Brigitte Pinter (als Eurydike), Daniel Kirch (als Orpheus) und Claudia Barainsky (als Psyche) vollbrachten Außerordentliches; sie waren alle kurzfristig für ihre grippegeschädigten Kollegen eingesprungen, und sie lernten also ihre Mordspartien - für die es auch keine CD-Vorlagen gibt (Orpheus und Eurydike ist bis dato unveröffentlicht, uneingespielt) - über Nacht. Sensationell!
Das Werk ist, von der Handlung her, nicht nacherzählbar; drei Stränge kreuzen und vermischen sich, und Freud hätte schon Freude dran gehabt, dem (Text-)Schinken psychoanalytisch auf den Grund zu gehen.
Kreneks Musik: von einer beispiellosen unerhörten Wucht!
Die Opern dieses Mannes müssen, nach und nach jetzt, an das Tageslicht. Es lohnt sich. Aber wie!!!!!!!!!
Hut ab.
Andre Sokolowski - 7. Februar 2010
ID 4549
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ORPHEUS UND EURYDIKE (06.02.2010, Konzerthaus Berlin)
Inszenierung: Karsten Wiegand
(Regieassistenz: Annemarie Türckheim)
Licht: Franck Evin
Video: Jan Speckenbach
Videotechnik: Jens Crull
Kamera: Andreas Deinert
Besetzung: Daniel Kirch (Orpheus), Brigitte Pinter (Eurydike), Claudia Barainsky (Psyche), Barbara Senator (Erste Furie), Christa Mayer (Zweite Furie), Kismara Pessatti (Dritte Furie), Christoph Schröter (Ein Matrose), Christian Immler (Ein Krieger, Der Narr), Tye Maurice Thomas (Ein Betrunkener) und Christian Koerner (Schauspieler)
Ernst Senff Chor
(Choreinstudierung: Steffen Schubert)
Konzerthausorchester Berlin
(Kodirigent: Maxim Heller)
Dirigent: Lothar Zagrosek
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Weitere Infos siehe auch: http://www.konzerthaus.de
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