Weltsichten
im Superhirn
HÖLDERLIN - EINE EXPEDITION
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Dietrich Henschel ist der vorderste der 13 singenden Protagonisten in HÖLDERLIN von Peter Ruzicka (Text: Peter Mussbach), uraufgeführt am 16. November 2008 an der Deutschen Staatsoper Berlin - Foto (C) Ruth Walz
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Es ist nicht einfach und nicht möglich, sich aus den gelesenen oder gehörten intellektuellen Fallstricken des zweistündigen Abends HÖLDERLIN - Musik von Peter Ruzicka - hinein geschweige denn heraus zu manövrieren. Um das Ganze sozusagen etwas vorzuwürzen, also ehe wir uns hier zu irgend einer unmaßgeblich anmutenden Volksverlautbarung erweichen lassen (und das Wir schwenkt letztlich noch zum Ich, nur keine Sorge), sei das Folgende noch marginal erwähnt:
Den Text zu HÖLDERLIN hat Peter Mussbach vorgesetzt. Mussbach (Doktor der Medizin; aber er hatte auch Gesang, Klavier, Dirigieren, Germanistik, Kunstgeschichte, Philosophie, Jura und Soziologie studiert) ist zwar kein Dichter, doch er lieferte bereits vor sieben Jahren schon einmal für eine Oper Ruzicka's den Text; von daher also existieren seine librettistischen Erfahrungen. Nun kam - und wie das Leben halt so spielt - die letzten Monate so manches anders als er sich das dachte, also: Mussbach tat das ganze HÖLDERLIN-Projekt vor ein paar Jahren für die Deutsche Staatsoper Berlin (hier war er ja bis vor paar Wochen Intendant) als Auftragswerk initiieren; und er wollte's freilich selbst dann produzieren. Dann kam dieser ganze Knatsch und Krach mit Barenboim und ihm, und hast du's nicht gesehen: war der Mussbach weg vom Lindenopernfenster. Seither fuchtelt er - und nicht etwa dezent im Hintergrund, sonst würde es uns keine Zeile wert sein - mit der Anwaltskeule... so auch bis vor Kurzem, um nicht gar zu sagen bis vor paar Minuten vor der gottlob doch noch stattgefundnen Uraufführung HÖLDERLIN, denn: Mussbach sah sich plötzlich - weil der "neue" Regisseur in sein (Mussbach's) Libretto ein paar zusätzliche Hölderlin-Zitate einzubauen sich erdreistete - in seinem (Mussbach's) Urheberrecht verletzt und zog im Handumdrehen seinen (Mussbach's) Namen zurück; das liest sich dann auf dem Besetzungszettel so:
"Die Staatsoper Unter den Linden weist darauf hin, dass die Berliner Inszenierung von HÖLDERLIN - Eine Expedition von der Originalfassung des Librettos abweicht, indem weitere Zitate aus dem Werk Friedrich Hölderlins eingefügt wurden. Die Berliner Fassung ist in dieser Form vom Librettisten, Prof. Dr. Peter Mussbach, nicht autorisiert."
Hat man Töne?!
(Einen hübschen Querverweis, im Übrigen, findet man außerdem beim Nachlesen der Kurzvita von Peter Ruzicka, dem HÖLDERLIN-Komponisten; der studierte nämlich Rechts- und Musikwissenschaften, und er promovierte 1977 mit einer interdisziplinären Dissertation über das "ewige Urheberpersönlichkeitsrecht" - wer hätte das gedacht, dass ihn [Ruzicka] dieses Thema jemals einholte.)
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Tragen die Kostüme aus der Hölderlin-Zeit und waten durch viel Wasser (Bühne: Herbert Schäfer, Kostüme: Andreas Janczyk) in der Uraufführung HÖLDERLIN von Peter Ruzicka an der Deutschen Staatsoper Berlin - Foto (C) Ruth Walz
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Die Handlung der Oper ist nicht nacherzählbar.
Und es geht auch nicht um Hölderlin als Mensch an sich, nichts Biografisches geschieht.
Es sind - angeblich - seine (dichterischen) Welt- und Geisteshaltungen, die Librettist und Komponist bewogen, ein gemeinschaftliches Kunstprojekt in Sprache und Musik unter dem Thema und dem Titel HÖLDERLIN zu packen.
Es wäre eine Art Expedition.
Meinetwegen, gern.
Aber ich bin dem Ganzen nun einmal, wie alle anderen im Saal, direkt und unerbittlich ausgesetzt, indem ich hören (hören, ja!!) und sehen (lesen, auch, ja!) muss. Und was da auf mich einprasselt, also im Ganzen dann, nenne ich jetzt ganz schlicht und einfach eine unverschämte Unverbindlichkeit!
Und ergo muss ich, da ich nichts, aber auch überhaupt nichts von dem ganzen "menschlichen" Geplapper (Text gemeint - n i c h t die Musik!!!) verstanden habe, wider Willen in dem Textbuch nachschlagen... und muss entdecken und erlesen: Dieser Operntext, dieses Libretto also, sieht so aus, als wäre es nicht mehr und auch nicht weniger als eins von den Regiebüchern von Peter Mussbach. Seitenweise stehen da kursiv gedruckte Vorgaben; Dramatiker bezeichnen so was als "Regieanweisungen". Die eigentlichen "Rollentexte", gesprochen oder gesungen von jeweils 13 Sprechern oder Sängern, sind entweder aus den Werken Hölderlins und Beckets oder aus dem Radio oder Zeitungen entnommen; aktuelles Tages- und Privatgeschwätz im so von Mussbach nachempfundnen Sound und Tonfall inklusive.
Keine autoriale Handschrift also, nicht im Fall des Texters.
Anders sieht es schon beim Komponisten aus:
Die HÖLDERLIN-Musik (im Wesentlichen durchkomponiert) ist aggressiv und fließend zugleich.
Ruzicka dirigierte selbst. Die Staatskapelle klang am besten, wenn der Streicherteppich ausgebreitet wurde/war.
Die Produktion ist aufwändiger als es wohl ihr vorliegendes Werk verdient, und die Besetzung ist vom Allerfeinsten.
Könnte mir nicht vorstellen, dass Peter Ruzicka noch einmal mit dem Librettisten Peter Mussbach je zusammenwirken wird.
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Vor einer Art von Führer-Standbild werden Zeiten vor und nach der Wende zugeleuchtet, Szene aus der Uraufführung HÖLDERLIN (Inszenierung: Torsten Fischer) an der Deutschen Staatsoper Berlin - Foto (C) Ruth Walz
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Andre Sokolowski - 17. November 2008
ID 4097
HÖLDERLIN - EINE EXPEDITION (Deutsche Staatsoper Berlin, 16.11.2008)
Musikalische Leitung: Peter Ruzicka
Inszenierung: Torsten Fischer
Bühnenbild: Herbert Schäfer
Kostüme: Andreas Janczyk
Sängerinnen und Sänger: Dietrich Henschel, Arttu Kataja, Thomas Mohr, Stephan Rügamer, Florian Hoffmann, Fernando Javier Radó, Andreas Bauer, Simone Nold, Anna Prohaska, Carola Höhn, Silvia de la Muela, Andrea Bönig und Anne-Carolyn Schlüter
Schauspielerinnen und Schauspieler: Anne Berg, Martina Böckmann, Petra Marie Cammin, Markus Gertken, Thorsten Heidel, Philip Heitmann, Andreas Jocksch, Bastian Klang, Maria Pamouki, Nino Sandow, Kerstin Schweers, Hugo Marcel Oliva Vargas und Sabine Wegner
Chor der Deutschen Staatsoper Berlin
(Choreinstudierung: Eberhard Friedrich)
Staatskapelle Berlin
Uraufführung war am 16. November 2008
Weitere Termine: 21., 25., 29. 11. und 22. 12. 2008 sowie 26. 6. und 1., 4. 7. 2009
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Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de
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