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Rezension

28. Juni 2007 - Gastspiel in der Volksbühne Berlin

ANJO NEGRO (SCHWARZER ENGEL)

Von Nelson Rodrigues


Nelson Rodrigues (1912-1980)| Bildquelle: Wikipedia



Voodoodingsbums

Nächste Spielzeit kriegt die Volksbühne Berlin wieder ein eigenes und unverwechselbar (gebliebenes) Gesicht. Das tut im Ganzen Not, weil ja seit langem oder kurzem zwei (und nicht mehr ganz so wilde) Heißsporne als Castorfs Konkurrenten angetreten warn - ob Ostermeier an der Schaubühne bzw. Petras/Kater an dem Gorki, diese zwei versuchten richtig Wind zu machen; und der Eine von den beiden, dieser "Neuhinzugekommene", gibt sich auch weiterhin die allergrößte Mühe, und man kommt als Rezipient bei ihm nicht hinterher, denn eine Uraufführung jagt die andere, und meistens sind sie doch dann, im Gesamtgefüge, Scheißeminuspikhochdrei... was an den so daherbemühten Stück(ch)en, weniger am heißspornigen Intendanten liegen mag.
Frank Castorf also definiert sich selber um: In einem drolliglichen ZITTY-Interview umriss er seine neue Strategie in etwa so: Aus der Musik (!) heraus solle das ganze Haus dann neu erfunden werden. Alle Beethoven-Klaviersonaten, Schumanns Faust-Musik oder Puccinis Tosca stehen in der nahen Zukunft auf dem Spielplan. Und es setzt die letztes Jahr begonnene Musik-Beschäftigung von Castorf (Meistersinger) fort und reiht sich also prima in die zeitlos-immergrünen Produktionen Marthalers (des eigentlichen Musikers an diesem Hause) ein. Was dieses alles dann, rein intelektuell, bedeuten soll... das wird wohl unklar bleiben.
Zwischenzeitlich ist die Volksbühne - wie immer vor der Sommerpause - ganz auf Südamerika (Brasilien, Sao Paulo) eingestellt oder getrimmt: Der Hausherr lud sich seine eigne "auswärtige" Inszenierung Anjo Negro, eines von der brasilianischen Theaterwissenschaft als "mystisch" eingestuften Stückes von Nelson Rodrigues, zu sich ein. Hierin geht es um ziemlich bodenständig ausgetragene Konflikte, Kämpfe, Krämpfe rund ums Lieblingsthema aller künstlerischen Genres: Sex . Der mischrassigen Zwangsehe von Dr. Ismael (im Stück ein Schwarzer) mit Virginia (einer Weißen) - die der Schwarze, um nicht ganz so schwarz mehr dazustehen, vorher vergewaltigte - entstammen ein paar Mischlingskinder, welche von der Weißen kurzerhand ersoffen worden waren. Schließlich gibt es einen weißen Halbbruder von Dr. Ismael; dieser nennt sich Elias und ist blind. Von selbigem lässt sich Virginia schwängern, um ein "reines" weißes Kind zu haben. Alles kommt natürlich raus, und Dr. Ismael macht erstens seinen weißen Halbbruder am Ende kalt, und zweitens macht er sich die "reine" weiße Stieftochter zur eigenen Geliebten usf.
Castorf hat diesem tollen "rassenkundlerischen" Stück, welches mit vielem Voodoo aufgeladen ist, nicht ganz getraut, und daher kombinierte er es - blödsinniger Weise - mit dem hirnlastigen Text von Heiner Müllers AUFTRAG. Absicht oder Ziel von ihm war auszuloten, wieviel Hass der Mensch benötigt, um die revolutionären Lüste wieder aufflammen zu lassen. Weil das Abendland, welches nach Castorfs Meinung vollgefressen breitbeinig darniederliegt, auf "sowas" generell dann keinen Bock mehr hat; nun gut ...
Die Brasilianer spielen, wie gewohnt, mit Herz & Bauch. Sie scheint das für sie Fremdartige des genialen Müller-Textes weniger zu scher'n als dass es Castorf je für möglich hielte. Ja, man hat den Eindruck, dieser durch sie auf- und hergesagte Text ist ihnen schlichtweg scheißegal; er klingt im Portugiesischen wie eine Vollblutoperette, und wer Lust hatte, konnte ihn in der simultanen Übersetzung auf der digitalen Überleiste lesen. Ungeachtet dessen:

Lieber Castorf! Spiel doch einfach mal 'nen ganzen (unverfremdelten!!) Rodrigues. Dieser Autor war für mich dann sowieso die Erz-Entdeckung dieses lauig-lauten Abends.


Andre Sokolowski - 30. Juni 2007
ID 3329
http://www.andre-sokolowski.de

ANJO NEGRO (Volksbühne Berlin, 28.06.2007)
Fassung und Regie: Frank Castorf
Bühne und Kostüme: Thiago Bortolozzo, Renato Rebouças, Arianne Vitale Cardoso
Künstlerische Beratung (Bühne und Kostüme): Bert Neumann
Künstlerische Beratung (Besetzung): Antonio Araújo
Video: Marilia Halla
Kamera: Dario José, Walter Marinho
Licht: Irene Selka, Ivan Andrade
Besetzung: Denise Assunção (Virginia), Roberto Áudio (Ismael), Darcio de Oliveira (Elias), Janaina Leite (Ana Maria), Georgette Fadel (Tante), Irina Kastrinidis (Kranke Cousine) sowie Gal Quaresma, Joyce Barbosa, Lucélia Sérgio, Mawusi Tulani, Tatiana Ribeiro, Tayrone Porto und Sidney Santiago (Cousinen/Chor)
Eine Produktion des Goethe-Instituts São Paulo in Kooperation mit dem Serviço Social de Comercio São Paulo (SESC SP) im Rahmen der "Copa da Cultura Brasil+Deutschland 2006", einer Initiative des brasilianischen Kulturministeriums (MinC).
Berliner Aufführungen: 27. + 28. 6. 2007

Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne-berlin.de





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