humanistää!
Volkstheater Wien
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Bewertung:
Was für den Theaterschauspieler und -regisseur Herbert Fritsch Ingo Günther, ist für die Theaterregisseurin Claudia Bauer Peer Baierlein. Bereits für ihre Inszenierungen von Und dann (Gewinnerstück des Mülheimer Dramatikerpreis 2014) und 89/90 (2017 zum Berliner THEATERTREFFEN eingeladen) lieferte der Musiker und Komponist Baierlein den Soundtrack, der einen nicht unerheblichen Beitrag zum Erfolg dieser Inszenierungen leistete.
Eine weitere Zusammenarbeit der beiden hat Früchte getragen. Sie sind mit humanistää!, einer Inszenierung am Volkstheater Wien, zum THEATERTREFFEN nach Berlin eingeladen worden. Eine lobenswerte Entscheidung der Jury, die mit ihrer diesjährigen 10er-Auswahl bisher auch einiges an Kritik einstecken musste. Dass sich Bauer für ihre erste Wiener Arbeit ausgerechnet den bekannten Laut-Poeten Ernst Jandl ausgesucht hat, verweist auf eine ganz ähnlich gelagerte Arbeit des zuvor schon erwähnten Herbert Fritsch, der mit seiner musikalischen Volksbühnen-Inszenierung der die mann nach Texten des Wiener Sprachkünstlers Konrad Bayer 2016 zum TT eingeladen war.
Ernst Jandl und seine im letzten Jahr verstorbene Lebenspartnerin Friederike Mayröcker standen der Wiener Gruppe um Bayer und H.C. Artmann recht nahe. Konkrete Poesie, Sprachwitz und ein Gespür für Rhythmik und die visuelle Umsetzung von Texten verbanden Jandl mit den Vertretern der Wiener Gruppe. Die Verbindung von Text, Bild und Musik charakterisiert auch die Inszenierungen von Claudia Bauer. Eine abschaffung der sparten, wie der Abend im Untertitel heißt, liegt also durchaus in ihrem Interesse. humanistää! vereint in einer 2stündigen Nummernrevue Jandls Einakter die humanisten, seine Sprechoper aus der fremde mit einer kleinen Auswahl von Gedichten des Wiener Meisters der Lautpoesie.
Für die Eingangsszene von Jandls selbstreflexivem Text aus der fremde hat Patricia Talacko eine kleine Guckkastenbühne mit Esstisch in das Bühnenportal gesetzt. Darin schneiden Bettina Lieder und Samouil Stoyanov im Jandl/Mayröcker-Outfit (Kostüme: Andreas Auerbach) rhythmisch zur Musik aus dem Orchestergraben Schnitzel und prosten sich immer wieder zu. Der rein im Konjunktiv und in der dritten Person verfasste Text wird seitlich über Standmikrofone von anderen MitspielerInnen samt Strophennummerierung eingesprochen. Der Abend wird immer wieder auf diesen Text, der die Schwierigkeiten und Mühen eines Autors beim Schreiben reflektiert, zurückkommen. Die Bühne weitet sich später nach hinten in eine Art Konferenzraum mit Türen und abgehängten Neonleuchten. Zum durch ständige Lautverschiebungen gekennzeichneten Gedicht "l´amour/ die tür/ the chair/ der bauch" tänzelt das Ensemble beschwingt durch den Raum.
Auch zu Jandls Denglisch-Joke Calypso ("ich was not yet/ in brasilien/ nach brasilien/ wulld ich laik du go") oder zum Gedicht an der schreibmaschine gibt es sehr schöne rhythmische Choreografien. Ein Höhepunkt ist sicher die Darbietung der humanisten („ich sein ein universitäten professor kapazitäten von den geschichten/ was du sein?/ ich sein ein groß deutschen und inder national nobel preisen kunstler/ was du sein?“) von Julia Franz Richter und Elias Eilinghoff als clownesker Schwanzvergleich. Sie werden dabei von Hasti Molavian, umschwirrt, die im klassischen Sopran ein weiteres Lautgedicht Jandls singt. Etwas abgründiger wird es mit Samouil Stoyanov, der Jandls deutsches gedicht, eine Abrechnung mit dem österreichischen Alltagsfaschismus, als gefährliches Aufziehmännchen performt.
Danach flacht der Ideenreichtum leider doch etwas ab. Der von Jandl so bezeichnete „alltagsdreck“, eine „chronik der laufenden ereignislosigkeit“ spiegelt sich noch schön im Gedicht von zeiten („sein das heuten tag sein es ein scheißen tag/ sein das gestern tag sein es gewesen ein scheißen tag ebenfalz“). Wild wird es nochmal bei 10 vorschläge für die aufführung des stückes FATTSA. Da hält es dann selbst das Festspielhauspublikum beim Applaus nicht mehr auf ihren Sitzen. Kann sein, dass sich da auch der Stau von allzu vielen „scheißen tagen“ ohne theatrale Bespaßung mit Macht entlädt. Aber Bauers Jandl-Abend bietet dafür als Auslöser sicher etwas mehr als nur „magerquark/ und/ knäckebrot“.
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humanistää! am Volkstheater Wien | Foto (C) Nikolaus Ostermann
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Stefan Bock - 13. Mai 2022 ID 13620
HUMANISTÄÄ! (Haus der Berliner Festspiele, 12.05.2022)
eine abschaffung der sparten
Regie: Claudia Bauer
Bühne: Patricia Talacko
Kostüm: Andreas Auerbach
Komposition & Musikalische Leitung: Peer Baierlein
Lichtdesign: Paul Grilj
Sounddesign: Sebastian Hartl un Giorgio Mazzi
Dramaturgie: Matthias Seier
Mit: Elias Eilinghoff, Evi Kehrstephan, Bettina Lieder, Hasti Molavian, Nick Romeo Reimann, Julia Franz Richter, Uwe Rohbeck und Samouil Stoyanov sowie den Live-Musikern Igor Gross (Schlagwerk, Vibraphon), Lukas Lauermann (Cello, FX) und Jera H. Petriček (Dirigat)
Live-Kamera: Thomas Barcal
Soufflage: Jürgen M. Weisert
Premieream Volkstheater Wien: 15. Januar 2022
Gastspiel zum 59. THEATERTREFFEN
https://www.berlinerfestspiele.de/de/theatertreffen/start.html
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