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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Schweigen

und

verdrängen



The Silence von Falk Richter - an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Gianmarco Bresadola

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„Als Friedenskinder sind sie in den Zeiten des Wohlstandes aufgewachsen. Es hat ihnen an nichts gefehlt. Oder doch?“ Die Rede ist von den sogenannten Kriegsenkeln, Die Erben der vergessenen Generation, wie das 2009 erschienene Buch Kriegsenkel, geschrieben von der Journalistin und Autorin Sabine Bode, im Untertitel heißt. „Die Generation der zwischen 1960 und 1975 Geborenen hat mehr Fragen als Antworten“, heißt es da weiter. Das Schweigen der Eltern (damals meist selbst noch Kinder) über ihre Kriegserfahrungen und Traumatisierungserlebnisse wirkt in der folgenden Generation nach. Das Programmheft zur Produktion The Silence, geschrieben und inszeniert vom Theater-Autor und Regisseur Falk Richter (geb. 1969), enthält einige Auszüge aus Büchern zum Thema Verdrängung, "German Angst" oder "Transgenerationale Weitergabe". Man muss das alles nicht gelesen haben, aber es kann einem helfen, die titelgebende Stille zu durchbrechen, wenn sich die Eltern- und Kinder-Generationen im gemeinsamen Gespräch entschließen würden, sich zu öffnen.

Falk Richter ist dies mit seinem Vater nicht gelungen. Nach dessen Tod hat der Autor beschlossen in einem Theaterprojekt die ihn umtreibenden Fragen in einem autofiktionalen Bericht zu sammeln. Der Monolog für einen Schauspieler wurde 2022 im TNS Strasbourg in französischer Sprache uraufgeführt. Zusätzlich zum aufgeführten Text hat Richter mit seiner Mutter gesprochen und ihre Wahrheit mit seinen Erinnerungen an die Kindheit und Jugend im Elternhaus in Buchholz in der Nordheide (Niedersachsen) abgeglichen. Dieser filmisch festgehaltene Dialog bildet in Einblendungen eine zweite, dokumentarische Ebene. Für die Rückkehr des ehemaligen Hausregisseurs an die Berliner Schaubühne hat der Autor eine neue Version in deutscher Sprache geschrieben.

Von seiner Zeit am Maxim Gorki Theater kennt Richter den Schauspieler Dimitrij Schaad, den er nun für die deutsche Fassung als seinen Protagonisten ausgesucht hat. Eine hervorragende Wahl, wie sich sehr schnell herausstellt. Schaad verfügt über die nötige Präsenz, einen solchen sehr persönlichen Text zu stemmen, ohne in die Betroffenheitsfalle zu geraten oder sich zu stark mit dem Autor zu verschmelzen. Schaad tritt zu Beginn auf der Globe-Bühne auch erst einmal aus der Rolle und stellt sich kurz als „Dimi“ vor und bezeichnet die Schaubühne ironisch als den Bayern München der Verwandlungskunst. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist ihm so ziemlich sicher. Dass es dann gleich ziemlich ernst wird, liegt am Text, der sich sofort in die familiären Wunden bohrt.

„In meiner Familie habe ich mich nie sicher gefühlt“, beginnt Dimitrij Schaad als Falk Richter. „In meiner Familie hat man nie darüber gesprochen, wie viele Personen mein Vater im zweiten Weltkrieg getötet hat, nie darüber, dass meine Schwester unehelich zur Welt kam, nicht darüber, dass er meine Mutter und meine Schwester in einer Wohnung außerhalb der Stadt versteckte.“ Damit sind die Eckpunkte des knapp zweistündigen Abends gesetzt. Das Schweigen der Mutter zu brechen wird zum Ringen um nie ausgesprochene Wahrheiten und zur Reise in die Abgründe hinter bürgerlichen Fassaden der alten Bundesrepublik, die denen ostdeutscher Biografien aber durchaus ähnlich sind.

Diese Fassaden, die im Videofilm mehr als einmal abgefahren werden, sind in Mauerfragmenten auch auf der Bühne (Katrin Hoffmann) zu sehen. Dort steht eine schmale Birke (ebenfalls dem Video entlehnt) sowie ein Schreibtisch mit Notebook und vielen beschriebenen, oder zerknüllt am Boden liegenden Manuskriptseiten. Hier agiert Schaad als mit sich ringender Autor und Jongleur seiner Erinnerungen als Sohn eines kriegstraumatisierten Vaters, der keinerlei Gefühle und Verständnis zeigte, und einer alles unter Kontrolle haltenden Mutter, die selbst Richters Tagebücher und Briefe zensierte. Im Video darauf angesprochen, spielt sie diese Erinnerungen herunter und sucht nach Rechtfertigung. „Warum mache ich das?“, „Wer ist meine Mutter?“ sind die schmerzhaften Fragen.

Selbst als Flüchtlingskind aus Westpreußen gekommen, vermag sie auch jetzt kaum die Nöte und Ängste ihres Sohnes als immer wieder zum Schweigen gebrachtes Kind, das auch mal zur Strafe in den Schrank gesperrt wurde, zu verstehen. Hinzu kommt die Ablehnung und Psychopathologisierung seiner Homosexualität. Eine tiefe Verletzung, die auch einen handfesten Hintergrund hat. Richter wird zum Außenseiter in der eigenen Familie und in der heteronormativen Gesellschaft. Niemand hilft ihm, als er Opfer eines homophoben Übergriffs wird. In der Familie sehen alle zu, wie ihn der Vater schlägt. Verständnis oder Trost - Fehlanzeige. Ein gesellschaftliches Problem, das wütend macht.

Eine Wut, die sich im Text einmal entlädt in dem Wunsch nach Selbstbewaffnung, der gleich wieder verworfen wird. Dimitrij Schaad spielt diese Reflexionen über das Erlebte des Autors überzeugend. Auch einem sehr erlösenden Dialog mit einem ehemaligen Jugendfreund und kurzzeitigem Geliebten am Telefon, während der gerade verstorbene Vater noch im Haus liegt. Und dennoch sind die Videoeinspielungen des stockenden Mutter-Sohn-Dialogs das klarere, da direktere Moment. Für diese Offenheit kann man Falk Richter nur danken, auch wenn er am Ende Dimitrij Schaad am Telefon mit einer Psychotherapeutin sprechen lässt, die Erklärungen für die Verdrängungsmechanismen der Mutter liefert. Ein wichtiger Theaterabend, der gleichermaßen erhellend und befreiend ist.



Dimitrij Schaad in The Silence von Falk Richter - an der Schaubühne Berlin
Foto (C) Gianmarco Bresadola

p. k. - 21. November 2023
ID 14486
THE SILENCE (Globe, 19.11.2023)
von Falk Richter

Regie: Falk Richter
Bühne und Kostüme: Katrin Hoffmann
Musik: Daniel Freitag
Video: Lion Bischof
Dramaturgie: Nils Haarmann und Jens Hillje
Licht: Carsten Sander
Mit: Dimitrij Schaad
DEA an der Schaubühne Berlin: 19. November 2023
Weitere Termine: 21., 22.11. / 05., 06., 07., 10., 11., 12.12.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de


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