Bleiern schwer,
staubtrocken
GESCHWISTER von Ersan Mondtag
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David Bennent | Foto (C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
Das Ende einer nicht gerade besonders ereignisreichen Spielzeit am Maxim Gorki Theater bestritt am letzten Wochenende der vielbeschäftigte Theater- und mittlerweile auch Opernregisseur Ersan Mondtag. Seine Inszenierung Geschwister behandelt das immer noch sehr aktuelle Thema der nicht aufgearbeiteten Nazi-Vergangenheit einer deutschen Familie. Vater (Falilou Seck), Mutter (Çiğdem Teke), die beiden Töchter Eva Maria (Yanina Cerón) und Elisabeth (Lea Draeger) sowie der noch minderjährige Sohn Friedrich (alternierend Maxim Loginovskih und Lukas Amaru Runkewitz) feiern bei einem Abendessen inmitten von Hirschgeweihen in einer alten mondänen Villa am Wannsee bei Schweinebraten und Rotwein den Geburtstag des bereits verstorbenen Nazi-Großvaters.
Man schreibt das Jahr 1967. Zwischen klassischer Musik, dirigiert vom Mitläufer Wilhelm Furtwängler, sind aus dem Radio Reportagen über die Demonstrationen gegen den Besuch des persischen Schahs in Berlin zu hören. Das türkische Dienstmädchen (Tina Keserovic) deckt zu Beginn minutenlang die Tafel inmitten des von Simon Lesemann entworfenen Bühnenbilds mit zwei Treppenaufgängen zu den oben gelegenen Zimmern. Die Eltern warten, während sie sich abfällig über das Dienstmädchen äußern und es demütigen, auf die Ankunft der Kinder. Alles wirkt bis auf die übertrieben weiß geschminkten Gesichter wie in einem traditionellen Konversationsdrama mit naturalistischem Bühnenbild. Der Muff von hundert Jahren weht hier über die Bühne. Das wiegt bleiern auch auf die vergehende Zeit, die eine tickende Wanduhr mehr als nur hörbar macht. Lauter Ausrufezeichen hinten fleißig gesammelte Fakten in überkünstliche Bilder gegossen.
Die lähmende Spielweise ändert sich über eine Stunde kaum. Nur die verspätet eintreffende Tochter Elisabeth, mit Lederkluft und Langhaar ein Gudrun-Ensslin- Look-alike (Kostüme: Josa Marx), unterbricht die alten Geschichten der Eltern und dreht das Radio laut, in dem nun ihre Rede gegen die Naziverquickungen in Politik, Justiz und Polizei zu hören ist. Es ist auch der Tag, an dem der Student Benno Ohnesorg vom West-Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen wurde. Ein inoffizieller Stasi-Mitarbeiter, wie sich später herausstellte. Im Radio wettert ein West-Kommentator gegen die vom Osten bezahlten Chaoten und ein Ostkommentar, man meint hier den DDR-Chefpropagandisten Karl-Eduard von Schnitzler zu hören, gibt der hetzenden Springerpresse die Schuld. Der Patriarch unterbindet das Aufbegehren, in dem er die Tochter in ihrem Zimmer schlägt. In großen Vidoscreens neben und über der Bühne sind Bilder aus den Kinderzimmern zu sehen. Elisabeth verlässt in der Nacht das Haus und dreht zuvor den Gashahn auf. Ein düsteres Setting und ein düsterer Befund.
Nach einem Zeitsprung ins Jahr 2000 treffen nach dem Tod der Eltern die übrig gebliebenen Geschwister Eva-Maria und Fritz (nun gespielt von Ariane Andereggen und David Bennent) und die gealterte Haushälterin Fatima (Sema Poyraz) wieder im Haus aufeinander. Es geht ums Familienerbe und da nicht nur um Geld und Besitz, sondern vor allem die Vergangenheit, festgehalten in Tagebüchern des Vaters und der Mutter. Fritz, der nun nicht mehr stottert, verlangt von seiner Schwester den Schlüssel zu diesen Unterlagen, den ihm Eva-Maria, die alles lieber vergessen will, verweigert. Unterbrochen werden sie nur durch die Geister die Vergangenheit, die als Untote weiter die Bühne bevölkern. Das Datum ist auch nicht zufällig gewählt. Das Radio berichtet vom ersten NSU-Mord am Blumenhändler Enver Şimşek. Eine durchaus richtige Verquickung von historischen Ereignissen. Aber eben auch nicht neu, sehr vorhersehbar, staubtrocken und als Stück so auch nicht wirklich abendfüllend. Ersan Mondtag überlagert mit stark ästhetisch gebauten Bildern seinen ziemlich mageren Text und fügt dem Gorki-Repertoire eine weitere abnickbare Produktion hinzu.
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Stefan Bock - 23. Juni 2022 ID 13685
GESCHWISTER (Maxim Gorki Theater Berlin, 17.06.2022)
Regie: Ersan Mondtag
Bühne: Simon Lesemann
Kostüme: Josa Marx
Musik: Nid & Sancy (Bart Demey/Tania Gallagher)
Dramaturgie: Valerie Göhring
Kinematographie: Bahadir Hamdemir
Schnitt: Wilke Weermann
Mit: Ariane Andereggen, David Bennent, Yanina Cerón, Lea Draeger, Tina Keserovic, Sema Poyraz, Falilou Seck, Çiğdem Teke, Kinderstatisten: Maxim Loginovskih und Lukas Amaru Runkewitz
Premiere war am 17. Juni 2022.
Weiterer Termin: 26.06.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de/de/geschwister
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