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Blödelei und

Rumgegurke



Der diskrete Charme der Bourgoisie am Schauspiel Frankfurt | Foto (C) Birgit Hupfeld

Bewertung:    



Nicht lange nachdem Claudia Bauer im Januar mit ihrem grandiosen Wiener Ernst-Jandl-Abend humanistää! zum diesjährigen THEATERTREFFEN eingeladen wurde, attestierten ihr im März einige der PremierenkritikerInnen ihrer jüngsten Regiearbeit am Schauspiel Frankfurt schon die nächste Einladung nach Berlin. Schwer Theatertreffen-verdächtig urteilte Christian Gampert im Deutschlandfunk. Es wäre ihre fünfte Einladung seit 2017. Die Regisseurin scheint zurzeit alles richtig zu machen. Garant des Erfolges könnte aber auch die Zusammenarbeit mit dem Musiker und Dramenüberschreiber PeterLicht sein. Bereits 2019 waren die beiden mit Tartuffe oder Das Schwein der Weisen, einer Neufassung der bekannten Komödie von Molière, beim THEATERTREFFEN vertreten. Allerdings scheiden sich bei den Überschreibungen klassischer Theatertexte durch PeterLicht zuweilen auch die Geister. So auch bei seiner neuen Bühnenfassung des Oskar-prämierten Filmklassikers Der diskrete Charme der Bourgeoisie von Luis Buñuel aus dem Jahr 1972.

*

Das heutige Bürgertum in Person gut situierter TheatergängerInnen soll sich in den satirischen Texten Lichts und seiner Schreibpartnerin, der Regisseurin und Choreografin S.E. Struck, auf amüsante Weise selbst erkennen. Lachen als Mittel zur Erkenntnis und Läuterung. Wirklich weh tut das aber nicht. Dabei hat der Autor die Methode bei seinen Molière-Überschreibungen sattsam erprobt. Am spanischen Meister des surrealistischen Kinos dürfte er aber gescheitert sein. Was nicht unbedingt auf Claudia Bauers Inszenierung zutrifft, das Gesamtbild jedoch beträchtlich schmälert.

Bühnenbildner Andreas Auerbach hat einen überdimensionierten Container auf die breite Bühne des Schauspiel Frankfurt gestellt. Davor baut sich zunächst die neubourgeoise Blase im 70er Jahre Outfit und mit Föhnfrisuren auf und grinst erwartungsfroh ins Publikum. Das Wir, das sie beschwören, ist in gentrifizierten Stadtbezirken wie Berlin-Prenzlauer Berg oder Frankfurt-Nordend zu Hause. Man ernährt sich gesund, ist mit dem Urban-E-Bike unterwegs und trifft sich hier zum Kochkreis. Allerdings klingelt die Truppe einen Tag zu früh bei Lizzy und Henri. Die Dame des Hauses (Anna Kubin) ist unvorbereitet, der Kühlschrank leer und nur Gin-Tonic mit Gurke im Angebot.

Nach den Motiven von Buñuels Film, in dem sich eine bürgerliche Tischgesellschaft zum Abendessen verabredet, das Zusammentreffen aber immer wieder aus anderen Gründen scheitert, entwickelt sich ein absurdes „Rumgegurke“, das sich konsequent ins Lächerliche zieht. Und während sich die Wohlstandsblase über Chia-Samen, Erbsenproteine und Hildegard von Bingen auslässt, liegt der gerufene Pizza-Bote tot im Vorgarten. Bei Buñuel noch aus einer südamerikanischen Bananenrepublik stammt der Kulturattaché (Sebastian Kuschmann) hier aus einem nicht weniger zwielichtigen islamischen Wüstenstaat und wird von investigativen Kinderreporter:inneren in weißen Kleidchen und Gesichtsmasken verfolgt. Pseudophilosophisches zur Ungleichheit, der Haltung des woken Mittelstands zu Klassismus, Rassismus und anderen aktuellen Diskursthemen als Gagparade.

So dreht der Text zwei Stunden lang munter Locken wie auf einer barocken Perücke und nimmt dabei fast schon enervierend karikierend den übertriebenen bourgeoisen Neusprech aufs Korn. Der Kochkreis dreht sich samt Container unentwegt um die eigenen Befindlichkeiten und entlarvt zur Freude des kichernden Publikums seine Überheblichkeit gegenüber der studentischen Putzkraft Tatti (Philipp Alexej Voigtländer). Irgendwann marschiert sogar eine ganze SEK-Einheit in Vollmontur zum Terrortraining auf und wird sofort zum Essen eingeladen. Was im Inneren passiert, überträgt eine Livekamera auf die Containerwände. Auch die surrealen Albträume der einzelnen Figuren, in denen sich ihre unterbewussten Ängste manifestieren, lässt die Inszenierung nicht aus. Bis dann irgendwann wie auch im Film mit der Rückwand des Containers die sogenannte vierte Wand fällt und die Tischgesellschaft sich dem Publikum gegenübersieht. Der stammelnde Hausherr Henri (Andreas Vögler) hat den Text vergessen und muss von der neben ihm stehenden Souffleuse unterstützt werden.

Ob echt, oder nicht echt, Wirklichkeit oder Illusion ist hier kaum die Frage. Da geht auch noch ein Telefonslapstick des die ganze Bagage verhaftenden Kommissars (Fridolin Sandmeyer, der zuvor schon als Kommandeur zu sehen war). Claudia Bauer wartet mit ihren bewährten Theatermitteln aus Masken, Videoprojektionen und choreografierten Chören auf. Musikalisch hat die Inszenierung nicht sehr viel zu bieten. Hier verschenkt das auf Klamauk gebürstete Regie-Konzept viel an möglichem Potential. Unterhaltung mit politischem Anstrich scheint der tt-Jury ja zu liegen. Aber bemerkenswert ist hier nur die Penetranz einer sich permanent im Kreis drehenden Blödelei.



Der diskrete Charme der Bourgoisie am Schauspiel Frankfurt | Foto (C) Birgit Hupfeld

Stefan Bock - 29. Mai 2022
ID 13648
DER DISKRETE CHARME DER BOURGEOISIE (Schauspiel Frankfurt, 28.05.2022)
Für die Bühne bearbeitet von PeterLicht und SE Struck

Regie: Claudia Bauer
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüme: Vanessa Rust
Musik: Peer Baierlein
Video: Jan Isaak Voges
Dramaturgie: Katja Herlemann
Licht: Marcel Heyde
Mit: Anna Kubin (als Lizzy), Sebastian Kuschmann (als Raffi Al-Akosdi), Katharina Linder (als Flori), Fridolin Sandmeyer (als Kellner, Kommandeur, Kommissar Delecluze), Lotte Schubert (als Moni), Mark Tumba (als Franky), Andreas Vögler (als Henri) und Philipp Alexej Voigtländer (als Tatti, Pizza-Bote, Kinderreporterin, Oberleutnant Huber, Söldner) sowie den Live-Kameraleuten Benjamin Lüdtke und Rebekka Waitz als auch den Statistinnen und Statisten Janine Kaiser, Antonia Kruschel, Karina Salmen, Steven Marc Fischer, Daniel Hartlaub und Ruben Hausmann
UA war am 12. März 2022.


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielfrankfurt.de/


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