Am Ende
nichts
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Ein dunkles, dunkles, dunkles Blau von Simon Stephens - am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn Klein
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Bewertung:
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann zum ersten Mal die Darsteller*innen als Vorspiel auf die Bühne stürmten, alle zugleich, also unverständlich, vor sich her redeten, ehe sie sich am Rand der Bühne niederließen, um ihren individuellen Auftritt abzuwarten. Bei Elmar Goerden eröffnen sie genau so die Uraufführung des jüngsten Stücks von Simon Stephens Ein dunkles, dunkles, dunkles Blau (im Englischen A dark, dark, dark, dark Blue, dessen schöne Spondeen sich bei wörtlicher Übertragung nicht nachbilden lassen und daher von der bewährten Stephens-Übersetzerin Barbara Christ um ein „dark“ verkürzt werden).
Elmar Goerden hat vor etwas mehr als zwei Jahren in Stuttgart Stephens’ Am Ende Licht inszeniert. Diesmal hat sich der Dramatiker die Stadt zeigen lassen und sein neues Stück gleich dorthin verlegt. Aber wenn es stattdessen in Manchester oder Newcastle spielte, fiele das auch nicht auf.
Das englische Drama im Allgemeinen und Simon Stephens, einer seiner erfolgreichsten und produktivsten Repräsentanten, im Besonderen sind von der bei uns so florierenden Postdramatik kaum berührt. Auch Ein dunkles, dunkles, dunkles Blau besteht aus durchaus traditionellen Dialogen zwischen jeweils zwei von zehn Figuren. Was das Stück von „klassischen“ Vorläufern, ja noch vom Kitchen Sink Drama der fünfziger Jahre unterscheidet, ist das Fehlen eines ausgeprägten und entwickelten Konflikts. Alle Frauen und Männer in Ein dunkles, dunkles, dunkles Blau haben ihre Probleme und Nöte. So recht glücklich ist da niemand. Das kann man, je nach Weltanschauung, auf beträchtlichen Pessimismus oder auf Empathie für die Erniedrigten und Beleidigten zurückführen.
Ausgangspunkt der Szenenfolge auf fast leerer Bühne ist der Tod eines jungen Mannes. Aber der verschwindet im Lauf von mehr als zwei Stunden hinter den nur angerissenen, nie durchgeführten Leidensgeschichten. Wenn das Ensemble einmal zusammenkommt, reden wieder alle durcheinander wie in einem Film von Robert Altman. Zuhören mag keine und keiner.
Weil auf der Bühne keine Aktion stattfindet, hat Goerden die Schauspieler*innen offenbar zu ständiger Bewegung angehalten, die von einigen faszinierend, von anderen ziemlich klischeehaft exerziert wird. Dazu kommen im Hintergrund Projektionen von Schrift und Bild, passend zur Struktur des Textes als Loops.
Irgendwie erinnert die Aufführung an die Abschlussvorstellung einer Schauspielschulklasse, für die man sich ein Stück suchen (oder schreiben lassen) muss, in dem es keine Haupt- und Nebenfiguren gibt, sondern alle Beteiligten eine Rolle und die Möglichkeit der Selbstdarstellung erhalten. Und wer nicht teilnehmen durfte, kann sich immer noch durch Johlen beim Schlussapplaus bemerkbar machen.
Es ändert nichts an der Tatsache: Ein dunkles, dunkles, dunkles Blau gehört nicht zu den besten Stücken von Simon Stephens. Es verschwindet am Ende nicht im Blau, aber im Dunkel der abgeblendeten Scheinwerfer und, so ist zu vermuten, aus unserem Gedächtnis.
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Ein dunkles, dunkles, dunkles Blau von Simon Stephens - am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn Klein
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Thomas Rothschild – 7. Januar 2024 ID 14552
EIN DUNKLES, DUNKLES, DUNKLES BLAU (Kammertheater, 06.01.2024)
von Simon Stephens
Inszenierung: Elmar Goerden
Bühne: Silvia Merlo & Ulf Stengl
Video: Ulf Stengl
Kostüme: Lydia Kirchleitner
Licht: Sebastian Isbert
Dramaturgie: Ingoh Brux
Mit: Felix Jordan (Christof), Camille Dombrowsky (Nicola), Therese Dörr (Marie), Simon Löcker (Tomas), Klaus Rodewald (Walter), Matthias Leja (Matheus), Teresa Annina Korfmacher (Karolina), Tim Bülow (Benjamin), Gábor Biedermann (Lukas) und Boris Burgstaller (Karl)
UA am Schauspiel Stuttgart: 6. Januar 2024
Weitere Termine: 10., 11., 15., 18.01.2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de
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